Mannheim. Der 10. April ist der Internationale Tag der Geschwister. Laut einer Studie wachsen knapp 70 Prozent der Kinder in Deutschland mit Geschwistern auf. Die Beziehung zwischen ihnen ist eine ganz besondere. Im besten Fall sind sie dicke Freunde, die auch im Erwachsenenalter Höhen und Tiefen gemeinsam meistern. Die einander Halt geben, sich gegenseitig unterstützen und immer für den oder die anderen da sind. Allerdings können Geschwister auch Rivalen sein, die um die Zuneigung der Eltern kämpfen. Oder man akzeptiert sich, zwar auf Familienfesten, hat sich aber sonst nicht allzu viel zu sagen. Viele Eltern kennen das: Die Freude ist groß, wenn sich weiterer Nachwuchs ankündigt. Doch wenn die Familie wächst, und aus dem Einzelkind schließlich ein großer Bruder oder eine große Schwester wird, bleiben Konflikte nicht immer aus. Wie kann man den oder die Erstgeborenen darauf vorbereiten, dass bald ein neues Baby kommt? Katia Schütz, Hebamme am Diako in Mannheim, kennt das. Sie gibt an der Elternschule Kurse für und nach der Schwangerschaft und begleitet auch Kurse für werdende Geschwisterkinder. Zudem hat sie selbst drei Kinder und bloggt auf dem Instagram-Account „Herzenshebammen“. „Nicht nur für uns als Eltern, sondern auch für unsere Kinder ändert sich die Beziehung und Konstellation innerhalb der Familie mit jedem weiteren Kind“, sagt sie. „Natürlich auch die eigene Rolle des Kindes, wenn ein Geschwisterkind geboren wird.“ Das löst viele Emotionen aus, etwa von stolz sein über Eifersucht. „Das ist ganz normal und gehört auch zum Reifeprozess des größeren Kindes mit dazu“, beruhigt sie.
Fünf praktische Tipps zur Vorbereitung
- 1. Man sollte das Kind altersgerecht auf das Baby vorbereiten, indem man ihm oder ihr erklärt, was es bedeutet, wenn der neue Nachwuchs da ist. Pädagogische (Hör-)Bücher können helfen, dass das Kind sich darauf freut.
- 2. Das Kind sollte wissen, dass es weiterhin gesehen, und es nicht ausgeschlossen wird. Eine besondere Situation ist es, wenn bereits zwei Kinder da sind und sich erneut Nachwuchs ankündigt. So wird das frühere Nesthäkchen plötzlich zum Sandwich-Kind. Das größere Kind hat dann plötzlich mehr Privilegien als es selbst. Und alle anderen, die das zweite Kind immer total süß und herzig gefunden hatten, haben plötzlich nur noch Augen für das Baby. Schütz rät, als Eltern darauf zu achten, dass jedes Mitglied seinen eigenen Platz in der Familienkonstellation findet und darin auch bestärkt wird. „Jedes Kind sollte wahrgenommen werden mit allen Stärken und Schwäche", so die Expertin.
- 3. Wenn das Baby da ist, sollte man das große Kind bei der Pflege mit einbeziehen, etwa beim Windelwechseln, es vorsingen oder andere kleine Aufgaben machen lassen.
- 4. Außerdem gibt es noch ganz praktische/pragmatische Fragen und Überlegungen wie zum Beispiel zu überprüfen, ob der Kinderwagen noch in Ordnung, ob es räumlich genug Platz im Kinderzimmer und Auto gibt, wie man künftig in den Urlaub fährt und Kinderbetreuung unter einen Hut bringt. Vor allem, wenn man nicht nur ein Kind erwartet, sondern Mehrlinge.
- 5. Die Elternschule am Diako bietet Kurse für Schwangerschaft wie etwa Geburtsvorbereitungskurse, Schwangerenmassage, Yoga für Schwangere, Rückbildung mit und ohne Kind, Still-Café und alles rund um das Kleinkind an. In diesem Rahmen gibt es auch Kurse für werdene Geschwisterkinder, die dort das „Geschwister-Diplom“ machen können. Spielerisch werden die Kinder an das Geschwister-sein herangeführt. Wegen der Pandemie sind viele Kurse ausgefallen oder haben so weit wie möglich online stattgefunden.
Weitere Infos: www.elternschule-mannheim.de
Je mehr man versuche, das Kind für die neue Situation zu begeistern, desto mehr freuen es sich auf das Geschwisterkind. Der Fokus sollte aber nicht immer nur auf das Kind im Bauch gelegt werden, um zu vermeiden, dass das Erstgeborene Ängste entwickelt, selbst nicht mehr wahrgenommen zu werden. In ihrem Alltag als Hebamme habe sie auch schon erlebt, dass das größere Kind sagt: „Mama ich freue mich auf dich zu Hause, aber das Baby soll hierbleiben.“ Das versetze einem erst mal einen Stich, aber könne auch eine ganz natürliche Reaktion sein, sagt Schütz. „Für Kinder ist das große Neue, Unbekannte oft ein Faktor, den sie selbst nicht einschätzen können, und nicht wissen, wie damit umzugehen ist.“ Solche Reaktionen sollte man sich nicht ganz so zu Herzen nehmen und versuchen, das große Geschwisterkind in seiner Rolle zu bestärken und ihm sagen, wie sehr man es liebt. „Bei Streitereien und auch bei Eifersucht unter den Geschwistern geht es meist um unerfüllte Bedürfnisse. Meist geht es nur um Aufmerksamkeit, die sich in den ersten Wochen eben auf das neugeborene Kind verlagert“, sagt Schütz. „Oft nicht durch die Eltern, sondern auch durch Familie und Freunde, die vor lauter Verzückung und Glück über das Baby die Großen vergessen wahrzunehmen.“ Letztendlich ist das alles aber auch eine Frage, wie man selbst damit umgeht. „Je positiver ich bin und je weniger ich eine große Sache draus mache, desto unkomplizierter wächst das neue Geschwisterkind in die Familienkonstellation rein.“
Alle sollten sich auf den Zuwachs vorbereiten
Auch für die Eltern ist die Geburt eines zweiten Kindes mit neuen Gefühlen verbunden. „Als Eltern stellt man sowieso mit Entsetzen nach der Geburt eines weiteren Kindes fest, wie groß das vielleicht vorher noch sehr kleine Kind doch nun schon ist.“ Damit sich die größeren Kinder an die neue Situation gewöhnen können, sei wichtig, dass alle Kinder gesehen werden, um die Familie nicht durcheinander zu bringen, sagt Schütz Und viele Kinder, vor allem wenn der Altersunterschied sehr gering ist, können sich an eine Zeit als Einzelkind ohnehin nicht mehr erinnern.
