Mannheim. Er hat ein paar Soli für die Ewigkeit geblasen, auch auf der berühmtesten aller berühmten Platten von Miles Davis: „Kind of Blue“. Cannonball Adderley hieß dieser Saxofon-Koloss, er starb schon 1975, mit gerade einmal 46 Jahren. Mehr noch als mit einem Neuerer wie Davis bringt man Adderley aber mit prallem Souljazz in Verbindung. Das Konzert im proppenvollen Mannheimer Ella & Louis, wo aus Anlass der Saisoneröffnung häufig Themenabende über Heroen aus der Jazzgeschichte stattfinden, trägt dem auch Rechnung. Somit steht ein starker Traditionsbezug im Vordergrund. Den Retro-Look betont der Chef des auf der Bühne stehenden Quintetts, Trompeter Thomas Siffling – stets korrekt gekleidet –, schon in seinem Äußeren. Siffling erscheint im zugeknöpften blauen Zweireiher. Aber das täuscht: Die Band wird noch aus sich herausgehen.
Im Mittelpunkt des Abends stehen Stücke von der Platte „Fiddler on the Roof“. Sie präsentiert die Melodien jenes Musicals, das hierzulande „Anatevka“ heißt. Die Aufnahme von Adderley kam 1964 auf den Markt, der progressive Jazz eines John Coltrane oder Ornette Coleman gab damals die Richtung vor, ein Teil der zeitgenössischen Kritik tat „Fiddler on the Roof“ deswegen als „nicht relevant, aber sehr unterhaltsam“ ab. Aber ist Unterhaltsamkeit nicht auch etwas sehr Schätzenswertes?
Das Quintett in Mannheim würde diese Frage unbedingt bejahen. Höchstens in der ersten Hälfte des Programms besitzt besagte Unterhaltsamkeit bisweilen auch eine gewisse Neigung zur Schablonenhaftigkeit, die etwa in der manchmal langen Abfolge der Soli greifbar wird. Doch „Soul“ ist immer drin, und allerspätestens im zweiten Set werden die Interpretationen noch ein bisschen dichter, intensiver und vibrierender. Das Herzstück sind natürlich die zwei Bläser, Thomas Siffling gibt da mit dem Altsaxofonisten Olaf Schönborn ein Gespann ab, wie Cannonball Adderley es einst mit seinem Bruder Nat an der Trompete bildete. Sie kennen sich schon ewig lange – und ergänzen sich perfekt: der eher „zugeknöpfte“ Siffling mit seinen perfekt getimten, schlackenlosen Soli, Schönborn mit gelegentlich verschliffenen, „verschmierten“, ja verschwitzten Altsax-Linien und nasal-gepresstem Ton. Das schafft die nötigen Kontraste. In der Gospel-nahen Nummer „Sabbath Prayer“ freilich liegen sich die beiden Instrumente förmlich in den Armen und umschlingen sich.
Zudem muss man dem Pianisten Roman Babik hohe Anerkennung zollen. Der kommt zwar aus Wuppertal, besticht aber mit einem höchst „authentischen“ Gefühl für Blues. Das klingt eher nach Mississippi als nach Wupper. Auch der Rest der Rhythmusgruppe – die bereits beim originalen Adderley eine zentrale Rolle innehatte – sammelt nicht nur Treuepunkte: Joel Locher zupft am Kontrabass blitzsauber seine Pizzicati, während Schlagzeuger Oliver Strauch auch einer ist, der ungern seine Jacke auszieht. Und mit seinem Solo nicht viel Lebenszeit vergeudet. Auch nicht die des Publikums. Der Beifall ist entsprechend überschwänglich.
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