Open Air

So war das Konzert von Patti Smith auf der Freilichtbühne Killesberg in Stuttgart

Die „Godmother of Punk“ und ihre Band begeisterten 3000 Fans an der idyllischen Spielstätte in der Schwabenmetropole.

Von 
Harald Fingerhut
Lesedauer: 
Patti Smith und ihre Band spielten vor 3000 Zuhörern und Zuhörerinnen auf der Freilichtbühne Killesberg in Stuttgart. © Timo Lechner

Patti Smith und ihre Band sind am Mittwochabend in Stuttgart. Vor rund 3000 Fans gibt die Punk- und New-Wave-Ikone mit ihrer Band auf der idyllischen Freilichtbühne Killesberg ein intensives und nachhallendes Konzert. Beim rund 100-minütigen Auftritt manifestiert sie ihren Ruf als Querdenkerin und Sprachrohr einer queeren, bunten Welt. Den Titel des Songs „Dancing Barefoot“ nehmen viele wörtlich und tanzen zu den Klängen einer wohl temperiert aufspielenden Band in die laue Sommernacht.

Druckvolle Stimme der 78-Jährigen prägt die ersten Songs

Es ist verdammt heiß: Die Freilichtbühne Killesberg ähnelt einem Glutofen. Das hindert Patti Smith, die „Godmother of Punk and New Wave“, jedoch nicht, stylisch, im Genre gerechten Look mit hochgekrempelter Jeans, schwarzen Boots, T-Shirt und schwarzem Blazer auf die Bühne zu schlendern. Hatte die 78-Jährige nicht erst bei einem Konzert einen Schwächeanfall erlitten? Mit dem ersten Ton, den Patti Smith mit starker, druckvoller Stimme singt, sind solche Bedenken jedoch in Nu beiseite gewischt. Sie ist gut drauf, tänzelt über der Bühne und hat die Menge schon beim ersten Song „Redondo Beach“ auf ihrer Seite. Das Patti Smith Quartett Seb Rochford an den Drums und zwei Weggefährten, die auch zur großen Besetzung gehören, Pattis Sohn Jackson Smith an der E-Gitarre und Tony Shanahan am Bass und an den Keyboards, spielt die spannungsreiche Kreuzung aus textlicher Trauer und reggaehaft-fröhlicher Musik reduziert, aber mit Nachdruck und groovt so locker-flockig in einen entspannten Abend mit Tiefgang.

Patti Smith freut sich sichtlich in Stuttgart zu sein und speziell auch darüber, auf diesem idyllischen Platz auftreten zu dürfen. Zum einen lebte ihr großes Vorbild Arthur Rimbaud für eine kurze Zeit in der Schwabenmetropole und zum anderen mag sie es, so viele Bäume um sich herum zu haben. Und so ist sie schon nach dem ersten Song bei ihrer Anklage gegen das Establishment und die Herrschenden, speziell in den USA. Vor allem in ihrer Heimat beseitige man gerne Wälder, um sie industriell zu nutzen oder um dort Ölfelder zu installieren. Auch die Ausbeutung und Zerstörung der Natur durch Fracking prangert sie an. Hauptleidtragende seien die Native-Americans, denen immer wieder Land weggenommen werde. Dabei seien sie die eigentlichen Hirten, die auf die Erde achtgeben.

Eine Freundin klarer Worte

Patti Smith ist eine Freundin klarer Worte und vor allem eine Fürsprecherin der Freiheit und der Demokratie. So mahnt sie eindringlich, sich das Recht auf Freiheit nicht nehmen zu lassen. Die Macht liege beim Volk. Während sie im Falle ihrer Heimat, den USA, konkret eine Regierung anklagt, will sie sich an diesem Abend vor keinen weiteren Karren spannen lassen. Als jemand aus dem Publikum ruft „Free Palastine“, gibt sie ihm „Free everybody“ zur Antwort. Das ist typisch für den Abend. Patti Smith ist souverän, scheint über den Dingen zu stehen. Selbst als sie sich bei der epochalen Zeile „Pissing in the river“ versingt, nimmt sie das mit Humor, oder als sie nach der Hälfte des Konzerts meint, die Natur fordere ihr Recht. Sie müsse nun kurz die Toilette aufsuchen. Sprach‘s und verschwand für einige Minuten von der Bühne. Irgendwie vermittelt die Frau mit der krausen grauen Mähne den Eindruck, sie sei die gute Freundin und Fürsprecherin von nebenan.

