Frankenfestspiele - Mit dem Musical "Sunset Boulevard" gastiert die Traumfabrik Hollywood in Röttingen

Ohne eine melodramatische Überzeichnung

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Betty (Abla Alaoui) verhilft Gilles (Aris Sas) vor den Jagdhunden seiner Gläubiger zur Flucht.

© Frankenfestspiele

Rundum gelungen war bei den Frankenfestspielen Röttingen die Premiere des Musicals "Sunset Boulevard", Andrew Lloyd Webbers berühmtes Broadway-Musical, das auf dem nicht minder bekannten Film "Boulevard der Dämmerung" von Billy Wilder über die Traumfabrik Hollywood basiert.

Die Röttinger Inszenierung besorgt Sascha Oliver Bauer. Der Sunset Boulevard gilt als bekannteste Straße in Los Angeles. Bei einer Länge von insgesamt 35 Kilometer ist es wohl purer Zufall, dass der erfolglose Drehbuchautor Joe Gillis auf der Flucht vor seinen Gläubigern auf das Anwesen des Ex-Filmstars Norma Desmond mit der Hausnummer 10089 gerät. Die reiche, aber vereinsamte Frau träumt von einem Comeback und bietet Joe Gillis viel Geld für die Überarbeitung eines Drehbuches für einen Film - natürlich mit ihr in der Hauptrolle. Norma macht den viel jüngeren Joe zu ihrem Liebhaber und das Drama nimmt seinen Lauf.

Vergeblich setzt Norma auf ihren früheren Regisseur Cecil de Mille, doch der Anruf aus den Studios gilt nur ihrem originellen Oldtimer. Der Rolle eines Beschützers und Geliebten der exaltierten, steinreichen Stummfilmdiva ist Joe Gillis nicht lange gewachsen.

Nach seinem "Zwangseinzug" in die Künstlervilla fühlt er sich gefangen in einer Traumwelt und ausgesaugt.

Die Produktionsassistentin Betty Schaefer, die sich mit ihrer Natürlichkeit von der Glitter- und Glamourwelt Hollywoods, aber auch vom Pathos Normas abhebt, ermutigt ihn zu einem gemeinsamen Drehbuch-Projekt. Als sich beide gegenseitig ihre Liebe gestehen, kulminiert das Psychodrama zum Höhepunkt. Vergeblich versucht Joe, sich gegen die Dominanz der alternden Diva zu stemmen. Sein Ausbruchversuch scheitert kläglich.

In der Übersetzung von Michael Kunze nehmen die Autoren Don Black und Christopher Hampton kein Blatt vor den Mund, wenn es um die geringe Wertschätzung der Drehbuchautoren, den Erfolgszwang und die Rücksichtslosigkeit gegenüber Stummfilmstars geht, deren Zeit nicht nur ihres Alters wegen vorbei ist.

Gesanglich und schauspielerisch ist die aus TV-Serien und Filmen bekannte Daniela Ziegler ein Glücksgriff, denn die Rolle von Norma Desmond scheint ihr auf den Leib geschrieben zu sein. Die Gefühlsschwankungen, die vollständige Vereinnahmung von Joe, das übersteigerte Selbstmitleid und der zunehmende Realitätsverlust werden von ihr nachvollziehbar auf die Bühne gebracht. Mit der Feststellung "Ich bin groß; es sind die Filme, die klein geworden sind", bringt sie ihre Gefühlslage zum Ausdruck, ohne - vor allem in der Schlussszene - melodramatisch zu überzeichnen.

Der zweite Star des Abends ist Aris Sas als abgebrannter Autor Joe Gillis, der seine jugendliche Attraktivität bewusst zu seinem Vorteil auszunutzen weiß. Im letzten Jahr überzeugte der ehemalige Wiener Sängerknabe bei den Frankenfestspielen als Dickon im Musical "Der geheime Garten". Er verfügt über eine gut ausgebildete Stimme mit klaren Höhen, kraftvollen Tiefen und schauspielerisch zahlt sich aus, dass er viel Erfahrung aus anderen Musical-Hauptrollen mitbringt.

Eine ehrliche Haut mit viel menschlicher Wärme verkörpert Abla Alaoui als Produktionsassistentin Betty Schaefer. Dass nur diese frische und unbefangene junge Frau bei dem eher selbstsüchtigen Joe echte Gefühle freilegen kann, wird amüsant und gut nachvollziehbar erzählt. Der Ex-Ehemann Max von Mayerling (Martin Berger) ist als rührend-liebenswerter Butler zu Diensten und hält nach Kräften mit fingierter Fanpost die Illusion des längst vergessenen Stars aufrecht. Die Ensemblenummern sind choreographisch gekonnt eingesetzt. Das kleine Live-Orchester wird unter der Leitung von Walter Lochmann mit dynamischer Bandbreite zur Spannung und Atmosphäre vermittelnden Seele der Aufführung. Das Bühnenbild von Helmut Mühlbacher mit einer überdimensionalen, als Filmrolle bemalten Bühnenwand mit Drehelementen, ausfahrbaren Bühnenrequisiten und die zeitgemäß gefertigten Kostüme von Barbara Langbein vermitteln nachvollziehbar die Atmosphäre Hollywoods im Jahre 1949. Die Lichtgebung von Chris Pöschko hält die Spannung aufrecht, unterstreicht das Blendwerk Hollywoods mit seinen "Träumen aus Licht" und den zunehmenden Realitätsverlust der Protagonistin. Der Abgesang der großen Hollywood-Stummfilmzeit, die große Gesten zu großen Gefühlen stilisierte, dürfte zum "Blockbuster" der diesjährigen Frankenfestspiele werden. ferö

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