Er ist der weltweit bekannteste finnische Architekt und Designer: Alvar Aalto (1898-1976) – und nirgends hat er mehr Spuren hinterlassen als im südfinnischen Jyväskylä. Dort verbrachte er Kindheit und Jugend und mietete nach dem Studium ein Büro im Keller des Holzhauses Nikolainkulma.
Für Architektur- und Kulturliebhaber ist die Stadt ein großes Aalto-Freilichtmuseum, während Aalto für die Einheimischen zum Alltag gehört: Sie studieren in seinen Universitätsgebäuden, haben ihre Büros in Aalto-Bauten oder ziehen ihre Bahnen in der Aalto-Schwimmhalle. „Ich verstand nie, warum Touristengruppen unsere Uni besuchten“, so die heute 40-jährige Tiia Masalin, die in Jyväskylä studierte. Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten, doch wer das Spiel mit Licht und Natur in sämtlichen Entwürfen begreift, sieht die funktionalen Konstrukte mit neuen Augen.
Von italienischem Klassizismus zu finnischer Funktionalität
Finnland
Anreise
Ab Stuttgart über Kopenhagen nach Helsinki mit SAS, www.flysas.com/de-de/, weiter mit dem Zug nach Jyväskylä, www.vr.fi/en.
Unterkunft
Elegantes Boutique-Hotel mit Themenzimmern, darunter ein „Aalto-Zimmer“ mit Aalto-Design: Yöpuu Boutique Hotel, DZ/F ab 134 Euro oder Ü/F ab 109 Euro, www.hotelliyopuu.fi/en/1/Hotelliyopuu
Stylishes Hotel in Seenähe: Solo Sokos Hotel Paviljonki, DZ/F ab 163 Euro, www.sokoshotels.fi/en/jyvaskyla/sokos-hotel-paviljonki
Übernachtung in einem gemütlichen Apartment mit Küche im Aalto-Rathaus von Säynätsalo: Apartment ab 60 Euro, Frühstück bekommt man im Café des Gebäudes, https://tavolobianco.com/en_US/majoitus
Aktivitäten
Sehenswerte Aalto-Gebäude in Jyväskylä und Umgebung: Universitätscampus Seminaarinmäki mit Hauptgebäude, Bibliothek und Mensa, https://tiedemuseo.jyu.fi/en/campus-environment/campus-guide/old-seminaarinmaki.
„Workers’ Club“ – Eintritt nur nach Voranmeldung, Kontakt über die Aalto Foundation unter www.alvaraalto.fi/en/contacts/#
Rathaus von Säynätsalo, im Sommer täglich zwei Führungen auf Finnisch und Englisch, https://tavolobianco.com/en_US
Kirche von Muurame im Stil des nordischen Klassizismus.
Ende Mai eröffnet das Museum Aalto2 in Jyväskylä, ein Treffpunkt von Architektur, Design und kulturellem Erbe, https://aalto2.museum/en/
Allgemeine Informationen
Finnland Tourismus, www.visitfinland.com/de BOLD
Dass selbst Stararchitekt Aalto Jahre brauchte, um seinen eigenen Stil zu entwickeln, beweist Jyväskyläs Aalto-Sali, „Worker’s Club“. Das Gebäude des Arbeitervereins war Aaltos erstes bedeutendes Bauwerk, entstanden 1924/25 nach Abschluss der Universität und nach einer Italien-Reise mit seiner ersten Frau Aino, selbst Architektin. Der runde Bau des Saals und die reichen Blumen-Ornamente außen verraten, dass der italienische Klassizismus Aalto anfänglich beflügelte. In welchem Maße dann Funktionalität in den Vordergrund rückte, zeigen kantige und schmucklose Folgewerke wie das Theater, die Polizeistation, Mietshäuser und die von Aalto entworfenen Universitätsgebäude.
„Im 20. Jahrhundert war Jyväskylä die am schnellsten wachsende Stadt Finnlands, deshalb waren funktionale Bauten gefragt“, erklärt die in Jyväskylä geborene Stadtführerin Outi Raatikainen. „Was viele nicht wussten: Fast alle Gebäude entstanden in Zusammenarbeit von Alvar und Aino. Aalto scherzte, er hätte sie geheiratet, weil er sich nicht leisten konnte, sie zu bezahlen.“ Ab den 1950er Jahren setzte der Architekt auf Backstein und weiße Kacheln. Doch ebenso wichtig war ihm laut Raatikainen, das Tageslicht optimal einzufangen.
1951 nahm Aalto an einem Wettbewerb für ein neues Campus-Gelände teil. Es gewann sein hufeisenförmiger Entwurf samt Sportplatz, der einerseits eine Oase der Ruhe mit Blick ins Grüne bot, andererseits eine Verbindung zur Stadt über einen Fußweg. Das Hauptgebäude ist ein Backsteinbau mit Fensterfront im Erdgeschoss. Die Türen öffnen sich zu einem hellen Foyer, das nach Raatikainen bezeichnend ist für Aaltos Architektur: „Licht dringt durch große Fenster, Glasdächer, lichtdurchlässige Wände und durch Luken in der Decke.“ Aalto habe seine Entwürfe so angelegt, dass viel Licht, aber möglichst keine direkte Sonnenstrahlung ins Gebäudeinnere gelangt.
Die niedrigen Tische und dreibeinigen Hocker im Foyer sowie in der Cafeteria erinnern an günstige Ikea-Einrichtung. „Die Hälfte aller Ikea-Möbel ist im Grunde eine Kopie von Aaltos Design“, sagt Raatikainen lachend und zeigt Bilder von Aaltos gerundetem „Paimio-Stuhl“, den man in ähnlicher Form in dem schwedischen Möbelhaus vorfindet – wobei Aalto versuchte, die Formen der Natur in seine Möbeldesigns zu integrieren. Nur die für Aalto typischen Zebra-Muster vieler Bezüge fanden die Schweden wohl nicht nachahmenswert.
Der Campus-Wettbewerb in Jyväskylä war nicht der einzige, den Aalto gewann – ihm wurde auch der Rathausbau auf der Insel Säynätsalo 16 Kilometer weiter südlich aufgetragen. Das Gebäude von 1952 besteht wie die Universität aus „Backsteinen zweiter Klasse“, die laut Raatikainen sowohl günstiger als auch interessanter anzusehen gewesen seien. 2016 nahm sich der Unternehmer Harri Taskinen des Gebäudes mit Piazza-ähnlichem Innenhof an. „Mein Firmenname, Tavolo Bianco, entstammt dem großen weißen Arbeitstisch von Aaltos Vater, unter dem er als Kind spielte.“ Tavolo Bianco ließ das Rathaus sanieren und bietet nun im Sommer tägliche Führungen. Wer möchte, kann sogar in einer Rathauswohnung übernachten.
Der Ratssaal im Obergeschoss, durch dessen oberste Fenster Baumwipfel blitzen, erinnert an ein Kirchenschiff. Von der Decke hängen Lampen, die wegen ihrer Form den Namen „Handgranaten“ bekamen. Der Saal ist für einen Aalto-Bau außergewöhnlich düster – ein Fehler? Angeblich nicht: „Aalto sagte, so müssten alle Ratsherren ihre Papiere vorher lesen und könnten sich bei der Versammlung ganz auf die Diskussion konzentrieren.“ Eine Ermahnung zum Gegenwärtig-Sein, die in den 50ern gut funktionierte.
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