Was ist eine Sinfonie? Ein Orchesterstück mit mehreren Sätzen und für verschiedene Instrumente, werden Sie wohl sagen und hätten damit völlig Recht. Allerdings ist das der Stand von vor 200 Jahren. Auch die Konzertinstallation des polnischen Komponisten Wojtek Blecharz, die jetzt bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurde, heißt „Symphony Nr. 3“, obwohl sie all das nicht hat, was für unser Verständnis eine Sinfonie ausmacht: Statt Instrumenten gibt es 220 Lautsprecher, das Publikum kommt und geht nach Belieben, einen definierten Anfang und Ende gibt es auch nicht.
Die Donaueschinger Musiktage sind das älteste Avantgarde-Festival der Welt, seit 1921 versuchen sie, den jeweils neuesten musikalischen Entwicklungen auf die Spur zu kommen. Fast alle aufgeführten Werke sind Uraufführungen. Nicht mit jedem künstlerischen Ergebnis wird man einverstanden sein, auch das gehört zum experimentellen Charakter dieser Veranstaltung.
Nicht immer glückt es
Es gab dann doch etliche Werke, bei denen man sich schlicht gelangweilt hat, als ein Beispiel sei das Orchesterstück „Occam Océan Cinquanta“ des Komponisten-Duos Éliane Radigue und Carol Robinson genannt. Das Stück beginnt mit einem lauten Orchesterschlag, der gespannt macht auf das, was kommt. Nur: Es kommt nicht viel, die minimalen Veränderungen des Orchesterklangs sind nur mit Mühe wahrnehmbar. Eine Besonderheit des Stückes besteht darin, dass es keine Partitur gibt: Die Musiker haben keine Noten, sie müssen und sollen aufeinander reagieren. Das ist ein zweifellos interessantes Experiment, nur ist das klangliche Ergebnis dann doch etwas dünn und nichtssagend.
Stücke, in denen nicht viel passiert, gab es auch sonst einige, aber natürlich gab es auch das genaue Gegenteil: Sara Glojnarics „Sogarcoating #4“ setzt eine mustergültige Präzision im Zusammenspiel voraus, anders lassen sich die geforderten vielen Orchesterschläge nicht realisieren. Daraus entwickelt sich ein buntes, unterhaltsames und oft ziemliches lautes Stück, das auf einer Auswertung unzähliger aktueller Popmusik-Titel basiert – eine Gute–Laune-Musik, wie sie bei Avantgarde-Festivals nicht häufig vorkommt.
Es ist unmöglich, ein solches Festival auch nur ansatzweise vollständig abzubilden, zwei Werke seien noch erwähnt: Iris ter Schiphorsts und Felicitas Hoppes „Was wird hier eigentlich gespielt?“, eine Selbstbefragung und Selbstvergewisserung zweier Künstlerinnen zwischen Märchenerzählung und Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“ – eine gelungene Collage aus Sprach- und Musikbestandteilen, auch wenn der Götterfunken in diesen düsteren Zeiten im Bomben- und Granathagel untergeht. Und das Klavierkonzert des Amerikaners Steven Kazuo Takasugi, ein Werk, zu dessen vielen Facetten auch eine starke Traditionsorientierung gehört. Es besteht aus drei deutlich getrennten Sätzen, die ihrerseits aus drei Abschnitten bestehen. Zudem ist es nahezu unspielbar schwer, weshalb dem Pianisten Roger Admiral genau wie den anderen Interpreten des Festivals – stellvertretend sei das SWR Symphonieorchester genannt – ein uneingeschränktes Kompliment gebührt.
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