Mannheim. Auch wenn die Musik der Grund des Besuchs war - das Highlight des Abends ist ein Linsencurry. Von Wegen Lisbeth. Live im MVV Reitstadion. Es ist das (eigentliche) Zeltfestival, das Corona-bedingt komplett Open Air stattfindet. Und die Band, sie ist schon eine Nummer für sich. Frech, rau, liebevoll und irgendwie 80er. Das alles vermischt mit Berliner Charme und dem Geist der Zeit. Der da heißt: antirassistisch, nachhaltig, feministisch und, ja, alternativ eben.
Und hier kommt auch das Linsencurry ins Spiel. Die junge Band, bestehend aus Julian Hölting (Bass), Matthias Rohde (Gesang, Gitarre), (Synthesizer, Percussion) Robert Tischer, Dominik Zschäbitz (Gitarre) und Julian Zschäbitz (Schlagzeug) spielt ihre verträumten 80er Sounds zu Texten, von denen ein sogenannter „Boomer“ wahrscheinlich nur die Hälfte verstehen würde. Sie spielen traumhaft schön. Mal leise, mal laut. Klangfarben übertrumpfen sich gegenseitig, überschlagen sich. Kurz: Die Fans sind glücklich.
Dann endet ein Song, und Sänger Matthias Rohde blickt sich um. „Ich habe eine weirde Frage“, sagt er. Kichert ein bisschen. Weird - das bedeutet übrigens seltsam. „Vor zwei Tagen hat uns eine Person über Instagram angeschrieben, sie sagte, sie wollte uns ein Linsencurry mitbringen. Ist diese Person jetzt hier?“ Klatschen, Lachen, Schreien aus der Menge. Und dann: ja. Vorne meldet sich tatsächlich eine Besucherin. „Hast du’s dabei?“, fragt Rohde. Tatsächlich: ja - doch es wurde ihr am Eingang abgenommen.
Mischung aus schrill und gediegen
Also weiter im Text. Auch wenn die Band offenbar echt Bock auf einen veganen Snack gehabt hätte, wie sie unschwer zu verstehen gibt.
Von Wegen Lisbeth - eine Band, auf die die Deutsch Pop-Indie-Musik lange gewartet hat. Schon 2006 hat sie sich gegründet. Damals unter anderem Namen - eine Schulband waren sie. 2016 dann der Durchbruch. Und ihre erste große, also wirklich große Tour: So stark nachgefragt, dass es in fast jeder Stadt Zusatzkonzerte geben musste. Das war 2019. Aber auch heute ist ihre Musik noch immer dieselbe. Nicht falsch verstehen: Weiterentwicklung ist da - zu Haufe. Aber schaut man sich die Veröffentlichungen im Einzelnen an, erkennt man immer wieder den Charakter der Berliner: zusätzlich ungewöhnliche Instrumente, viel Liebe, Gesellschaftskritik und eine einzigartige Stimme, die mit Berliner Schnauze gleichzeitig Ruhe und irgendwie auch Punk in ein und denselben Song packt.
Ein Blick zur ersten EP „Und plötzlich der Lachs“. Der erste Track „Sushi“ ist noch genauso aktuell wie damals, 2014. „Lina, ich will dein Sushi gar nicht sehen / Warum ist dein Leben so prima? / Und du immer so wunder wunderschön?“ Kritik an der Instagram-Gesellschaft, die die Wirklichkeit in der sozialen Filterblase gar nicht mehr zu erkennen vermag. Dann kam „Grande“ - ein Meisterwerk im Jahr 2016. „sweetlilly93@hotmail.com“ ist das jüngste Album der Truppe.
Ihre Musik ist wie sie selbst. Eine Mischung aus schrill und gediegen. Die Texte: erstmal gewöhnungsbedürftig. Aber mit der Zeit immer verständlicher, tiefer. Nie wird es langweilig. Kein Lied klingt wie das andere. Und doch fühlt sich jedes so vertraut an, als kenne man es schon.
Ein solches Gefühl von Ruhe, Geborgenheit, aber auch Feierstimmung und Tiefgang in einem Konzert vermitteln zu können - das ist eine Kunst für sich. Rohde und der Rest der Gang schaffen das. Mit Bravour. Mannheim und ganz Deutschland wird noch viel von diesen Indie-Pop-Musikern zu hören bekommen.
Übrigens: Kurz vor Schluss gab es dann doch das Linsencurry auf der Bühne.
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