Das Geheimnis der Hundertjährigen

Was sind die Zutaten für ein langes, gesundes Leben? Wer das wissen möchte, ist auf den japanischen Okinawa-Inseln richtig. Die zählen nämlich zu den weltweit fünf „Blue Zones“-Regionen, in denen die Menschen überdurchschnittlich lange leben.

Von 
Olderdissen
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Alter ist kein Argument gegen Lebensfreude. © Bernadette Olderdissen

Es ist unser Essen und das Trinken von Awamori“, antworten viele Menschen auf Okinawa, wenn man sie nach dem Geheimnis ihrer Langlebigkeit fragt. „Unser Gemeinschaftssinn und Hilfsbereitschaft spielen eine große Rolle“, behaupten andere. Ebenso häufig fallen die Begriffe „ikigai“, Spiritualität, man verweist auf das warme Klima, viel Sonne und Natur. Man respektiere die Natur und reagiere gelassen auf ihre Machtspiele, beispielsweise Taifune, die auf den subtropischen Okinawa-Inseln regelmäßig zu Stromausfällen und anderen Widrigkeiten führen. Sind dies wirklich die Zutaten für ein langes Leben, lohnt es, sie genauer anzuschauen.

Ewige Jugend durch Okinawas Essen und Schnaps

„Mir reicht es, jemanden einmal zu treffen und gemeinsam Awamori zu trinken, danach sind wir wie Geschwister“, sagt Yukichi Miyagi, Bürgermeister des 130-Seelendorfes Abu an der Ostküste der Hauptinsel Okinawa Honto. Das Lächeln des 85-Jährigen reicht bis zu den Augen, die Brille trägt er auf die Schirmmütze geschoben. Er gibt zu, wie fast alle auf den Inseln, natürlich auch die Hundertjährigen, täglich Awamori zu trinken – in Maßen. Die Okinawa-Spirituose aus Reis und schwarzem Koji (Reismalz) ist auf den Inseln so omnipräsent wie Bier auf dem Oktoberfest. Gemeinsamer Awamori-Genuss komme der Gesundheit und einem langen Leben ebenso zugute wie das Essen Okinawas, weiß der Bürgermeister, der früher als Matrose auf den Weltmeeren unterwegs war.

Essen, was die Natur vor der Tür hergibt

Ursprünglich aß man auf den Inseln täglich Erträge des Landes und des Meeres. Dazu gehört die bitter schmeckende Melone „Goya“, die den Blutzucker regulieren soll, ebenso wie „Imo“, Okinawas violette Süßkartoffel, voller Antioxidantien. Unter anderem finden sich auch Seetang, Tofu, Pilze und Kurkuma in vielen Gerichten – außerdem mehr Schweinefleisch als Fisch. Dies muss allerdings so lange köcheln, bis das Fleisch vom Fett getrennt werden kann, woraufhin man es zusätzlich brät oder dünstet.

Was allerdings nicht nur Miyagi eingesteht: Seit der Invasion von US-Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs und der folgenden US-amerikanischen Herrschaft, unter der Okinawa bis 1972 stand, haben sich viele Insulaner von westlichen, eher ungesunden Ernährungsweisen verleiten lassen. Die Langlebigkeit gerade jüngerer Insulaner ist dadurch in Gefahr.

Langes Leben dank Geistern und Glauben

„Der Glaube versetzt Berge“, heißt es so schön, doch glaubt man Miyagi und anderen Inselbewohnern Okinawas, verschönert und verlängert er auch das Leben. Animismus ist der meistverbreitete Glaube auf den Inseln. Und Natur, in der die Geister zu Hause sind, gibt es genug. Nicht nur die Insel-Schamanin Hiro sucht regelmäßig die vielen „Utaki“ (heilige Orte) in den Wäldern auf und empfängt Botschaften von den Geistern – nachdem sie diesen ein Geschenk aus Wasser, Salz und Awamori dargeboten hat.

Auch der in ganz Japan verbreitete Glaube an „Ikigai“ (dem Leben Sinn verleihen) spielt auf Okinawa eine große Rolle. Wobei Sinnhaftigkeit unter anderem durch Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft entstehe, so Miyagi. Und so startet er im Gemeindehaus des Dorfes spontan einen Karaoke-Abend, denn natürlich sei auch die Freude bedeutsam für ein langes Leben. Wenngleich nicht ganz so wichtig wie Awamori.

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