An diesem Abend sind viele gekommen, die schon in den 1970er zu ihren Fans gehörten, ihr beim Rockpalast-Auftritt in der Essener Grugahalle vor den Bildschirmen gebannt zugehört und sich über ihr exaltiertes Auftreten mit Klarinette beim anschließenden Interview köstlich amüsiert haben. Sie hatte damals wie heute eine authentische und entwaffnende Art, die ihr die Herzen der Fans zufliegen ließ. Aber nicht nur Vertreter und vor allem Vertreterinnen der Generation 70plus genießen den Auftritt des Idols ihrer Jugend. Es sind auch erstaunlich viele junge Erwachsene gekommen. Ihre Musik und vor allem auch ihre textliche Botschaft scheint nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Sie alle scheint zu einen, dass sie nicht im Mainstream mitschwimmen sowie angepasst und unkritisch der Obrigkeit gegenüber dahinleben wollen. Wie gesagt, es ist bunt und queer im Publikum.

Die Band rockt puristisch

Natürlich ist das nicht mehr Punk oder New Wave, was Patti Smith und ihre Mitstreiter dem bunten Völkchen vor der Bühne servieren. Die Band rockt puristisch. Es sind skelettierte Songs, reduziert auf ein Minimum an Arrangement, was ihnen jedoch bei aller Leichtigkeit eine enorme Intensität und Tiefe gibt. So steht sie mit ihrem Liedgut irgendwo zwischen Leonard Cohen, Bob Dylan und Bruce Springsteen. Mit Bob Dylan verbindet sie auch eine Art Seelenverwandtschaft. Schließlich hat sie für ihn auch den Friedensnobelpreis entgegengenommen. Ihre Version des Dylan-Songs „Man in the long blackcoat“ wird zur eindrucksvollsten Nummer des Abends.

Mit Bruce Springsteen hat sie ihren größten Hit „Because the night“ geschrieben, für ihren damaligen „Boyfriend“, der das bis heute geblieben ist: dem Gitarristen Fred „Sonic“ Smith (MC5), der bereits 1994 gestorben ist. Was für eine Liebeserklärung. Sie spielt diesen Klassiker der Rockgeschichte sehr nahe an der LP-Fassung und damit ganz anders als der „Boss“: euphorisch feminin statt breitbeinig maskulin.

Der Song, der ihr Glaubensbekenntnis auf den Punkt bringt, folgt als krönender Abschluss: „People have the power“, in den 1908er Jahren gemeinsam mit ihrem Mann geschrieben, zeugt von ihrer festen Überzeugung, dass die Menschen, sofern sie etwas gemeinsam wollen, die Macht haben, Dinge zu verändern. Musikalisch ist es eine Stadion-Hymne, bei der alle mitsingen, mitklatschen und tanzen können.

Langanhaltende stehende Ovationen für eine große Künstlerin

Kein Wunder, dass das Stuttgarter Publikum den Vortrag von Patti Smith und ihrer Band mit langanhaltenden, stehenden Ovationen honoriert. Ein Abend, der noch lange nachhallen wird. Es muss nicht immer laut oder schrill oder gar überbordend sein. Oftmals sind es die Dinge, die auf einer entwaffnenden Ehrlichkeit und Empathie beruhen, die die Menschen am meisten berühren. Und so wünscht man Patti Smith die Kraft, dass sie ihre musikalische Botschaft noch eine Weile in die Welt tragen kann.

Redaktion Stellvertretender Deskchef

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke