Die Boys vom Sisi-Strand

Das Lagunenstädtchen Grado zwischen Triest und Venedig bezaubert seine Gäste bis heute mit seinem österreichisch-italienischen Retro-Flair und Badefreuden bis in den Herbst.

Von 
Nicole Schmidt
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Es war der reine Zufall, dass sie in Grado landeten. Alles begann mit einem Geburtstag im österreichischen Zillertal. Danach blieben für zwei der deutschen Gäste noch ein paar freie Tage. Und Lust auf Meer und Italien. Mit dem Finger auf der Landkarte fuhren sie auf dem kürzesten Weg gen Süden, durch die Alpen bis zur Adria. Dort, am östlichen Zipfel des Golfes von Venedig, in der Region Friaul-Julisch Venetien, entdeckten sie zwischen Triest und Venedig diese Küstenstadt, von der sie keine Vorstellung hatten. Also los!

Ein Volltreffer, das merken sie schon bei der Einfahrt. Ganz anders als Bibione oder Rimini. Grado ist eine Insel, mit dem Auto nur über eine fünf Kilometer lange, schmale Dammstraße zu erreichen, und liegt zauberhaft zwischen Lagune und offenem Meer. Da haben riesige Pauschalbunker keinen Platz. Wie gut! Sie logieren im Hotel Erica, einer strahlend gelben Belle-Époque-Villa. Gesellen sich zu den anderen Spaziergängern auf der Promenade vor der Tür. Kaufen im Antoniazzi, einer der gefühlt 50 Eisdielen, „un gelato piccolo“, flanieren über Plätze mit schattigen Bäumen und Café-Terrassen, stehen vor einem Pferdchen-Kinderkarussell, Wäsche-Geschäften mit handgeschriebenen Preisschildern. Völlig aus dem Häuschen über den italienisch-österreichischen, ja leicht nostalgischen Charme, den dieser Badeort ausstrahlt.

Aber Grado hat auch noch ein sorgsam gehütete Altstadt. Sehr romantisch, wenn das Licht der Laternen die jahrhundertealten Mauern erweicht. Einfach treiben lassen, vorbei an restaurierten Steinhäusern, blumengeschmückten Madonnenschreinen in Wandnischen, der ehrwürdigen Basilika, an Treppen wie in Venedig, Türstürzen mit römischer Inschrift. Und dann entdecken sie Restaurants in winzigen Seitengassen, bleiben hängen in der Tavernetta Androna, wo Ober in schwarzer Hose und schneeweißem Hemd Meeresfrüchte servieren.

Kaum vorstellbar, dass Grado bis Ende des 19. Jahrhunderts ein bitterarmes Fischernest war. Damals wehte dort bis nach dem Ersten Weltkrieg die Flagge der Habsburger. Die Metamorphose begann, als Wiener Ärzte die heilsame Wirkung von Sandbädern und Salzwasser erkannten, rachitische Kinder dorthin schickten und diese sich prächtig erholten. Das wollte natürlich auch die Hautevolee aus Prag, Wien und Budapest am eigenen Leib ausprobieren. Selbst Kaiser Franz Joseph kam. Und als er 1892 Grado den Titel Kurbetrieb verlieh, gab es zum Ausbau als mondänes Seebad kein Halten mehr.

Heute ist Grado eher bodenständig. Und der drei Kilometer lange Hauptstrand macht alle glücklich. Egal ob grüne, gelbe oder weiße Sonnenschirmfans. Jeder Abschnitt ist online buchbar. Es gibt eine renovierte Therme, einen Familienstrand, einen für Hunde; Bars und Restaurants, Wasser- und Strandsportaktivitäten, Partys für die ältere Generation, Musikabende. Aber immer noch ist auch am Strand ein Hauch von altem Glamour und Grandezza spürbar, allein schon, wie er sich an der begrünten Promenade entlangzieht. Dazu passend hat sich die Verwaltung den neuen, mondänen Sisi-Strand einfallen lassen. Mit original kaiserlichem Wappen am Eingang, blau-weiß gestreiften, luftigen Pavillon-Zelten, superbequemen Liegen und Strandboys, die alles schön herrichten und mit kühlen Getränken, Espressi und Snacks verwöhnen. Wow! Auch im Herbst kann man noch gut baden.

