Die Murg rauscht - morgens, mittags, abends. Ein wilder Gebirgsfluss im Nordschwarzwald, der unablässig zwischen Felsen hinab stürzt, sich durch Städte und Dörfer schlängelt. Für viele Fische ist er Lebensraum, für den Lachs war er einst Heimat. Vor Jahrhunderten sprangen hier Tausende, schwammen zum Atlantik, kämpften sich zurück, suchten zwischen Kieseln ihre Laichplätze und überließen ihre Nachkommen dem kalten Wasser.
Doch die Freiheit der Wanderfische fand ein jähes Ende. Mit der Industrialisierung wuchsen im 19. Jahrhundert Fabriken, Mühlen ratterten, Abwässer trübten das Wasser. Dämme und Betonkanäle zwangen die Murg in ein Korsett. Für die Lachse brach damit eine harte Zeit an, ihre Kinderstuben blieben unerreichbar. „Der Fluss war wie eine Mauer“, sagt Fischexperte Werner Dautner. Sein Blick folgt dem Lauf des Wassers, das sich heute wieder klar durch Rastatt zieht. Vor rund 20 Jahren wurde die Reißleine gezogen. Biologen und Naturschützer überwachten das Wasser.
Alles für die Fische
Fischtreppen wurden gebaut, neue Durchläufe und Ufer renaturiert. Die Murg darf sich wieder frei durch Wiesen und Auen winden. Und tatsächlich, der Lachs findet langsam heim. Noch selten, noch zögerlich, aber jedes Jahr ein wenig häufiger. Ein geschichtlicher Blick zeigt, wie vertraut der Fisch den Menschen einst war. In Rastatt, wo die Murg die Stadt umfließt, galt er als Delikatesse. Bei Banketten im Residenzschloss, unter Stuckdecken und Spiegeln, servierten Diener glänzende Platten mit Fasan, Pasteten und einem Lachs aus der Murg, garniert mit Kräutern und Zitrusfrüchten. „Kommt der Lachs zurück, dann ist die Murg für ihn wieder lebendig“, sagt Werner Dautner.
Tatsächlich wurden 2005 erstmals wieder Lachseier in der Murg gefunden und 2011 der erste erwachsene Lachs entdeckt. Seitdem zieht eine Aufzuchtstation im Wolftal Jungfische groß. Mit zwei Jahren werden sie in die Murg entlassen. Klein, verletzlich, kaum länger als eine Hand. Ihr Ziel ist der Rhein, Nordsee, dann der weite Atlantik. Nur ein winziger Bruchteil kehrt Jahre später zurück. Reiher lauern in den Flachwasserzonen, Kormorane und andere Raubvögel stoßen pfeilschnell ins Wasser und holen sich die Leckerbissen. Haie jagen die Kleinen im Atlantik. Die Überlebenden haben eine unsichtbare Orientierungshilfe. Wie ein innerer Kompass lenkt der Erdmagnetismus ihren Weg durch das weite Delta von der Nordsee in den Rhein, bis sie endlich den vertrauten Duft ihrer Kinderstube riechen.
Die Geschichte der Rückkehrer
Wer dieses Naturphänomen erkunden möchte, muss nicht in die Nordsee tauchen. Der 15 Kilometer lange Lachserlebnispfad führt direkt hinein in die Geschichte der Rückkehrer. Er startet in Rastatt an der Badener Brücke und schlängelt sich in mehreren Etappen entlang des Flusses. An den Beobachtungsstationen lässt sich der Lebensraum aus nächster Nähe betrachten. An einer Station schmunzeln die Eltern. Ihr Sohn tapst aufgeregt zwischen den Planken, presst die Nase gegen eine Plexiglasscheibe, hinter der Laichplätze nachgebildet sind. Spielerisch soll er erraten, ob Namen wie „Rotzkopf“, „Nase“ oder „Steinbeißer“ tatsächlich zu Fischen der Murg gehören. Neugierig liest er die Infos, drückt wieder das Gesicht an die Scheibe und prustet plötzlich los: „Hör mal, Papa, der Lachs pinkelt ins Wasser!“ Ein Beispiel dafür, wie anschaulich der Pfad das Leben der Tiere vermittelt.
