Journal

Gaza-Konflikt: die Reise nach Jerusalem

Was als vermeintliche "Israelkritik" daherkommt, ist häufig Antisemitismus. Das Land wurde schon gehasst, da war der Staat noch nicht gegründet - Gedanken über den Konflikt zwischen Israel und der Hamas

Von 
Stefanie Ball
Lesedauer: 
Ein Mann betet an der Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt für die von der Hamas entführten Geiseln. © action press

Mannheim. Vor vier Jahren wurde bei einer feierlichen Veranstaltung in Heidelberg eine neue Dialogplattform „Jüdisches Forum“ eingeweiht. Initiiert hatte das Forum die CDU Baden-Württemberg. Auf der Veranstaltung sprach unter anderem Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, und der sagte mit Blick auf den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland: „Wir hatten unsere Koffer ausgepackt, es war klar, wir bleiben in Deutschland. Doch was ist jetzt? Müssen wir die Koffer wieder packen?“

Auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble war in Heidelberg dabei, er ist der Schirmherr der Dialogplattform. Er erzählte, wie ihn jüdische Vertreter schon Jahre zuvor gewarnt hatten, keine Ressentiments gegen Fremde, gegen Ausländer zu dulden. Denn sie wussten, was am Ende immer steht: der Antisemitismus.

Greta Thunberg und due Kuschelkrake

Es ist unerträglich zu sehen, und das ist in den vergangenen Tagen und Wochen ja schon oft konstatiert worden, wie groß die Ablehnung gegenüber Jüdinnen und Juden, gar der Hass in Deutschland ist. Man möchte sich schämen, dass Menschen jüdischen Glaubens im Land der Täter wieder Angst um Leib und Leben haben müssen. Vor acht Jahrzehnten – in Anbetracht der gesamten Menschheitsgeschichte also vor kurzem – hat Deutschland sechs Millionen Juden ermordet. Das ist eine historische Tatsache, und unter dieses Grauen lässt sich kein Schlussstrich ziehen.

Denn der Mensch vergisst gerne. Auch junge Menschen wie Greta Thunberg vergessen, wie sich in Äußerungen zum aktuellen Krieg im Nahen Osten zeigt. Oder sie wissen es nicht besser, was auch keine Entschuldigung wäre. Zum Beispiel, wenn sich die Ikone der Klimaschützer mit einer Kuschelkrake fotografieren lässt und später behauptet, sie hätte nicht gewusst, dass der Krake ein klassisches Symbol in Verschwörungserzählungen ist, in denen reiche Juden die Welt beherrschen.

Oder wenn sie und andere linke Aktivisten Israel als „kolonialistischen“ Fremdkörper im Nahen Osten dämonisieren und dabei geschichtsvergessen übersehen, dass es die Briten waren, die Palästina 1918 eroberten, ehe sich die Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1947, für die Teilung des Gebietes in einen jüdischen und einen arabischen Staat aussprachen.

Woher diese Gleichgültigkeit den Opfern gegenüber?

Der britische Historiker Simon Sebag Montefiore schreibt in einem Artikel, der im Oktober zuerst im US-amerikanischen Magazin Atlantik und danach in der Neuen Züricher Zeitung erschienen ist: „Das Narrativ der Entkolonialisierung hat die Israeli in einem Maße entmenschlicht, dass ansonsten rationale Menschen die Barbarei entschuldigen, leugnen oder unterstützen. Es besagt, dass Israel eine ,imperialistisch-kolonialistische‘ Macht ist, dass Israeli ,Siedlerkolonialisten‘ sind und dass die Palästinenser das Recht haben, ihre Unterdrücker zu beseitigen. Was das bedeutet, haben wir am 7. Oktober alle gelernt.“

Michal Burstein ist Lehrerin am Leo Baeck Bildungszentrum in Mannheims Partnerstadt Haifa. Sie erzählt von einer ehemaligen Schülerin, die beim Musikfestival „Supernova“ in der Negev-Wüste war, wo die Hamas ihr größtes Massaker mit mehr als 260 Toten verübte. Das Mädchen rettet sich mit anderen in einen Müllcontainer. Die Terroristen schießen auf sie, zwei junge Menschen, die sich mit ihr versteckt halten, werden tödlich getroffen, die junge Frau überlebt schwer traumatisiert.

Die Geschichte ist wenige Tage alt, da werden die ersten Kundgebungen für ein „freies Palästina“ in Mannheim und anderswo angemeldet. Wie kann das sein? Woher diese Gleichgültigkeit den Opfern gegenüber? Und was heißt auch schon befreien? Von wem bitte schön? Das können ja nur die Hamas sein, und diese Aufgabe versucht gerade die israelische Armee zu erledigen.

Die Palästinenser sind den Terroristen egal

Denn nicht Israel hat die letzten 18 Jahre im Gaza-Streifen geherrscht, sondern die islamistische Terrororganisation, die nichts für die Verbesserung der Situation der dort lebenden Menschen getan hat. Die Fanatiker haben stattdessen Israel weiter gehasst und ihre gesamte Energie und mutmaßlich europäische Hilfsgelder dazu verwendet, um Tunnel zu graben und den Terrorakt vom 7. Oktober vorzubereiten.

Dass jetzt unzählige Zivilisten im Gazastreifen israelischen Bomben zum Opfer fallen, geht allein auf das Konto der Hamas. Die Europäische Union hat vor ein paar Tagen der Terrorgruppe vorgeworfen, Krankenhäuser und Zivilisten im Gazastreifen als „menschliche Schutzschilde“ zu benutzen. Die Palästinenser sind den Terroristen egal. Sie wussten, dass Israel die Taten vergelten würde, und hofften, dass die Welt die Folgen dieser Vergeltungsschläge – nämlich die Vertreibung und den Tod von Palästinensern – Israel in die Schuhe schieben würde. Wie überhaupt Israel Schuld an vielem, wenn nicht allem ist und besonders hohe Maßstäbe erfüllen muss. „Israelkritik“ nennt sich das dann. Tatsächlich ist es Antisemitismus. Israel wurde schon gehasst, da gab es den Staat noch gar nicht.

Deborah Middelhoff ist Chefredakteurin für Kulinarik-Magazine beim Jahreszeiten Verlag in Hamburg. Bis Februar 2024 noch. Sie hat erklärt, in der aktuellen Lage als Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft nicht mehr in Deutschland arbeiten zu wollen. Die ersten packen ihre Koffer.

Freie Autorin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke