Die Schwäne wissen, wo es schön ist. Immer wieder gleiten sie nah an die Stelle, wo die Flüsse Steyr und Enns zusammenfließen. Es rauscht und braust, die Strömung ist mächtig, der Wind treibt Wassertropfen hin und her. Obwohl es für sie gefährlich ist, zieht es die Wasservögel immer wieder an diesen magischen Ort, der hell ist und weit, einladend und erhaben. Auch einige Passanten stehen auf der Brücke, bei den Auen: Von hier aus hat man einen freien Blick auf die pastellbunte Häuserkulisse von Steyr.
Anton Bruckner hat dieses kleine, grüne Städtchen in Oberösterreich sehr geliebt. 20 Sommer verbringt der Komponist hier. Urlaub ist das allerdings nicht, es sind vielmehr Arbeitsferien. Bruckner erholt sich zwischen 1875 und 1895 vom aufreibenden und lauten Lehr- und Kulturleben in Wien. Im Stadtpfarrhof, so schreibt er, „wo ich alljährlich so gerne weile“, finde er „Kühle und Ruhe“ zum Komponieren. Hier stellt er seine 8. Sinfonie fertig und arbeitet an der neunten. Eine kleine Gedenktafel an der Außenmauer erinnert an den berühmten Feriengast, gegenüber der imposanten Stadtkirche steht das Bruckner-Denkmal aus dem Jahr 1898. Rechts davon befindet sich das kleine, schiefe Mesnerhaus.
Hier, wie an unzähligen anderen Orten in ganz Österreich, wird 2024 der 200. Geburtstag Anton Bruckners mit Konzerten, Ausstellungen, Events und Installationen gefeiert. Die Ausstellung im Mesnerhaus am Brucknerplatz ist nicht sehr groß, aber sie ist besonders. Kuratiert hat sie nämlich kein Musikwissenschaftler, sondern der pensionierte Ingenieur Wolfgang Hack. Der 64-Jährige ist ein profunder Bruckner-Kenner. „Meine Familie lebt seit über 500 Jahren hier in Steyr, und mit Bruckner beschäftige ich mich schon fast mein ganzes Leben lang“, sagt Hack, der auch Stadtführungen durch Steyr anbietet. Für seine Ausstellung hat er einen Film gedreht und ein Buch geschrieben. Ihn hat die Frage beschäftigt, in welcher Zeit Bruckner gelebt, was ihn beeinflusst und geprägt hat.
oberösterreich
Anreise: Mit dem Zug nach Salzburg oder Nürnberg, von dort nach Linz, www.oebb.at.
Unterkunft: Mitten in der Linzer Altstadt gelegen ist das traditionsreiche Hotel Schwarzer Bär. DZ/F ab 101 Euro. www.schwarzerbaer.at.
Große Zimmer und aussichtsreiche Lage direkt am Flussufer: das Hotel Minichmayr in Steyr, DZ/F ab 145 Euro, www.hotel-minichmayr.at
Essen und Trinken: Etwas versteckt in der Linzer Altstadt, deshalb ein Geheimtipp: das Restaurant Die Wirtsleut im Leopoldistüberl.
Kleine Karte, große Küche: stueberl.diewirtsleut.at
Das Restaurant Cubus im dritten Stock des Ars Electronica Center in Linz besticht durch die Aussicht, www.cubus.at.
Der Schwechaterhof in Steyr ist ein typisch oberösterreichisches Wirtshaus mit Hausmannskost und Musi, www.schwechaterhof.at.
Aktivitäten: „Being Anton“ und „Playing Anton“ sowie die Ausstellung „Für Theresia“ sind noch bis Ende des Jahres bzw. als Wanderausstellung in Linz zu sehen: ars.electronica.art
Eine Ausstellung im Stift St. Florian befasst sich mit Bruckners Anfängen: „Wo alles begann. Bruckners Visionen“. Bis 27. Oktober. Ebenfalls im Stift finden vom 15. bis zum 24. August die St. Florianer Brucknertage statt, www.anton-bruckner-2024.at.
Um den eigentlichen 200. Geburtstag Bruckners am 4. September herum gibt es in ganz Österreich Konzerte und Veranstaltungen, www.brucknerhaus.at, www.anton-bruckner-2024.at.
Allgemeine Informationen: www.linztourismus.at, www.oberoesterreich.at APF
Der Zugang des Laienmusikers ist nicht wissenschaftlich, dennoch überraschend erhellend. So gibt es in der Ausstellung unter anderem auch Gewehre zu sehen. „Zu Bruckners Zeit gab es viele kriegerische Auseinandersetzungen. Ich bin mir sicher, dass das laute Schlachtgetöse ebenso wie die anderen tiefgreifenden Veränderungen jener Zeit, also die Eisenbahn oder die Industrialisierung, Eingang gefunden haben in seine Musik.“ Wer Bruckner bisher nur als den Musikanten Gottes gesehen hat, wird überrascht sein über diese Sicht. Doch sie hat den großen Vorzug, dass sie den Komponisten und Zeitgenossen auch für diejenigen interessant macht, die mit Bruckner nicht viel anfangen können.