Doch der Blick über die Planken hinaus zeigt, dass die Murg viele Gesichter hat. In Gernsbach fließt die Murg ruhig und gemächlich durch die mittelalterliche Stadt. Früher war das anders. Schautafeln erzählen von der Zeit der Flößerei, als Murgschiffer Baumstämme zu riesigen Flößen banden und sie bis nach Holland trieben. „Das war Knochenarbeit“, sagt Bernd Kraft, der im Museum in Hörden die Geschichte bewahrt. Heute lebt sie bei den Altstadtfesten wieder auf. Vereine stellen Floßfahrten und Fischerstechen nach, und am Ufer jubeln die Zuschauer dem Spektakel zu.
Am Rand des Nationalparks
Weiter flussaufwärts, in Forbach am Rand des Nationalparks, zeigt sich die Murg von ihrer ungebändigten Seite. Hier ist Anke Hille fast jeden Morgen unterwegs. Die Vorsitzende des Forbacher Angelsportvereins streift mit ihrem belgischen Schäferhund Bailey durch den Wald, vorbei an mächtigen Tannen und Buchen. Unter querliegenden Stämmen sprießen Pilze, in den Weiden am Uferrand rauscht der Wind.
Anke Hille beobachtet auf ihren Wegen, wie sich der Fluss nach den vielen ökologischen Veränderungen entwickelt und seine Lebendigkeit wieder bekommt. Von oben stürzt die Murg mit Wucht über gewaltige Felsbrocken. Zwischen den Steinen gluckern Strudel. Baley springt am Ufer über Wurzeln, die Augen fest aufs Wasser gerichtet. „Er beobachtet jede Bewegung. Wenn ein Fisch auftaucht, spürt er die Aufregung sofort mit“, sagt Anke Hille und lacht.
An einer alten Steinbrücke am Ufer schneidet eine Betonrinne das Wasser. Lachse sind zwar sehr gute Schwimmer, aber die 13 Höhenmeter, die sie und die anderen Fische überwinden müssten, schaffen sie nicht mal mit Hilfe einer Fischtreppe. Anke Hille zeigt auf ein Bauwerk aus Holz und Beton: „Ein Fischlift wurde gebaut.“ Wie Fahrgäste stellen sich die Fische an, gleiten in eine Kammer, die sich schließt. Das Wasser steigt, die Kammer hebt sich und nach einer kurzen Reise öffnet sich die Klappe. Der Weg flussaufwärts ist frei.
Am Ufer steht Johannes, Fliegenfischer seit Kindertagen. Mit elegantem Schwung wirft er die Leine aus. „Die Murg ist das anspruchsvollste Wildwasser Deutschlands“, sagt er. „Und die Fische kehren zurück. Wenn der Lachs kommt, wird auch er den Lift nehmen.“ Später, in Baiersbronn gibt es eine Kostprobe. Kein Lachs aus der Murg, dafür Lachsforelle aus der Aufzuchtstation Altensteig. In der Küche des ehemaligen Klosters, heute Gutshof Waldknechtshof, bereitet der Koch Abdefouahed Kanniche das Filet zu. Er würzt nur mit Salz, Pfeffer und einem Spritzer Zitrone. Mehr braucht es nicht. Fast wie damals, als im Schloss Rastatt der Lachs ähnlich zubereitet wurde.
Wissenswertes
- Weitere Informationen : https://www.schwarzwald-tourismus.info
- Für detaillierte Informationen und Karten gibt es die offizielle Website des Lachserlebnispfades unter https://lachserlebnis-murg.de/
- Unterwegs können Besucher mittels QR-Codes zusätzliche Informationen abrufen, darunter auch Kurzfilme, die die Murg aus der Vogelperspektive zeigen.
- Beste Zeit: Frühjahr und Herbst – wenn das Wasser lebendiger rauscht
- Tipp: Am Altstadtfest in Gernsbach Floßfahrten erleben.
- Infos unter https://www.schwarzwald-tourismus.info/
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