Mainfranken Theater

Rollentausch erschüttert „Romeo und Julia“ in seinen Grundfesten

Aufführung von Shakespears Schauspiel im Kleinen Haus dekonstruiert die Liebesgeschichte und wird dem Wesen des Stücks nicht gerecht.

Von 
Felix Röttger
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Ein sanftmütiger Träumer Romeo statt Julia auf dem berühmten Balkon in Verona bei der Aufführung im Mainfranken Theater in Würzburg. © Nik Schölzel

Würzburg. Wer für „Theater“ sorgt, hat schon einmal Wesentliches erreicht: Es gibt mächtig Wirbel und viel Gesprächsstoff. Wenn dann noch – wie beim Premierenabend von Shakespeares „Romeo und Julia“ - das Würzburger Publikum im Kleinen Haus des Mainfranken Theaters die Aufführung feiert, ist auf den ersten Blick alles im Lot. Einige Buhrufer, denen die Stimmgewalt fehlt, schauen wohl kritischer auf die Inszenierung von Ronny Jakubaschk.

Die schriftliche Warnung auf dem Handzettel, „dass in der Vorstellung Schüsse fallen“, nimmt man noch „großzügig“ zur Kenntnis. Die Schüsse mit Platzpatronen gelten später nicht nur Mercutio und Tybalt, sondern im übertragenen Sinne dem ganzen Drama, das durch einen Rollentausch von Romeo und Julia in seinem Grundfesten erschüttert wird. Die deutsche Übersetzung des Originals von Thomas Brasch lässt dies nicht zu, animiert haben könnte den Regisseur die Neuschöpfung des Übersetzers „Liebe macht Tod oder das Spiel von Romeo und Julia“. Es ist ein postmodernes Spiel mit Identitäten, Rollenwechseln und Sprachverfremdung, das die Liebesgeschichte dekonstruiert.

Ein Gimmick reicht nicht

Wenn der Regisseur diesem Thomas Brasch nacheifern und die gewohnte Erwartungshaltung der geschulten Theaterfreunde an das Drama radikal unterlaufen wollte, hätte er die klassische Versform aufbrechen, die Figuren monologhaft in Fragmente zerlegen und die Liebesgeschichte nicht nur äußerlich dekonstruieren, sondern in ihrer sprachlichen Essenz brechen müssen. Statt nur Romeo und Julia die Rollen und Texte tauschen zu lassen, bräuchte es eine Verfremdung der Sprache selbst – ein Spiel mit halbfertigen Biografien, plötzlich abbrechenden Dialogen und assoziativen Einschüben, die das Publikum dazu zwingen, jede Silbe neu zu bedenken.

Doch Ronny Jakubaschk begnügt sich mit einem Rollentausch als Gimmick: Geronimo Hartig gibt den Romeo als sanften, blondgelockten Balkonträumer mit pummeligen Wangen, dem jede impulsive Energie abhandengekommen zu sein scheint. Fast schon wie eine unfreiwillige Parodie wirkt die von Patricia Schäfer gespielte Amme, die Romeo vergöttert und wie ein Schoßhündchen umsorgt. So bleibt er eine emotionale Nebenfigur.

Linda Rohrer tritt dagegen als Julia wie ein hyperaktiver Teenager und zugleich - mit der Erschießung von Tybalt und von Lady Paris - als eiskalte Rächerin auf. Ungestüme Jugendlichkeit und berechnende Brutalität; ein Charakterbogen, der die klassische Romeo-und-Julia-Konstellation sprengt. Durch den Rollentausch bedingt wird aus dem Grafen Paris die von Julia Baukus verkörperte Lady Paris, womit patriarchale Arrangements und Heiratszwänge ins Wanken geraten.

Radikale Rollenumkehr

Die aktuelle Inszenierung in Würzburg setzt auf radikale Rollenumkehr. Der dazu nötige Aufwand wird unterschätzt und entpuppt sich als Frontalangriff auf Shakespeares feine Dramaturgie. Wie ein Akrobat auf dem Hochseil, der jeden Moment ins Schwanken geraten kann, so verliert die Inszenierung die Spannung zwischen familiärer Loyalität und romantischer Leidenschaft aus den Augen. Am offenkundigsten wird dies in der berühmten Balkonszene: Raumwirkung, Symbolik und Psychologie kippen komplett, wenn nicht die „erhabene“ Julia auf dem Balkon residiert, die der demütige Bittsteller Romeo von ganz unten als unerreichbares Ideal anbetet. Denn der Balkon ist Metapher für Höhenrausch und die Unerreichbarkeit der Liebe.

Oben wirkt Romeo wie ein Hochstapler, der sich verirrt hat. Mit dem Rollentausch verflüchtigt sich rasch die faszinierende Magie der Balkonszene von Shakespeare.

Fast zwangsläufig wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers mehr auf dieses Experiment als auf die innere Zerrissenheit der Figuren gelenkt. Immerhin gelang es Martin Liema, in einer Doppelrolle als Tybalt und Bruder Lorenzo, die Schwächen der Inszenierung mit seiner Bühnenpräsenz zu überspielen. Loris Kubeng als Mercutio und Prinz, Zlatko Maltar als Lord Capulet und Nils van der Horst als Benvolio komplettieren das spielfreudige achtköpfige Ensemble.

Farbenrausch vor Schlossfassade

Vor einer Schlossfassade mit Balkon in Grau und Schwarz entfaltet sich ein Farbrausch an schrillen, bunten Kostümen; im Verbund mit Videoeinblendungen ist es ein von Denise Schneider und Cornelius Reitmayr reizvoll gewählter Kontrast. Die „Verona-Voices“ hübschen als vorzüglicher Chor zum Finale noch etwas die Inszenierung auf.

Kopfkino statt poetischer Kraft: Am Ende entsteht das Bild einer Inszenierung, die Shakespeare und Brasch gleichzeitig zitieren will, ohne dem einen die Tiefe und dem anderen die Radikalität zuzugestehen. Was bleibt, ist eine laute Leere, in der weder Tragödie noch Neuschöpfung wirklich zünden. Felix Röttger

Die nächsten Aufführungen sind am 28. September um 18 Uhr, am 4. Oktober um 19.30 Uhr und am 5. Oktober um 18 Uhr. Kartentelefon: 0931 / 375-375 und www.mainfrankentheater.de.

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