Heidelberger Frühling

Zwischentöne von der Balkan-Halbinsel

Akkordeonist Goran Stevanovich musiziert mit dem Korossy Quartet und lässt beim Festival Tradition auf Moderne treffen

Von 
Raimund Frings
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Das Korossy Quartet mit Goran Stevanovich (Mitte) in der Alten Aula. © Studio Visuell

Akkordeon – ein Instrument, das ohne die enorme Tradition der klassischen Instrumentenfamilie auskommen muss. Goran Stevanovich, ein an der Musikhochschule Hannover ausgebildeter Akkordeonvirtuose, hat aus diesem Mangel eine Tugend gemacht. Fundstücke aus seiner Heimat Bosnien, Werke von Komponisten aus Balkanländern, ein zutiefst zeitgenössischer Fokus auf das Musikschaffen: Aus all diesen Elementen entwickelt der 38-Jährige für sich eine eigene Tonsprache. Mitreißend, wie sich bei diesem Konzert des „Heidelberger Frühlings“ erweist.

Als fähiger Partner an der Seite von Stevanovich entwickelt das junge ungarische Korossy Quartet eine dichte Atmosphäre der Stimmungen und Möglichkeiten bei Werken von Bartok, Dvorak und Brahms. Doch da ist ja auch noch die Moderne. „Aheym“ (jiddisch „nach Hause“), ein in Rhythmik, Tempo und Dynamik einzigartiges Werk des US-Amerikaners Bryce Dessner, dient dem Konzert in der Aula der Alten Universität als Rahmen. Das Stück, das der avantgardistische Crossover-Musiker vor einigen Jahren dem Kronos Quartett auf den Leib schreibt, ertönt in zwei Versionen.

Zum Auftakt – als von Stevanovich für Akkordeon eigens entwickeltes Werk - erscheint es eher als melancholische, gleichwohl atemlos vorwärtsstrebende Ballade.

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Zum Finale als Originalversion für Streichquartett dargeboten, entfaltet es auf das hörbar hingerissene Publikum eine ungeheure Sogwirkung. Beweis erbracht: Existentielles Heimweh genauso wie überschwängliche Lebensfreude lassen sich auch mit moderner Tonsprache realisieren. Berührend sind die selbst arrangierten „Sevdah“, bosnische Liebeslieder, die Bela Bartok in den 30er Jahren aufgenommen und notiert hat. Diesen, in der Literatur zur Volksmusik reduzierten Gattung, verhilft der Musiker am Akkordeon zu neuer Betrachtung.

Die mit improvisatorischen Elementen durchsetzten Melodien erfahren durch die strömende Luft des Handzuginstruments eine besondere menschliche Anmutung. Die Präsenz des Atems toppt der Bosnier noch durch die Hinzunahme einer modernen Mundharmonika.

Die spannungsvolle Präsenz eines schier endlosen Atems

Wie flexibel das voluminöse Instrument sich auch in Konzertbetrieb einzufügen vermag, schimmert in Stevanovichs Umsetzung eines Brahms-Intermezzo durch. Der sentimentale Unterton wird durch die Zungen des Akkordeons intensiv hörbar, das Klavier kann Zwischentöne so nicht herausdifferenzieren. Dass der Abend trotz so vieler Innovationen seinen kammermusikalischen Glanz behält, ist dem Korossy Quartet zu verdanken. Die vier Streicher, die sich seit sechs Jahren der Pflege der ungarischen Tradition in diesem Genre und dabei besonders Bela Bartok widmen, zeigen blitzsaubere Technik und den nötigen Schuss Temperament, mit dem seriöse Kammermusik von der Balkan-Halbinsel aufgeführt werden muss.

Herausragend Primarius Csongor Korossy-Kayll und Gergely Devich am Cello. Erst noch etwas zögernd im ersten Satz des Streichquartetts Nr. 2 a-moll von Bela Bartok aus den Kriegsjahren 1915 bis 1917 steigert sich das Ensemble aus der elegischen Grundstimmung zu den oft parallel verlaufenden dissonanten Melodiebögen, die das Gefühlsleben eines aufgrund der Umbrüche verstörten Komponisten ausmalen.

Hell und wie von Licht durchflutet hingegen erklingen die fünf Bagatellen op. 47 von Antonin Dvorak: Das tänzerische Element liegt dem Korossy Quartet also überhaupt nicht fern.

Freier Autor

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