Heidelberg. Der Roman „Momo“ von Michael Ende stammt bereits aus dem Jahr 1973, begeistert aber noch stets Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Die Geschichte um ein kleines Mädchen mit großer Gabe hat Vita Huber für das Junge Theater Heidelberg als Bühnenfassung umgesetzt. Bei der ausverkauften Premiere am Sonntagnachmittag fieberten 266 große und kleine Zuschauer im Alten Saal mit.
Momo (Anna Sonnenschein) ist ein kleines Mädchen mit dunklem Lockenkopf, das in einem alten, zerfallenen Amphitheater lebt. Doch das mittellose Kind hat eine besondere Gabe: Es kann besonders gut zuhören und damit die Fantasie der Menschen anregen. Gleichzeitig schafft sie es, Frieden zwischen Streitenden zu schlichten und ihren Freunden zu zeigen, dass sie liebenswert sind. Fremdenführer Gigi (Timo Jander), der auch als Erzähler des Stücks für den roten Faden sorgt, schildert Anekdoten dank Momo viel lebendiger, während der etwas schrullige, gutmütige Straßenkehrer Beppo (Massoud Baygan) sich endlich angenommen und gehört fühlt.
Das Stück verzaubert jede Altersgruppe auf andere Weise
Alles könnte harmonisch sein, wäre da nicht die Bedrohung durch eine Gruppe seltsamer Herren. Die Männer sind nicht nur komplett in Grau gekleidet, sie rauchen auch nahezu ununterbrochen Zigarren. Schließlich entpuppen sich die Grauen Herren als skrupellose Agenten der Zeitsparkasse. Indem sie die Menschen davon überzeugen, dass sie ihre Zeit für unnötige Tätigkeiten verschwenden und stattdessen die gesparten Minuten und Sekunden auf einem Konto anlegen sollten, stehlen sie ihnen in Wahrheit deren kostbare Lebenszeit. Um keine Zeit mehr zu verschwenden, beginnen die Bewohner schließlich zu hetzen. Plötzlich ist das Leben in dem Ort nicht mehr so gelassen, wie es einst war.
Zunächst bringen die Grauen Herren (Hardy Emilian Jürgens und Morris Weckherlin) die Friseurin Frau Fusi (Susanne Berckhemer) dazu, ihren Wellensittich Herbert im Tierheim abzugeben und ihre taube Mutter in ein Altenheim zu bringen. Viele Eltern haben keine Zeit mehr für ihre Kinder. Statt ihnen abends selbst eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, schenken sie ihren Sprösslingen Hörspiele und geben ihnen mehr Taschengeld. Manche landen im Kinderdepot. Nino (Weckherlin) und Liliana (Leonie Kolhoff) haben ihr gemütliches Restaurant, bei dem man einst „Futtern wie bei Muttern“ konnte, in ein unpersönliches Schnellrestaurant umgewandelt. Und Gigi, der inzwischen reich und berühmt, aber nicht glücklich ist, klagt: „Am schlimmsten ist es, keine Träume mehr zu haben. Das ist wirklich die Hölle.“
Jetzt kann nur noch Momo den Menschen helfen, sich gegen die Zeitdiebe durchzusetzen. Unterstützt wird sie dabei einerseits von der Schildkröte Kassiopeia (Kolhoff), die eine halbe Stunde in die Zukunft sehen kann. Andererseits weiß Meisterin Hora (Berckhemer), wie Momo den Grauen Herren die Macht entziehen kann.
Das spannende Familienstück für Klein und Groß verzaubert jede Altersgruppe auf andere Weise. Während die jüngsten Gäste die Identifikation mit der kindlichen Heldin suchen, regt das Thema Zeit die Erwachsenen zum Nachdenken an. So stehen die Grauen Herren, die zwar eine menschliche Gestalt angenommen haben, aber nicht human sind, für abstrakte Zeitfresser im Alltag. Gleichzeitig ist die Konfrontation mit den rauchenden Zeitdieben ein Appell für mehr Qualitätszeit und weniger verschwendete Lebenszeit. Horas Worte wirken daher wie eine wichtige Mahnung: „Jede Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist verloren.“
Ein Highlight ist der Einsatz der hauseigenen Videografie
Das Bühnenbild bleibt minimalistisch, so dass nichts von der einfühlsam erzählten Geschichte ablenkt. So verwandeln etwa drehbare Säulen den Raum in ein altes Theater, dann entsteht aus diesen Kolumnen Ninos Restaurant. Trotz einer überschaubaren Menge an Requisiten ist es Annette Wolf (Bühne und Kostüme) gelungen, die jeweils passende Atmosphäre zu kreieren. Ein Highlight ist der Einsatz der hauseigenen Videografie (Hanna Green). Die Grauen Herren werden wie ein Hologramm auf eine transparente Leinwand projiziert. Dabei entsteht die Möglichkeit, Spezialeffekte in das Drama einzubauen. Unter wohlverdientem Applaus verabschiedet sich das achtköpfige Ensemble.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/kultur_artikel,-kultur-momo-am-jungen-theater-heidelberg-kampf-gegen-graue-zeitdiebe-_arid,2258193.html