Zum Genom von Port25, dem Mannheimer Raum für Gegenwartskunst, gehört der Austausch - von Künstlern untereinander, aber auch über politische Grenzen hinweg. Das deutsch-polnische Ausstellungsprojekt „Harte Zeiten“ geht noch auf Leiterin Stefanie Kleinsorge zurück, die im Februar 2020 nach Ludwigshafen wechselte. Ein ganzes Team von Kuratoren, darunter in Mannheim Yvonne Vogel und Galeristin Kim Behm, wählte rund 20 deutsche und polnische Künstlerinnen und Künstler aus, von denen die Hälfte zeitgleich im Port25 und in der Galerie Miejska BWA in Mannheims Partnerstadt Bydgoszcz ausstellt: bis 12. September. Ab 24. September ist dann die Mannheimer Schau in Bydgoszcz und die aus Bydgoszcz hier zu sehen.
Trotz eines politisch-kulturellen Hintergrunds, wie er zurzeit schwieriger kaum sein könnte, erweisen sich Kreativität, Einfallsreichtum, Ängste und Wünsche hier wie da als so individuell wie grenzüberschreitend - eine polnische Gegenwartskunst in nationaler Prägung gibt es offenbar so wenig wie eine deutsche: Kunst ist Kunst und ungebremst vielfältig.
Beim Blick in den Ausstellungsraum nehmen zwei Könner sofort gefangen - Globetrotterin Sophie Innmann mit einem doppelten Sandhaufen und Uwe Ernst mit zwei großen schwarzen Kreidezeichnungen. Die Sandhaufen sind ein interaktives Angebot, die Kreidezeichnungen dagegen Angebot zum Hingucken und Sichverlieren in faustisch-wissenschaftlichen Träumen und Alpträumen. Wer also geglaubt hätte, es handle sich um eine politisch hintersinnige Sisyphos-Arbeit, wenn zwei Besucher jeweils die Schaufel ergreifen und den Sand von einem Haufen zum andern tragen - Irrtum! Es ist eine existenziell sinnlose Arbeit überall, wir vollziehen sie selber täglich.
Schutzfolie vor Frost
Der zweite Hingucker ist ein gedeckter Tisch, Überbleibsel einer Performance von Dorota Scisla, die sich subtil mit der Spannung zwischen Gesellschaftsregeln und einem so archaischen Handeln wie der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Anhand der Fußspuren, die eng um den Tisch herum laufen, scheint bereits die Suche nach dem Sitzplatz ein kleines Ritual, und ins Besteck eingraviert sind Verhaltensregeln: nicht schmatzen, langsam essen. Eine andere Installation von ihr besteht aus Vliesmasken, die an Corona-Masken erinnern, sich aber dem Bestand von Bäumen widmen, wie aufgestickten Schriftzeichen und Symbolen zu entnehmen ist. Der Vliesstoff aus dem Baumarkt wird eigentlich als Schutzfolie für frostempfindliche Pflanzen benutzt.
Die Corona-Pandemie hat auch zur Auseinandersetzung motiviert. Julia Braciszewska legte eine Art Tagebuch aus der Isolation an, Sebastian Trzoska steckte die drei Wörter für die einfachsten menschlichen Handlungen, versehen mit einem „Memento mori“, in Barockrahmen und hängte sie überkopf: Atmen, Anfassen, Küssen. Martina Geiger-Gerlach dagegen konnte sich in einer depressiven Phase nur mit schwarzer Sturmmaske nach draußen begeben: Zur Probe lädt sie Besucher ein, sich so ein Trikot vor Ort zu leihen, nach einer Woche in die Schau zurückzubringen und die Erfahrungen in einem ausliegenden Buch zu notieren.
Die Gegensätze zwischen drinnen und draußen werden auch anders thematisiert. Tomasz Dobiszewski animierte im Projekt „Dom“ (zuhause) 50 Personen, die Konturen Polens aus dem Gedächtnis aufzuzeichnen - was da wohl bei uns heraus käme? Tanja Niederfeld entdeckte dafür den Balkon als Schnittstelle zwischen Heim und Außenfassade und kombinierte ein reales Balkongitter mit einer Serie wunderbar gemalter Miniatur-Balkonbilder. Der drohende Verlust individueller Selbstbestimmung im Zeitalter biometrischer Überwachungsdaten ließ Katinka Theis eine maskenartige Störsoftware entwickeln, mit der die digitale Gesichtserkennung unmöglich gemacht wird. Und wenn Jakub Elwertowski ein „Strand“-Bild herstellt, dann ist nur an der Oberkante ein schmaler Streifen meerblau gemalt, der Rest sind aufgeklebte Zeitungs- und Buchseiten, da rieseln die Wörter und Gedanken wie Sand am Meer.
Bis 12.9. Mi-So 11-18 Uhr, ab 24.9. Wechsel mit Schau in Bydgoszcz.
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