An eine Dramatisierung von Ernst Jüngers Erzählung "Sturm" wagte sich jetzt Intendant Hermann Schneider mit einer Uraufführung im Atrium des Mainfranken Theaters Würzburg. Im Mittelpunkt der Schilderung des Alltags in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs steht der Fähnrich Sturm, Doktorand der Philosophie, den Sven Mattke inmitten einer unwirklichen Trümmerlandschaft mit kümmerlichen Unterständen und Erdlöchern, ungeachtet der ständigen Todesgefahr, mit rätselhaftem Gleichmut verkörpert.
Hellwach und doch wie ein Traumwandler bewegt sich Sven Mattke auf einem quadratischen, vom Theaterfoyer durch Glasfronten getrennten Freigelände, das vom Würzburger Theater in diesem Jahr in Betrieb genommen wurde. Es wird dabei zu einer Spielstätte, welche die klaustrophobische Wirkung einer in Grabenkämpfen erstarrten Kriegsmaschinerie wirkungsvoll unterstreicht. Mit "im Sande verbissene Tiere, unter scheinbarer Ruhe vibrierend vor Muskelspiel" vergleicht der Fähnrich die Soldaten, die in den Kampfpausen ihre Gräben ausheben und zu verstärken suchen.
Die Inszenierung greift mit den ausgewählten Textfragmenten über die literarische Vorlage von 1923 insofern hinaus, als sie auf die den Krieg ästhetisierenden Momente verzichtet und sich ganz auf Fähnrich Sturm und seine Überlebensstrategien konzentriert. So lässt Schneider die in der Erzählung genannten Offiziere Döring, im Zivilleben Verwaltungsjurist, und den Maler Hugershoff nur in der Phantasie des erzählenden Fähnrichs Sturm bei den geselligen Abenden im Schützengraben mit Wein und Werken von Juvenal, Rabelais, Balzac, Li-Tai-Pe und Huysmans auftreten.
Sturm offenbart als Alter Ego des Autors ein Spiegelbild der zerrissenen Seele eines Ernst Jünger, der in "Sturm" das Kriegsgeschehen und seine Auswirkungen auf das Individuum weit differenzierter sieht als in seinem ersten Buch "In Stahlgewittern"; in diesem rückt er tagebuchartig die Tatkraft des Einzelnen im Überlebenskampf in den Mittelpunkt. Sturm sieht dagegen deutlich die Sinnlosigkeit des Heldentums als Einzelner, der vollkommen der technisierten Kriegsführung ausgeliefert ist, die für unvorstellbar hohe Verluste unter den Frontkämpfern sorgt. Ein Stellungskrieg, der von mörderischem Artilleriefeuer und sinnlosen Infanterievorstößen geprägt ist, kann selbst mit Gasangriffen nicht mehr zum Sieg geführt werden.
Sturm beklagt die fragmentierte Welt der Moderne; der Mensch werde auf die Funktion "einer spezifischen Zelle" beschränkt. Gefragt sind auf dem Schlachtfeld Soldaten, die eine Handgranate 60 Meter weit werfen können. Zumindest in Gedanken kann sich Sturm der mörderischen Umgebung zeitweilig entziehen, indem er diese - neben sich stehend - als scheinbar Unbeteiligter beobachtet und beschreibt.
Doch auch Stunden der Verzweiflung bleiben nicht aus, in denen Fähnrich Sturm in den Abendhimmel starrt und Gespenster näher rücken sieht. Als dann der Angriff mit einem infernalischen Trommelfeuer losbricht und Panzerketten die schwachen Befestigungen zermalmen, irrt Fähnrich Sturm traumatisiert, nackt und ungeschützt durch die Mondlandschaft. Fast scheint er dem Inferno entronnen zu sein, da trifft es ihn schlafend doch noch und sein Lebenslicht erlischt. Die trügerische Flucht des Fähnrichs aus der Realität ist zu Ende. ferö
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