Das Erzählen von Geschichten steckt ihm in den Genen. Rafik Schamis Großvater hat es dem Enkel vorgemacht. Er war ein Mann, der sogar gröbste Schwindeleien mit den raffiniertesten „Beweisen“ auszustatten wusste. Dieser Großvater war eigentlich ein Bauer, doch sein kleines Dorf war ihm zu still und friedlich. Deshalb kam er regelmäßig zu Besuchen in die große Stadt Damaskus, wo er meist im Zimmer seiner Enkelkinder übernachtete. Auf einer einfachen Matratze, die bei ihm indessen zur Theaterbühne wurde.
Und wenn Rafik Schami diese autobiografische Geschichte seinem Publikum im Mannheimer Luisenpark erzählt, auf ausverkaufter Seebühne, erweist er sich als Meisterschüler, ja Vollender seines Opas. Wenn nicht gar als männliche und mittlerweile 76-jährige, Wortzauber-kundige Scheherazade, der „ihr“ Alter allerdings kaum anzumerken ist. Hier findet keine Lesung statt. Hier rezitiert auch niemand – denn wer rezitiert, hat etwas auswendig gelernt. Hier übt sich jemand in der Kunst des freien Vortrags, die den ewig ähnlichen Geschichten kleinste Abschweifungen, Ausschmückungen oder Varianten abringt. Und daran erinnert, dass Erzählkunst früher einmal primär mündlich wirkte – was bei Rafik Schami heute noch so ist. Das heißt auch: „Nur“ gelesen, würde manche der Geschichten einiges von ihrem Zauber einbüßen.
Das Element des Mündlichen macht den Erfolg des syrisch-deutschen Schriftstellers maßgeblich aus. Und der Erfolg sei deutlich besser als sein Ruf, scherzt Schami oft und gern. Er ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, etwa eben erst in Mainz mit der Carl-Zuckmayer-Medaille. Rafik Schami ist eine Instanz. Als solche fühlt er sich verpflichtet, zu Beginn der Mannheimer Veranstaltung – aber „bloß fünf Minuten lang“, versprochen – auch die ernsten Dinge anzusprechen, die uns derzeit so bedrängen.
Leichtes Spiel für Diktatoren
Schließlich hat die Welt, wenn auch nicht nur, die Seuche. Und muss dem „Verbrecher Putin“ gegenübertreten, dem der Westen, findet Schami, bereits in Tschetschenien oder Syrien seine Grenzen hätte zeigen sollen. Doch er appelliert nicht an Politiker, sondern vor allem an „Beteiligte im Hintergrund“: Die „Gleichgültigen“ sind gemeint. Ihr Stillhalten und Schweigen sei der Grund dafür, dass Diktatoren (oder Investoren, Schami nennt sie fast im selben Atemzug) zu oft ein leichtes Spiel hätten.
Er selbst hat aber auch ein leichtes Spiel: beim Publikum. Weil er ein Überlebender aus jener fernen Zeit ist, als das Fabulieren noch geholfen hat und ein Erzähler „alles“ war: Comedian, Märchenonkel, Moralist. Auch lernen lässt sich einiges von Schami, etwa, wenn er „kurze Ausflüge in die arabische Kultur“ organisiert. Er liefert dann zwar manchmal auch Klischees für Fortgeschrittene. Aber im Idealfall laufen jene kleinen „Filme ohne Leinwand“ ab, die Rafik Schamis Kurzgeschichten ausmachen.
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