Am nächsten Morgen aber reift ein Entschluss: runter von der Liege und rausradeln aus Grado. 13 flache Kilometer durch üppig fruchtbare Landschaft sind es bis zur alten Römerstadt Aquileia, für die Grado einmal ein Vorort am Meer war. Von der Straße aus sieht man nichts als abgebrochene Säulen und Ruinen. Lohnt sich das Absteigen? „Aber ja. Die meisten Leute wissen gar nicht, dass sie hier auf altem Römerpflaster oder an einem antiken Hafen entlangschlendern können und unsere Basilika die größten frühchristlichen Mosaike der Welt hütet“, sagt Anna Sairu, die dort lebt und ihre Gäste in perfektem Deutsch auf dem E-Bike begleitet. Und wirklich: Da erstrahlen auf dem Boden Pfauen wie in frischen Farben, mustern sich eine Schildkröte und ein Hahn kampfesbereit, schauen Römer die Zuschauer geradeheraus an.

Am Tag drauf geht es weiter auf dem Boot des feschen Fischers Mirko Zerbin, der auch Touristen durch die weitgehend geschützte Lagune schippert. „Hier fahre ich lieber hinaus als aufs Meer. Es ist sicherer.“ Was für eine Weite! Wie die Sonnenstrahlen das flache Wasser glitzern lassen! Viele Vögel, schilfbestandene Kanäle, Sandbänke, zerfließende Linien zwischen Himmel, Meer und Land, alles in Pastell. Winzige Inselchen, die hier „mota“ heißen.

Manche unbewohnt, auf anderen ruhen einfache, reetgedeckte alte Hütten. „Bis in die 60er Jahre wohnten in vielen Casoni noch dauerhaft Fischerfamilien. Heute sind es Zweitwohnsitze. Wir haben Fotovoltaik auf dem Dach“, sagt Mirko stolz und erzählt von seinen Fängen: Brassen, Barsche, Krebse, Muscheln, Aale. Er liebt diese ganz eigene, verträumte und stille Welt. Weit, weit entfernt von den Alpen. Was für eine gute Idee hierherzufahren!

Die Boys vom Sisi-Strand Auch im Herbst kann man in Grado noch ...



Die Boys vom Sisi-Strand Auch im Herbst kann man in Grado noch das Strandleben genießen. Bild: Nicole Schmidt

GRADO

Anreise

Mit dem Zug ab Stuttgart bis Cervignano-Aquileia-Grado mit mindestens drei Umstiegen: www.bahn.de; www.aptgorizia.it.

Unterkunft

Die familiengeführte Villa Marin punktet mit unschlagbarem Blick vonder Frühstücks- und Restaurantterrasse auf die Adria, die Einrichtung ist ein wenig aus der Zeit gefallen. DZ/F ab 155 Euro, www.villamarin.it.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts steht das charmant-gediegene Hotel Villa Erica mit toller Hausbar am Ende der Fußgängerpromenade, nur drei Minuten entfernt vom Strand; man kann im Hotel auch Strandpakete buchen und kostenlos Räder leihen. DZ/F ab 165 Euro, www.hotelvillaerica.com

Aktivitäten

Die Lagune von Grado lässt sich auf vielfältige Art erkunden: ob in der Gruppe mit kleinem Motorschiff, individuell per Taxiboot, mit Führer und Zwischenstopp auf einer der Inseln oder bei Sonnenuntergang. https://grado.it/de/eventi/escursioni-in-laguna/.

Ein wunderbarer, 13 Kilometer langer Radweg führt von Grado aus bis zur alten Römerstadt Aquileia (www.amareinbici.it/de/percorsi/da-grado-a-aquileia), eine geführte deutschsprachige E-Bike-Tour bietet Anna Sairu (Kontakt: anna.sairu@gmail.com) an, Einkehrtipp: Ristorante Al Granaio (www.algranaiobio.net/de).

Das Strandbad Tivoli (www.stabilimentotivoli.com) bietet während der Sommersaison SUP, Kiten und viele andere Events und Aktivitäten mit und am Wasser an, etwa Yoga für alle mit Yogalehrerin Michela la Torre. 10 Euro. Anmeldung über den Sportverein https://asdfairplay.it/

Allgemeine Informationen

https://grado.it/de NSC

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