Performance - Mannheimer Stadtensemble feiert mit Theaterparcours „Volksfest“ Premiere

Jahrmarkt der wundersamen Begegnungen

Von 
Martin Vögele
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Von einem Erlebnis zum anderen: Blick in den Theaterparcours „Volksfest“. © Kleiner

Wir werden selbst gleichsam in das Unbekannte dieser labyrinthischen Welt hinein entbunden. „Aus der Schwärze dieser Nacht / durch blutige Schlacht / ans goldene Lichte der Freiheit“, sagt die junge, in weiß gekleidete Performerin, die uns durch einen Gang geleitet, der zum Schauplatz einer anderen Szene erwachenden Lebens führt: Eine ältere Frau und ein Mädchen, die sich aus einer Plastikfolie schälen, wie Vögel aus einem Ei, die mit dem ersten, dann dem zweiten Bein nach der Erde tasten, auf der sie künftig wandeln werden. Geburt, Gemeinschaft und die Ausbildung kultureller Identität sind Topoi, die uns in der folgenden Stunde immer wieder begegnen werden – auf diesem Jahrmarkt ganz eigener und faszinierender Art, den der Besucher beim „Volksfest“ des (zum Start der Schauspielintendanz von Christian Holtzhauer gegründeten) Mannheimer Stadtensembles betritt. Der von weißen Wänden umgrenzte Theaterparcours auf dem Goetheplatz ist von außen uneinsehbar, und auch im Inneren erschließen sich seine wundersamen Attraktionen erst nach und nach, in verschiedenen Performance-Stationen, die nacheinander durchlaufen werden.

Kultur-Kokon aus Zitaten

Für die Uraufführung ihrer ersten Inszenierung haben sich die knapp drei Dutzend Mannheimerinnen und Mannheimer des Stadtensembles unter der künstlerischen Leitung von Beata Anna Schmutz zunächst mit der Bedeutung des Begriffs „Nation“ für Mannheim auseinandergesetzt. Sie haben Videos gedreht, Interviews geführt, Archive und Feste besucht; Autor Stefan Hornbach begleitete die Recherche und die Erarbeitung des Textes; unterstützt wurde die Inszenierung zudem von dem Szenografen Nicolas Rauch und der Videokünstlerin Karolina Serafin. Entstanden ist eine Performance, bei der die bemerkenswert eindrücklich agierenden Spieler ihre Gäste in einen Kultur-Kokon von Zitaten aus Pop und Popkultur, Erinnerungen, verdrehten Sprichwörtern und Abzählreimen hüllen; ihnen einen Vielklang von Stimmen und theatralen Begegnungen bescheren, die auch von Flucht- und Kriegserfahrung künden, vom Sich-fremd-und-ausgrenzt-Fühlen.

Der Zuschauer durchläuft den Parcours einzeln, dabei wird die gewohnte Distanz zwischen Spieler und Angespieltem unterlaufen – was ungewohnt und irritierend sein kann, gleichzeitig aber eine ungemein direkte, intensive und lebendige Theatererfahrung ermöglicht. Ein glänzender Einstand für das Mannheimer Stadtensemble.

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