Generell ist es ratsam, sich als komplette Familie auf den Zuwachs vorzubereiten. Denn vieles ändert sich. „Jeder, der mehr als ein Kind hat, weiß wie einem selbst in der Schwangerschaft die Frage umtreibt, ob man ein weiteres Mal so bedingungslos lieben kann“, sagt die 42-Jährige. „Auch ich habe mir diese Frage in meinen weiteren Schwangerschaften gestellt. Zumal ich selbst Einzelkind bin. Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie es sein wird, mehr als nur ein Kind zu haben und alle gleich zu lieben“, räumt sie ein. Viele Mütter machen sich Gedanken, weil sie wissen, dass sich auch für das größere Kind vieles ändern wird. Das schlechte Gewissen begleitet viele von ihnen, mal mehr mal weniger. Doch Schütz gibt Entwarnung. „Und dann ist das nächste Baby da und man merkt, dass Liebe sich verdoppelt und man nichts teilen muss und sich genau das gleiche Gefühl einstellt. Es gibt nichts Schöneres, als das zu genießen.“
40 Wochen sind eine lange Zeit - vor allem für Kinder
Den Zeitpunkt, wann man den Kindern sagen sollte, dass sie ein Geschwisterchen bekommen, sollte jeder selbst wählen und auf sein Gefühl hören. „Wichtig ist, dass man das als Paar gemeinsam entscheidet, bevor man die Kinder informiert“, sagt die Hebamme. „Sinnvoll ist es, wenn der Bauch anfängt zu wachsen und eventuell schon Kindsbewegungen zu spüren sind.“ Denn für Kinder seien 40 Wochen eine lange Zeit, und somit müssen sie nicht so lange warten und der Zeitraum wird überschaubarer. Schütz rät, das Warten damit zu überbrücken, indem man kindgerechte Bücher zum Thema vorliest und Babybilder des großen Kindes anschaut. Schön ist es auch, wenn das Kind die Bewegungen des Ungeborenen fühlen darf. „Je älter die Kinder sind, desto einfacher wird es sie auf die neue Situation in der Familie vorzubereiten und auch über ihre eigenen Wünsche, Ängste und Vorstellungen zu sprechen.“
Ist das Baby da, hilft es, wenn Kinder bei der Pflege des Babys mithelfen dürfen. Etwa beim Wickeln die Windel bereithalten oder andere kleine Aufgaben erledigen. „Die meisten Kinder verlieren relativ schnell die Lust daran, haben aber das Gefühl, dass sie wichtig und ein Teil des natürlichen Prozesses sind. Sie sollten sich nicht ausgeschlossen fühlen.“ Gleichzeitig hilft es Rituale beizubehalten, etwa dem großen Kind etwas vorzulesen, während die Frau das Baby stillt oder die Flasche gibt. „Den Geschwisterkindern sollte aber klar sein, dass sie immer noch gehört werden, auch wenn jetzt ein süßes kleines Baby als Konkurrenz da ist“, sagt Schütz. Jede Familie müsse ihren eigenen Weg finden. „Und manche Dinge kann man auch erst sehen, wenn das Geschwisterkind da ist, je nachdem wie die großen Kinder reagieren."
Keine Familie ist perfekt
Geschwister zu haben kann schön sein, das finden auch die drei Kinder von Kati Schütz, erzählt sie. „Man ist nicht alleine, hat jemanden zum Ärgern, aber auch jemanden der sich um einen kümmert, vor allem wenn die Eltern mal keine Zeit haben“, sagt sie und lacht. „Die kleineren Geschwister können froh sein, dass die großen Ihnen schon den Weg geebnet haben und die Eltern mehr erlauben.“ Natürlich sei es manchmal auch nervig und es gebe immer mal Momente, wo Geschwisterkinder gerne mal ein Einzelkind wären.
Kein Familienleben ist perfekt. Wenn man sich vor Augen führe, dass es nicht immer einfach ist, eine Familie zu sein, wo viele unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Bedürfnissen aufeinandertreffen, habe man es im Alltag einfacher. „Man sollte die eigenen Erwartungen an sich selbst und an die anderen immer wieder überprüfen. Das nimmt jeglichen Druck.“ .An manchen Tagen schaffe man das besser als an anderen. „Aber das ist alles menschlich und macht Familie aus.“
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