Wenn etwas oder jemand sprichwörtlich „über die Wupper geht“, ist es – oder die Person – entweder tot oder unbrauchbar. Attribute, die zumindest auf die Müngstener Brücke nicht zutreffen, obwohl sie seit mittlerweile 125 Jahren in luftiger Höhe die Wupper überspannt. Ein gigantischer Brückenschlag, der bis heute als Meisterwerk von Ingenieurskunst und Industriekultur gilt. Gleichzeitig darf sich das markante, 465 Meter lange Bauwerk rühmen, mit 107 Metern Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke zu sein.
Als das beeindruckende Bauwerk nach knapp dreijähriger Bauzeit 1897 vollendet und für den Verkehr freigegeben wurde, galt es als technisches Wunder. Und dies nicht nur, weil die filigrane Stahlbogenkonstruktion für die damalige Zeit unvorstellbare 170 Meter Spannweite aufwies. Für die Fertigstellung des Eisenbahngiganten wurden nicht weniger als 5000 Tonnen Stahl und 934 456 Nieten benötigt. Einer Legende zufolge soll eine davon aus purem Gold sein. Allerdings ist es Schatzsuchern bis zum heutigen Tage nicht gelungen, das wertvolle Stück ausfindig zu machen.
Bergisches Land
Anreise
Von der Abfahrt Sonnborner Kreuz auf der Autobahn A 46 der L 74 in Richtung Solingen/Remscheid folgen, www.die-muengstener-bruecke.de.
Aktivitäten
Die zweieinhalbstündige Klettertour auf dem Brückensteig kostet 79 Euro pro Person, www.brueckensteig.de.
Am 27./28. August 2022 steigt ein Festwochenende anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Brücke. Unabhängig davon wird immer am letzten Oktoberwochenende das Brückenfest gefeiert.
Allgemeine Informationen
Die Bergischen Drei – Tourismusregion Remscheid, Solingen, Wuppertal –, www.bergisch-mal-drei.de SRT
Der Entwurf der Brücke stammt von Anton von Rieppel. Der Ingenieur und langjährige Vorstandsvorsitzende der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (M.A.N.) hat das Konstrukt komplett am Reißbrett geplant. Besonders wagemutig galt dabei der Ansatz, mit dem Brückenbau von zwei Seiten zu beginnen, verbunden mit der Hoffnung, dass sich die Brückenteile in der Mitte zusammenfügen würden. Dabei wurde der Hauptbogen der Brücke im freien Vorbau errichtet. Dies bedeutet, dass beide Bogenhälften ohne weitere Gerüste bis zum Bogenschluss gefertigt wurden und dabei gleichzeitig quasi selbst die Kranfunktion für die weitere Montage übernahmen. Eine Pionierleistung, mit deren Hilfe der Schienenweg zwischen Solingen und Remscheid von 42 auf acht Kilometer verkürzt wurde. Eindrucksvoll dokumentierte der Brückenschlag, wie technische Lösungen den Erschwernissen der topografischen Lage trotzen konnten. Gleichzeitig wurde die neue Flussquerung zum wichtigen Impulsgeber für die Werkzeug-, Klingen- und Textilindustrie im Bergischen Land, die insbesondere in Solingen, Remscheid und Wuppertal angesiedelt war.
Bei der Einweihung taufte Prinz Leopold das Stahlmonstrum auf den Namen „Kaiser-Wilhelm-Brücke“. Kaiser Wilhelm II. selbst blieb der Zeremonie fern. Angeblich, weil er über die Tatsache verschnupft war, dass die Brücke ihren Namen nicht zu seinen Ehren, sondern im Gedenken an seinen Großvater Wilhelm I. erhalten hatte. Nach dem Ende der Monarchie wurde das Bauwerk im Jahre 1918 schließlich nach der nahe gelegenen Siedlung Müngsten benannt. Dabei hatte Wilhelm II. die Brücke, knapp zwei Jahre nach ihrer Inbetriebnahme, am 12. August 1899 doch noch persönlich in Augenschein genommen.
Auch ohne kaiserlichen Glanz hat die Ikone des Industriezeitalters bis heute nichts an Anziehungskraft verloren. Mehr als 200 000 Besucher zählt der im Jahr 2006 eingeweihte Brückenpark jährlich. Das weitläufige Areal unterhalb der stählernen Bogenbrücke wird von Wiesen, Wäldern, zahlreichen Sitz- und Liegemöglichkeiten sowie direkten Zugängen zur und Balkonen über der Wupper geprägt. Ein weiterer Blickfang ist die rostbraune Stahlfassade des Hauses Müngsten, einem Lokal mit Brückenblick, wo auch die berühmte bergische Kaffeetafel genossen werden kann.
Abenteuerlustige können auf dem sogenannten Brückensteig die Müngstener Brücke aus einer ganz besonderen Perspektive erkunden: Eng am Brückenbogen entlang erklimmen sie, mit speziellen Seilen gesichert, eine Plattform auf etwa 100 Meter Höhe, um atemberaubende Blicke auf den Stahlkoloss und das Tal der Wupper zu genießen.
Vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Und der fließt bei den schwindelfreien Klettermaxen, die mit Gurt, Helm und einem Walkie-Talkie ausgerüstet werden, nahezu unweigerlich. Schließlich müssen nicht weniger als 777 Stufen bei dem ungewöhnlichen Aufstieg gemeistert werden. Beim Aufstieg auf den Kölner Dom sind es „nur“ 533 Stufen. Dafür ist das berühmte Gotteshaus am Rhein bereits da, wo die Müngstener Brücke noch hin möchte. Denn der Kirchenbau steht als Weltkulturerbe unter dem Schutz der Unesco. Ein Status, um den für das Wahrzeichen über der Wupper seit 2012 gerungen wird. Aber wer weiß: Vielleicht wird dies ja noch ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk im Jubiläumsjahr?
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