Der neue Film

Der deutsche Oscar-Anwärter macht die Konflikte im Iran zum Kammerspiel

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ erzählt von den Auswirkungen der Jina-Proteste auf eine iranische Familie und steht im Rennen um den "Besten internationalen Film"

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Die Konflikte im Iran erreichen eine Familie (von links): Mahsa Rostami (Rezvan), Niousha Akhshi als Mutter Sadaf und Setareh Maleki(Sana). © Films Boutique/Alamode Film

Minutenlang feierte das Premierenpublikum in Cannes Regisseur Mohammad Rasoulof mit Standing Ovations - und zum Ende des Festivals wurde er für „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, Deutschlands Beitrag für den Oscar in der Kategorie „Bester internationaler Film“, mit einem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Bereits vielfach wurde der 1972 im iranischen Shiraz geborene Regisseur, Autor und Produzent, der seit seiner Ausreise in Berlin lebt, prämiert, etwa 2020 mit dem Goldenen Berlinale-Bären für sein Drama „Doch das Böse gibt es nicht“.

Deutschlands Oscar-Beitrag als „Bester internationaler Film“

Mit den Geschehnissen in seiner ehemaligen Heimat, mit dem Terror der Mullahs, setzt er sich wie seine Kollegen Jafar Panahi, Mohsen und Samira Makhmalbaf oder Majid Majidi auseinander, im Gegensatz zu ihnen aber wesentlich gradliniger und gerne ohne sich der Hilfe von Metaphern zu bedienen. Von den sogenannten Jina-Protesten, die 2022 nach dem Tod der kurdischstämmigen Jina Mahsa Amini - sie wurde von der Sittenpolizei festgenommen und starb während der Haft - landesweit ausbrachen erzählt er, davon wie diese von der Exekutive niedergeschlagen wurden.

Als Mix aus Politthriller und Familienfilm, der damit beginnt, dass Familienvater Iman (Missagh Zareh) zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran befördert wird. Ein gefährlicher Job, belegt durch den Umstand - untermalt von der dräuenden Musik von Karzan Mahmood -, dass ihm zur Selbstverteidigung eine Dienstpistole nebst Patronen ausgehändigt wird. Ein loyaler Parteigänger ist er, In seiner neuen Position fühlt er sich dem Staat absolut verpflichtet, unterschreibt täglich Todesurteile, die ohne vorhergehenden Prozess verhängt werden.

Schweigend sieht seine brave, ewig am Herd stehende, beständig nach Harmonie strebende - auf einen neuen Kühlschrank und (noch) besseres gesellschaftliches Ansehen hoffende - Ehefrau (Sohelia Golestani) zu. Die selbstbewussten Töchter (Masha Rostami und Setareh Maleki), die eine Studentin, die andere Schülerin, von der Gewalt in den Straßen schockiert, beginnen, als einer Freundin (Niousha Akhshi) von den Revolutionsgarden mit einer Schrotflinte in den Kopf geschossen wird, zu revoltieren. Mit dem häuslichen Frieden ist es vorbei. Vollends eskaliert die Situation, als Imams Waffe über Nacht aus einer Schublade verschwindet …

Ein in der Realität fußender Albtraum, ein dokumentarisches Drama, heimlich - die nötige, im Iran vorgeschriebene Genehmigung fehlte - mit kleiner Crew über einen Zeitraum von drei Monaten in einer Privatwohnung gedreht. Immer wieder unterschnitten mit brisanten, aus den TV-Nachrichten bekannten Social-Media-Bildern. Die Proteste in der Hauptstadt sind zu sehen, aufgebrachte Massen, darunter viele Frauen unterschiedlichen Alters ohne Kopftücher, Plakate und Banner mit eindeutigen Botschaften: „Nieder mit dem Gottesstaat“, „Nieder mit der Diktatur“.

Ein 167 Minuten langes, handwerklich perfekt umgesetztes Kammerspiel, das sich erst im letzten Drittel öffnet und da (fast) zum Actioner, zum Western, mutiert. In einer nur noch aus Ruinen bestehenden, verlassenen Ortschaft kommt es nach einer virtuos inszenierten, schweißtreibenden Verfolgungsjagd zum Showdown - mit einem finalen, originellen und nicht unwitzigen Kniff als Höhepunkt. Ein Film über das moderne Persien, gleichzeitig allgemeingültig, stellvertretend für alle Diktaturen: Alles Private ist öffentlich, dem Individuum keine persönliche Freiheit gestattet. Wer sich nicht beugt, nicht schweigt, riskiert sein Leben.

Großartige Schauspielerinnen und Schauspieler

Großartig füllen die Schauspieler - viele von ihnen sind zwischenzeitlich ohne die Möglichkeit der Rückkehr geflohen - ihre Parts. Schleichend mutiert Zareh vom korrekten Juristen zum mörderischen Erfüllungsgehilfen, während Golestani - Stichwort: weibliche Ermächtigung - langsam beginnt aufzugebehren, Rostami und Maleki als Wiedergängerinnen der kämpferischen Frauen Irans glänzen. Perfekt eingefangen von Kameramann Ponyan Aghababaei, dessen dunkle, klaustrophobische Bilder das Geschehen kongenial illustrieren. Passend zum Titel, um den Feigenbaum, der sich erst zart um seinen Wirtsbaum schlängelt und ihm dann mit zunehmendem Wuchs erstickt. Ganz ohne Verbildlichung geht es im zeitnahen Farsi-Kino nicht.

Zur Person

Zur Person

  • Mohammad Rasoulof wurde 1973 im iranischen Schiraz geboren, studierte zunächst Soziologie und begann in den 1990er-Jahren Dokumentar- und Kurzfilme zu drehen.
  • Er kooperierte regelmäßig mit Jafar Panahi („Taxi Teheran“), wie dieser geriet er schnell ins Visier der Regierung und wurde mehrfach verhaftet.
  • Seine acht Langfilme - alle fielen in seiner Heimat der Zensur zum Opfer -, darunter „Iron Island“ (2005) und „Auf Wiedersehen“ (2011) kreisen um die Missstände im Iran.
  • Für sein Drama „Doch das Böse gibt es nicht“ - in Berlin 2020 mit dem Goldenen Bären belohnt - wurde er zu acht Jahren Gefängnis, Peitschenhieben, einer Geldstrafe sowie der Konfiskation seiner Besitztümer verurteilt. Der Strafe konnte Rasoulof sich nur durch Flucht entziehen. Inzwischen lebt er mit seiner Familie in Berlin im Exil.

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