Vielschichtig und modern - Bruckner und Oberösterreich
Das Bruckner-Gedenkjahr zeichnet sich durch zahlreiche überraschende und unkonventionelle Zugänge aus. Das liegt vor allem an Norbert Trawöger, dem Erfinder und künstlerischen Leiter der ersten oberösterreichischen Kultur-Expo Anton Bruckner 2024. „Ganz Oberösterreich wird Bühne“, sagt Trawöger und erklärt, dass Bruckner zu rund 40 Orten des Bundeslandes starken Bezug gehabt habe. „Die Expo ist ein ganzjähriges Flächenfestival, das sich sowohl geografisch als auch thematisch öffnet“, sagt der leidenschaftliche Bruckner-Experte. „Bruckner war vielschichtig und überaus modern. Insofern ist er ein typischer Vertreter Oberösterreichs mit dieser besonderen Mischung aus Tradition und Avantgarde“, sagt Trawöger. Der 53-Jährige hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Bruckner nahbar zu machen, und ist seit 2019 der künstlerische Direktor des Bruckner Orchesters Linz.
Das etwa eine Autostunde entfernte Linz nennt sich „Bruckner-Stadt“, hier hat der gebürtige Ansfeldener 13 Jahre lang gelebt, hier war er als Domorganist tätig, hier wurde er zum Symphoniker. 2024 feiert das Brucknerhaus, eines der bedeutendsten Konzerthäuser Europas, sein 50-jähriges Bestehen. Das Konzerthaus, das ein wenig an die Form eines Tortenstücks erinnert, ist großzügig am Flussufer gelegen und besticht durch seinen optimistischen 70er-Jahre-Charme.
Bruckner und die Frauen. Ein schwieriges Kapitel, auf 13 abgelehnte Heiratsanträge soll er es gebracht haben
Tatsächlich wurde durch die Inbetriebnahme des Konzerthauses 1974 eine Entwicklung ausgelöst, die aus der Industriestadt eine Stadt der Kultur gemacht hat. Ihren ersten Höhepunkt erlebte Linz mit der Wahl zur europäischen Kulturhauptstadt 2009. Auf diesem Nährboden gedeiht nun das Bruckner-Jahr und soll Linz weiter als Musikstadt etabliert und auf eine Stufe mit Salzburg und Wien gehievt werden. Auch in Linz betritt man ungewohnte Wege. Im futuristischen Ars Electronica Center wartet ein beeindruckendes Klangerlebnis auf die Besucher. Beim Eingang in den sogenannten Deep-Space-8K-Raum erhält man eine 3-D-Brille und sobald sich die schweren Türen geschlossen haben, steht man vor dem virtuellen Bruckner-Orchester. Klang- und bildmächtige Installationen versetzen die Besucher in die Musik- und Gedankenwelt des Komponisten. Wer will, darf dirigieren. Eine ältere Dame traut sich. Es klappt, das Orchester setzt ein, die Dirigentin strahlt.
„Tanzl Musi“ zu „Bruckner Bratl“ in Wirtshäusern in der Region
Im Foyer ist eine Wanderausstellung aufgebaut, die sich mit Bruckner und den Frauen beschäftigt. Ein schwieriges Kapitel, auf 13 abgelehnte Heiratsanträge soll er es gebracht haben. Die Fotografin Zoe Goldstein rückt in ihrer Ausstellung „Für Theresia“ die Frauen in den Fokus. „Ich wollte nicht ein weiteres Mal das Bild des schwierigen Eigenbrötlers zeichnen, sondern frage nach den weiblichen Rollen zu Bruckners Lebzeiten und hoffe, dass sich dadurch frische Perspektiven auf Vita und Werk ergeben“, erläutert Goldstein.
Im Übrigen war Bruckner in seinen jungen Jahren ein „irrsinnig fescher Bursch“, der „sehr gerne und ausdauernd getanzt habe“, weiß Norbert Trawöger. Regelmäßig ging er ins Wirtshaus und hat es sich bei deftiger Hausmannskost und Musik gut gehen lassen. „Tanzl Musi“ zu „Bruckner Bratl“ kann man in einigen Wirtshäusern in der Region bestellen. Auch frisch gezapftes Bier gehört dazu. Bruckner konnte bis zu 18 kleine Gläser Bier trinken. Der Komponist wusste durchaus zu leben. Auch in der Natur hat er sich gerne aufgehalten, war ein ausdauernder Spaziergänger und ausgezeichneter Schwimmer. Das Freibad, das Bruckner während seiner Sommerfrische in Steyr oft besucht hat, war das erste Arbeiterbad Europas. Auch heute kann man dort noch eintauchen: ins Wasser wie in die Geschichte.
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