Christuskirche Mannheim

Kantorin Marion Krall orgelt mit vier Händen - und manchmal auch mit vier Füßen

Von 
Hans-Günter Fischer
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Die Neue an der Mannheimer Christuskirche: Marion Krall, jetzt neben Johannes Michel für die Musik zuständig. © Jure Knez

Mannheim. "Fasten ist sonst auferlegt“, sagt Pfarrer Stefan Scholpp. Und etwas, das die Ausnahme bedeutet, keinesfalls die Regel. Derzeit freilich fasten, darben und verzichten alle schon seit langem, ein paar sogenannte Querdenker vielleicht mal ausgenommen. Selbst die Einführung einer Kantorin läuft in Mannheim anders ab als sonst: in deutlich abgespeckter Form. Aber zumindest kann sie stattfinden, wenn auch im Hinblick auf das Publikum natürlich nur mit Anmeldung und einer eng begrenzten Zahl korrekt maskierter Teilnehmer.

Der Chor verteilt sich in der Christuskirche hauptsächlich auf die Emporen, um die 50 Sängerinnen und Sänger sind es, die sich wegen des erforderlichen Sicherheitsabstands sehr weit im Raum verteilen und von der Kantorin Marion Krall - sie ist die Neue - mit entsprechend weiträumigen Gesten erst wieder zum Kollektiv gebündelt werden müssen.

Und so klingt der Choral „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ zunächst entrückt, der Hymnus wirkt fragil gebaut, Corona-Masken-dünn. Aber das ändert sich allmählich, Lichtstärke und Fülle nehmen zu, am Schluss wird wirklich eine Himmelsburg in einer Art Surround-Sound sicht- und hörbar. Solche Raumklangwirkungen erlebt man in Corona-freien Zeiten ziemlich selten. Abstand halten kann auch musikalisch nützen. Immerhin.

„Intimer wird es heute nicht mehr“

Wir nehmen Teil an einem „Evensong“, wie es ihn in der Christuskirche regelmäßig gibt. Es ist ein Sonntagabendgottesdienst mit Kerzenschein und viel Musik, der sich an englisch-anglikanische Gebräuche anlehnt. Diesmal steht auch die bereits erwähnte Einführung auf dem Programm, die „liebe Schwester“ Marion Krall leistet eine Art Amtseid auf das religiöse Grundgesetz: Sie schwört, immer „getreu der Schrift“ zu handeln.

Da sie Pfarrerstochter ist, sollte ihr das nicht schwerfallen. Ihr Abitur hat Marion Krall in Lahr am Schwarzwaldrand gemacht, aber die Pfarrstellen des Vaters wechselten, und als sie dann studierte, lebte sie in Lübeck, München und Paris. Sie war viel unterwegs. „Ich freue mich, dass ich nun angekommen bin“, sagt sie zu ihrer neuen Tätigkeit in Mannheim.

Als wir ihr begegnen, gibt es trotz Corona eine kleine Menschenansammlung aus Chorsängern, Gemeindemitgliedern und Gratulantinnen. „Intimer wird es heute nicht mehr“, lacht sie im Gespräch, das vor dem cockpithaften Spieltisch jener Groß- und Prachtorgel der Firma Steinmeyer beginnt, die einst „Mannheimer Wunderwerk“ genannt wurde. Das Instrument von 1911 ist mittlerweile generalsaniert, mit großem finanziellem Aufwand. Trägt es seinen Beinamen zurecht? Gewiss, erklärt die neuberufene Kantorin, die natürlich auch als Organistin ausgebildet ist und damit vielfach reüssiert hat. Allerdings: „Die Orgel macht es einem nicht besonders leicht.“ Mit einem ganzen Arsenal dynamischer und klanglicher Optionen schafft sie fast ein Überangebot.

Obwohl das Marion Krall kaum schrecken sollte: Seit der Studienzeit in Lübeck spielt sie auch in einem festen Orgel-Duo - also vierhändig und -füßig. Partner ist Lars Schwarze. Damit lassen sich an großen Orgeln nicht bloß mehr Register ziehen, sondern auch alle vier Manuale gleichzeitig bespielen. Geht es um die absolute, maximale Klangdynamik? Nein, sagt Krall, es gehe um den maximalen Schliff, die maximale Ausleuchtung, Differenzierung. Meist in selbstverfassten Arrangements großer Orchesterwerke mit besonders raffinierter Stimmführung, zurzeit etwa geht es um Paul Dukas’ Paradenummer „L’Apprenti Sorcier“ („Der Zauberlehrling“) und deren dynamisch-farbenreiches Klangbild.

Die Zukunft wird gar nicht übel

An der Christuskirche aber soll sich Marion Krall - neben Johannes Michel, ihrem Chef - erst mal um die fünf Chöre kümmern und das künstlerische Potenzial über die langwierigen, leidigen Corona-Fastenmonate hinweg erhalten helfen. Das ist eine Mammutaufgabe, wie Landeskantor Michel unterstreicht. Derzeit gibt es vor allem eher virtuelle Zoom- (nicht Summ-) Proben per Video-Chat, die Chorsänger erhalten ihre Anweisungen, schalten aber selbst ihr Mikro stumm und singen nur für sich. Mit dieser musikalischen Diät sollte es wohl nicht ewig weitergehen.

Marion Krall findet das auch und spielt zum „Evensong“-Finale an der großen Orgel William Harris’ 1948 komponiertes Stück „Flourish for an occasion“: Es besteht aus satten, quasi-orchestralen Gesten, die an einer Aufbruchsstimmung arbeiten. Die Zukunft wird vielleicht gar nicht so übel.

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