Ein Volksstück mit Musik - Michael Bogdanov inszeniert "Anatevka" bei den Burgfestspielen Jagsthausen

Volksstück in der Gestalt eines Musicals

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Böse Träume: Tevje und Goldle werden im Himmelbett von Alben heimgesucht - Szenenbild aus der Inszenierung von "Anatevka".

© Lutz Schelhorn/Burgfestspiele

Es ist keines der eher unbeschwerten Musicals zur guten Unterhaltung, sondern ein Volksstück mit Musik, das zum Nachdenken anregt. Denn das Thema der Geschichte, die in der Vertreibung alteingesessener Bürger aus ihrer angestammten Heimat, und das aus religiösen Gründen, gipfelt, ist leider auch noch heute, über 100 Jahre nach dem in dem Theaterstück angesprochenen Geschehen, aktuell.

In jeder Beziehung sehens- und hörenswert inszeniert Michael Bogdanov "Anatevka" in Jagsthausen. "Fiddler an the Roof" heißt das Werk im Original, das im deutschen Sprachraum als "Anatevka", benannt nach dem Ort in der russischen Steppe, bekannt ist.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Tevje, der Milchmann, von dem auch die gleichnamige humorvoll-tiefsinnige Erzählung von Sholem Aleichem, dem ukrainischen Schriftsteller jüdischen Glaubens, handelt, die dem Buch von Joseph Stein zugrunde liegt, das Jerry Bock vertonte. Dieser mit irdischen Gütern nicht gerade reich gesegnete Vater von fünf Mädchen, ein optimistisch-volkstümlicher Russe jüdischen Glaubens, lebt und arbeitet um das Jahr 1905 in Anatevka. Die Töchter unter die Haube zu bringen, das ist ein Problem, das ihn und seine Frau Golde beschäftigt, das aber auch die Heiratsvermittlerin Jente geschäftig werden lässt.

Doch ",Anatevka" ist kein Liebes- und Heirats-Musical, sondern ein Volksstück mit Musik, in dem das Leben einer jüdischen Gemeinde, der Alltag russischer Juden, real und sentimental, mit all den kleinen und großen Sorgen und Nöten geschildert werden, in dem aber auch die Verfolgung und die Austreibung der Juden eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Denn so heiter und unbeschwert das Stück zuweilen anmutet, man darf, ob all des Tanzes und der Musik, nicht übersehen, dass Tevje, seine Familie und seine Glaubensbrüder zum Schluss aus ihrer russischen Heimat vertrieben, ihrer Häuser und ihrer Scholle beraubt werden. Bei den Burgfestspielen Jagsthausen rollt das Geschehen in rund zweieinhalb Stunden im Hof der Götzenburg ab, die in diesem Fall nicht nur als unbenutzte Kulisse dasteht, die vielmehr vom Regisseur Michael Bogdanov und der Ausstatterin Holly McCarthy ins Spiel integriert wird.

Da kommen einzelne Darsteller oder gar der ganze Hochzeitszug durch den Torbogen in den Hof, durch den man andererseits den Zug sieht, mit dem Hodel ihrem Mann Perchik nach Sibirien folgt, und da blicken andere Mitwirkende aus den Fenstern der Burg. Da sind Tevjes Haus, das Wirtshaus und Mottel Kamziols Schneiderwerkstatt mit ein paar Tischen und Stühlen im Burghof aufgebaut, in dem ein anderes Mal Tevjes und Goldes Himmelbett steht, als sie von Träumen heimgesucht werden, die Albengestalten verdeutlichen, und im Burghof ist auch Tevje mit seinem Milchwagen zugange.

Diesen Tevje spielt Peter Bause als ein Raubein mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, mürrisch, kritisch, selbstbewusst, kraftvoll, zuweilen ein wenig zornig, im Grund aber gutmütig, vor allem aber schlitzohrig, nicht zuletzt in der Zwiesprache mit seinem Gott, und dazu stets witzig - eine in dieser Art reife, überzeugende Leistung als ausgewiesener Traditionalist, der nicht stur, sondern auch Neuem und Ungewohntem gegenüber aufgeschlossen ist.

Aufgesetzt und einstudiert verkörpert dagegen Hannelore Droege seine nicht volkstümliche, sondern sich gekünstelt gebende Frau Golde. Gefühlvoll, sympathisch, unglücklich bei dem Gedanken an eine Heirat mit dem von Torsten M. Krogh als gestandenes Mannsbild gespielten Lazar Wolf ist Verena Wolfien als Zeitel. Zunächst ein wenig schnippisch, dann aber von den Gedanken und der Liebe des revolutionären Studenten Perchik angetan, dem Philip Schwarz ein entschlossenes, hemdsärmeliges Profil gibt, zeigt sich Jasmin Wagner als Hodel. Elisabeth Kästner überzeugt als Chava ebenso wie David Nádvornik als nichtjüdischer Russe Fedja und Karsten Kramer als ehrgeiziger Schneider Mottel Kamziol.

Eine bei ihrem Auftreten die Szene beherrschende Heiratsvermittlerin Jente ist Helena Büttner. Die musikalische Leitung des auf dem Wehrgang platzierten Orchesters hat Andreas Binder. Eine folkloristische Choreographie steuert Andrew Hunt zu der geglückten Aufführung bei, in der das Volk nicht nur eine große Rolle spielt, sondern in der es auch nicht nur optisch stimmend geführt wird und in der Jerome Huy der Fiedler auf dem Dach ist. Dieter Schnabel

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