Nationaltheater Mannheim

"Rhythm under the skin" Premiere im Tanzhaus Käfertal

Die Tanzcompagnie von Stephan Toss und das Mannheimer Schlagwerk begeistern mit der Lecture-Performance „Rhythm under the skin“. Weshalb das Publikum besonders bequem sitzen darf

Von 
Ute Maag
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Ein Experiment, das Tanz und Musik in Dialog treten lässt: „Rhythm under the skin“ im Tanzhaus Käfertal. © Maximilian Borchardt/NTM

Mannheim. Selten hat das Publikum in einem Theater bequemer gesessen. Stephan Thoss, Tanz-Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, hat das Tanzhaus Käfertal in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt zu einem ganz eigenen, inspirierenden Kosmos für seine Compagnie und ihre Gäste umgebaut.

Zu Beginn seiner achten Spielzeit überraschte er die Premierenzuschauer von „Rhythm under the skin“ nun mit roten Plüschsofas und Loungesesseln in den vorderen Sitzreihen und weich gepolsterten Kinositzen weiter hinten - alles gebraucht zusammengetragen und auf Vordermann gebracht von ihm selbst und seiner Frau und Assistentin Romy Liebig.

Getanzte Moderation

Das relaxte Setting war also bestens bereitet für einen außergewöhnlichen und erkenntnisreichen Abend mit 13 virtuosen Tänzerinnen und Tänzern, die, mitreißend begleitet von sieben Musikern vom Mannheimer Schlagwerk, eine Brücke schlugen von der Tanztheorie zur -praxis. Thoss‘ eloquente, immer wieder auch getanzte Moderation zwischen den vier Stücken veranschaulichte brillant, wie seine Choreographien entstehen und auf welche Weise er den Tänzern seine Ideen vermittelt.

Am Ende der rund 90-minütigen Lecture-Performance hatte der 57-Jährige dem begeisterten Publikum tiefgehende Einblicke in die Geheimnisse des Tanzes und das Zusammenwirken von Raum, Zeit, Rhythmus und dem „Wunderwerk Körper“ gegeben - mit Rückgriffen auf die Theorien des Tanz-Analytikers Rudolf von Laban, auf Grundlagen der Physik und garniert mit anschaulichen, zuweilen komödiantischen Alltagsbeispielen und jeder Menge Emotion.

„Rhythm under the skin - Tanz und Percussion“ war als Experiment angekündigt, das Tanz und Musik in einen Dialog treten lassen und daraus entstehende Dynamiken aufzeigen sollte. Die vier pulsierenden Kompositionen von Dennis Kuhn und Stephan Thelen, live performt vom Mannheimer Schlagwerk, dem Percussion-Ensemble der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, erwiesen sich dafür als ideal.

Drei Stücke hatte Thoss aus der 2021 erschienenen CD „The Numbers are Dancing“ ausgewählt, ein weiteres, „Trommeltanz“, hatte Dennis Kuhn eigens für die Kooperation neu bearbeitet. Für den Professor für Pauke und Schlagzeug an der Mannheimer Musikhochschule schloss sich ein Kreis: Ende der 90er Jahre hatte er mit seinem Schlagwerk schon einmal mit dem damaligen Ballettchef Philippe Talard zusammengearbeitet. Nun, kurz vor seiner Emeritierung, brachte er sein längst international erfolgreiches Ensemble mit je zwei Vibraphonen und Marimbaphonen, Schlagzeug, Metallfässern, Keyboard und Klarinette erneut auf eine Bühne des NTM.

Kein Handlungsballett

„Erfrischend und belebend“ empfand der Schweizer die tänzerische Interpretation seiner Werke. „Wir brauchen heute keine Geschichte“, hatte Stephan Thoss schon in seiner Anmoderation jegliche Erwartung eines Handlungsballetts im Keim erstickt. Vielmehr standen ganz grundsätzliche Begriffe im Fokus der Choreographien, die Thoss gemeinsam mit seinen Tänzern in so genannten „task-based improvisations“ erarbeitet hatte: kleine improvisatorische Aufgaben, in denen Veränderungen von einzelnen Parametern wie Tempo, Beschleunigung, Richtung oder Bewegungssteuerung den Tänzern die Auswirkungen dieser Variationen vor Augen führen sollen.

Für die Zuschauer wurden diese auf frappierende Weise erlebbar. „Nähe und Distanz“ hatte Thoss das erste Stück des Abends überschrieben und einige Erläuterungen über persönliche Sphäre und das Spiel mit Abständen, Personenkonstellationen und Formationen vorausgeschickt. Zu „Leon’s House“ von Dennis Kuhn ließen elf Tänzerinnen und Tänzer die praktische Anschauung folgen - ganz in sich gekehrt in Soli oder innig in Duos, auseinanderstrebend oder harmonisch als Gruppe, in Reihen und Kreisen, in denen sie sich mal den Rücken, mal das Gesicht zuwandten.

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Zum „tanzenden Orchester“ wurden 13 der insgesamt 16 Performer des Abends dann im zweiten Stück „Trommeltanz“: Jedem wurde ein Instrument zugeordnet, zu dessen Tönen er sich bewegte - ein statisch im Raum verharrender Klangkörper, der allein durch Körperbewegungen auf der Stelle faszinierte und nebenbei auch noch eine andere theoretische Erläuterung von Tanzchef Thoss bildhaft werden ließ: die Verschiebung von stabiler zu labiler Achse als grundlegendem Unterschied zwischen klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz.

Er „zeichne die Musik“ und ordne jedem Ton eine Bewegung zu, erklärte der an der Dresdner Palucca Schule ausgebildete Tänzer und Choreograph. Wie er seine Akteure einen Raum durchqueren lasse, erzeuge ganz verschiedene Stimmungen und Dynamiken: „Eine direkte Bewegung durchschneidet den Raum, ein Bogen umschmeichelt ihn.“ Unzählige Interpretationsmöglichkeiten habe er beim Rhythmus: „Ich kann jeden einzelnen Ton tanzen oder eine Bewegung fließen lassen.“

Ganz am Ende ordneten sich auch die einzelnen Buchstaben, die Tänzer und Musiker auf ihren Kostümen trugen, zum Titel dieses lehrreichen neuen Formats. „Rhythm under the skin“ haben sie alle. Und Musik und Tanz verbinden sich nicht nur, sie bedingen einander.

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