Klassischer Schwank - "Charleys Tante" in Neuenstadt

Regisseur setzt auf Natürlichkeit

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Wo gibt es das noch, ein Freilichttheater, das heuer die 55. Spielzeit bestreitet und das in all den Jahren nie ein Stück zum zweiten Mal aufs Programm gesetzt hat? Freilichtspiele Neuenstadt heißt dieses Unternehmen, das in diesem Jahr das 55. Stück seit dem Bestehen auf seiner Bühne im Schlossgraben präsentiert. Zu sehen ist ein klassischer Schwank, nämlich "Charleys Tante" von Brandon Thomas, in der Inszenierung des Heilbronner Schauspielers und Regisseurs Hanno Wingler.

Der eigentliche Grund der Geschichte ist heute längst überholt. Denn wo brauchen heute noch zwei Studenten einen sogenannten Anstandswauwau, um ihre Angebeteten zu sich einladen zu können? Und wo leben heute noch Studenten mit einem Butler zusammen, der ihnen zu Diensten ist. Wenn so der soziale Hintergrund in unseren Tagen reichlich exotisch anmutet, so fasziniert dennoch die Verwandlung des dritten Studenten in die Tante des einen, um zwei Kommilitonen ihre Schäferstündchen zu ermöglichen.

Und noch immer ist dieser Oxford-Student Pancourt Baker, der sich in Charley Wykehams Tante Lucia d'Alvadorez aus Brasilien, "wo die Affen herkommen", verwandelt, eine begehrte Rolle für komödiantische Schauspieler, die allerdings auch die Gefahr birgt, zu chargieren und dem Affen Publikum Zucker zu geben. Diese Gefahr ist bei den Freilichtspielen Neuenstadt gebannt, denn der Regisseur Hanno Wingler meint: "Das Stück fordert Menschen. Dabei ist es für die Komik des Stückes gerade wichtig, dass die Figuren natürlich wirken". Brigitte Klein-Wallner hat ihm ein Simultanbühnenbild aufgebaut, das auf der rechten Seite einen typisch englischen Salon und auf der linken einen kleinen Park mit Pavillon und Springbrunnen zeigt. In diesem Milieu führt er die Personen der Handlung, die Antje Austel stilgerecht kostümiert hat. So ist Jörg Schönbeck als Francourt Baker zunächst ein Student wie die anderen. Als Charleys Tante überzieht er aber nicht, vielmehr bemüht er sich mit Erfolg und ein wenig verstellter Stimme, überzeugend die reiche Dame aus Südamerika zu verkörpern, die man ihm durch sein glaubhaftes Spiel leichter abnimmt, als Corina Deininger, die als echte Lucia d'Alvadorez ein wenig unbedarft und bieder wirkt.

Eine glänzend-stimmende Erscheinung ist auch Karl-Heinz Schmidt als Brasset, ein Bilderbuchbutler vom Scheitel bis zur Sohle. Lars Tönnies als standesbewusster Jack Chesney und Benjamin Ehnle als eher hausbackener Charley Wykeham sind die zwei Studenten von vorgestern, die Augen für die adretten Damen Anny Verdun und Kitty Spettigue in Gestalt der blonden Corina Apfelbach und der schwarzhaarigen Jessica Colquhoun haben. Den Francis Chesney stattet Karl-Heinz Hoffmann mit Witz und Komik aus. Den angeblichen Advokaten Henry Spettigue gibt Wolfgang Apfelbach. Iris van de Weghe ist die handfeste Gouvernante. Klaus Hütter tut seine Amtspflicht als Constabler. Dieter Schnabel

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