Weit oben im Norden Dänemarks, mitten im Kattegat, tragen die Häuser einen besonderen Kopfschmuck. Ganz wuschelig sieht er aus und üppig ist er außerdem. So dick und dicht, dass er wildzu wachsen scheint und das, was es zu beschützen gilt, schon fast verschluckt. Schlumpfhausen liegt in Dänemark.
Auf der kleinen Insel Laesoe werden die Häuser mit Tang gedeckt. Und das nicht Halm an Halm wie bei den ordentlichen Reetdächern im Norden, sondern wild und wuchtig. Das weiß auch Lillian Kristensen, deren Haus ein besonders großes Tangdach trägt: „Das alte Tang-Haus hat mir mein Mann zum Hochzeitstag geschenkt. Da ich mich so für diese Häuser auf der Insel einsetze, dachte er, ich brauche ein eigenes.“
Was er damit angerichtet hat, war ihm wahrscheinlich nicht ganz klar, als er sich das ausgefallene Geschenk überlegte. Denn das Haus ist alt, das Dach war kaputt, das Mauerwerk auch nicht mehr besonders stabil. 300 Quadratmeter Dach mussten neu gedeckt werden, rund 100 Tonnen Seegras wurden dafür benötigt. „Normalerweise brauche ich 100 Tonnen für zwei Häuser, aber nicht 100 Tonnen für ein einziges Dach“, erinnert sich der örtliche Tang-Dachdecker Henning Johannsen an den Kraftakt vor sechs Jahren.
Das Haus wurde beinahe von all dem Tang erdrückt. Eigentlich ist es getrocknetes Seegras, das die Häuser bedeckt, doch wurden früher alle Pflanzen, die aus dem Wasser kamen, als Tang bezeichnet. Der Name Tanghus ist geblieben.
„Wir wussten noch nicht einmal mehr, wo die Fenster sind“, graut es Lillian noch heute bei dem Gedanken an den ersten „Schnitt“. Das Haus brauchte nicht nur Seegras auf dem Kopf, sondern auch eine ordentliche Frisur. Auf alten Bildern sieht man vor lauter Tang das Haus nicht mehr. Heute ist das Gebäude ein Schmuckstück - von außen wie von innen, mit traditionellem Seegras auf dem Dach und Heizung unter dem Boden.
Damit auch Fremde das richtige Laesoe Gefühl erleben können, wird das Tanghuset Skoven vermietet, im Ganzen oder zimmerweise. Unter Tang schläft es sich auf Laesoe nämlich dann ganz besonders gut, wenn ie Meeresbrise die dünnen, getrockneten Seegrasblätter leise rascheln lässt. Dass Seegras auch ein perfektes Dämmmaterial ist, weiß Kirsten Lynge. Die Tochter des Dachdeckers und Seegrasexperten von Laesoe presst es in Platten, mit denen unter anderem Tonstudios gedämmt werden. Für die Akustik ist das Gras aus dem Meer perfekt. Das wusste man auch schon beim Bau der New Yorker Oper. Ihr Konzertsaal sollte einst mit getrocknetem Seegras gedämmt werden. Doch das Gras kam nicht an. Als Ladung fuhr es auf der „Titanic“ und versank mit ihr im eisigen Ozean.
Das ist aber auch so ungefähr das Einzige, was dem Gras passieren kann. Denn dank der in den Blättern enthaltenen Mineralien ist es feuerfest und rottet nicht. Ratten und Mäuse meiden es – es kann also ewig leben und die Dächer der Insel schmücken.
Zumindest seit Beginn des 18. Jahrhunderts, denn da hatten die Frauen das Matriarchat auf der dänischen Insel ausgerufen – und ihre Dächer selbst gedeckt. Etwas anderes blieb ihnen auch nicht übrig –denn die Männer waren auf See und das jahrelang - allerdings nicht ganz freiwillig. Die einst reiche Insel war verarmt.
Zwischen 1100 und 1650 wurden alle Bäume von Laesoe gefällt, um die Feuer für die Salzproduktion brennen zu lassen. Diese machte die Insel reich. Doch dann ging die letzte Flamme aus, Holz zum Nachlegen gab es nicht mehr, das Eiland verarmte, die Männer verließen die Insel. Die Frauen blieben zurück – und mussten nun ihre Häuser selber decken. Das taten sie dann auch wesentlich sorgfältiger und mit System. Sie banden die Seegrasbüschel fest - daran hatten die Männer einst nicht gedacht. Sie warfen einfach das Stroh des Meeres auf den First – es würde schon halten, zumindest bis zum nächsten Sturm. Da waren die Frauen weitaus praktischer. Ihre Dachdeckung hielt.
Auf der kleinen Insel im Kattegat dreht sich auch heute noch alles um den Tang, das Seegras und das Meer. Auch die Salzproduktion ist inzwischen zurückgekehrt. Das Salz aus Laesoe ist bekannt, selbst Spitzenköche ordern es. Gewonnen wird es aus dem Grundwasser der regelmäßig überfluteten Salzmarsch im Naturschutzgebiet Roennerne im Süden der Insel.
Die vergessene Siedekunst kam in den 1990er Jahren zurück auf die nun wieder bewaldete Insel. „Zwischen 80 und 85 Tonnen produzieren wir im Jahr“, erzählt Jonas Kjellberg, der Direktor der Laesoe Saltsyderi.
Und was passt besser zum Meersalz als ein frisches Tangbrot? Rie Toftelund Ladefoge bietet es in ihrem kleinen Hofladen an, dazu natürlich auch noch Tangchips, Tangmarmelade, Seetangbier, Algensenf oder Algenpesto.
Bei ihr in der kleinen Manufaktur dreht sich alles um die Algen und so lagert Rie die verschiedenen Sorten gleich kistenweise. Was nicht vorrätig ist, wird aus dem Meer geholt. Dann steht die Algenspezialistin in ihrer grünen Wathose zwischen den nass-glitschigen dunkelgrauen Steinen knietief im salzig-kalten Wasser.
Seehunde lümmeln in Sichtweite und denken sich ihren Teil über die Frau im Meer, die die Tradition hochhält und gleichzeitig Neues schafft auf der kleinen Insel im Kattegat, auf der sich hinter dichten Wildrosenhecken die Häuser der Schlümpfe verstecken.
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