Mannheim. Emre Akals Theatertexte bewegen sich an den Schnittstellen zwischen analoger und digitaler Welt. Im Studio Werkhaus lodert ein virtuelles Kaminfeuer neben durchgesessenen Vintage-Sesseln, als der aktuelle Hausautor des Mannheimer Nationaltheaters sich vorstellt und Einblicke in das gerade entstehende Auftragswerk „Es sagt es liebt uns“ gibt, das am 31. Januar 2026 uraufgeführt werden soll.
„Das Knistern der Pixel“ ist die moderierte Lesung überschrieben. Rund 40 Menschen sind gekommen, um dem Gespräch des mehrfach ausgezeichneten Dramatikers und Regisseurs mit Dramaturgin Olivia Ebert sowie Auszügen aus älteren Stücken zu lauschen – und sich 90 erkenntnisreiche Minuten später zu fragen: Ist das die Zukunft des Theaters?
Nationaltheater Mannheim: Hausautor Emre Akal wandert in die virtuellen Welten
Akal wurde 1981 in München geboren. Seine türkischen Eltern waren in den 1970er-Jahren aus politischen Gründen nach Deutschland emigriert. Die eigene Biografie spiele in seiner Arbeit keine Rolle, betont er. Viel mehr interessiere ihn ein anderer, jeden Menschen betreffender Aspekt von Migration: die voranschreitende digitale Transformation und die damit verbundenen Wanderungsbewegungen in virtuelle Welten.
Generationenkonflikte zwischen „Digital Natives“ und denen, die sich verzagt an den Rändern des analogen Zeitalters festklammern, thematisiert er in der 2022 uraufgeführten „Göttersimulation“ und im zwei Jahre zuvor veröffentlichten „Hotel Pink Lulu“, in dem sich Sehnsüchtige und Ausgegrenzte ihre Identität in einer digitalen Arche selbst erschaffen können - sofern sie sich schnell genug durch die Wahlmöglichkeiten arbeiten und ihre Antworten von der sie befragenden Künstlichen Intelligenz nicht als „ungenügend“ bewertet werden.
Eine Kostprobe aus dem neuen Stück des Nationaltheater-Hausautors
Emre Akal kann gut erklären, was ihn umtreibt. Das Phänomen KI sei schon viel tiefer in unseren Alltag eingedrungen, als die meisten Menschen wahrhaben wollten, ist er überzeugt. Als Malerei-affiner „Gamer“ der ersten Generation verbindet er seine Faszination für technologische Entwicklungen mit philosophischen Fragen: Was ist der Mensch? Was macht ihn aus? Auch er selbst lasse sich von einer KI assistieren - sicher, dass sie „unsere Kreativität noch braucht“.
Sein kurzer Live-Dialog mit ChatGPT wirkt, als würden zwei Kumpels miteinander quatschen. „Kannst du denken?“, fragt er in sein Smartphone. Zurück kommt die belustigte Antwort: „Ich tu nur so.“ Zusammen mit den NTM-Ensemblemitgliedern Maria Helena Bretschneider, Elodie Toschek und Boris Koneczny liest er eine Kostprobe aus seinem neuen Stück „Es sagt es liebt uns“ über eine Modular-Organische-Neuro-Intelligenz, kurz: MO-NI, die dem Witwer Erich K. im Haushalt zur Hand gehen soll, und verrät: „Moni wird zur Atombombe.“
Warum er sich gerade die Bühnenkunst als Ausdrucksform gewählt habe, will eine Zuhörerin wissen. Theater sei die älteste Kunstform der Menschheit, antwortet Emre Akal: „Das will ich bewahren und verändern.“ Die eigene Neurodivergenz, zu Schulzeiten Anlass sich als „Glitch“ (eine Störung in einem technischen System) zu fühlen, führe zu seiner collagen- oder treffender: „tabulatorenhaften“ Erzählweise. Dass seine Texte beim Lesen sehr formal anmuteten, sei ihm bewusst: „Aber, das ist mir wichtig: Sie entstehen mit den Spielenden zusammen.“
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