Ausstellung

Fritz Stier zeigt Videoinstallationen im Port 25

"Windstill im Niemansland" heißt die Ausstellung von Fritz Stier, die am 1. Dezember im Port 25 in Mannheim eröffnet wird. Ein Rundgang zeigt fesselnde Details

Von 
Christel Heybrock
Lesedauer: 
Fritz Stier mit seiner Videoinstallation „Seestück“ © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Fritz Stier sei, so Kim Behm, Geschäftsführerin von Port 25 - Raum für Gegenwartskunst, den meisten Menschen in der Region vor allem als Leiter des Kunstvereins Viernheim und als Motivator, Antreiber, Inspirator öffentlicher Projekte bekannt. Auch die Existenz von Port 25 sei letztlich ihm und seinen hartnäckigen Verhandlungen mit den Stadtoberen zu verdanken. Dass Stier aber eigentlich ein Pionier von Videokunst und Performance war und ist, zeigt sich mit der Einzelschau „Windstill im Niemandsland“, in der zwölf große Arbeiten zu sehen sind, darunter acht Videos, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Im Erdgeschoss eine ältere kleine Arbeit: „Cogito ergo sum“ - ich denke, also bin ich: Diesen Satz des französischen Philosophen René Descartes (1596-1650) schrieb sich Stier 1977 auf die Stirn und ließ sich auf dem Monitor allmählich bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen und verschwinden.

Vergrößerte Einzelpersonen

Im Obergeschoss Videostills an den Wänden - aus Videos ausgeschnittene und vergrößerte Einzelpersonen, überzogen partiell mit Farbe und einem in Wasser getränkten Zellstoff, der wie eine fragmentarische Haut auf den Menschen klebt und sie dem Blick teilweise entzieht. Was tun diese Leute? Sie springen in die Luft, sie kämpfen, sie fahren Skateboard, sie verrenken sich, sind immer in Bewegung und doch wie eingefroren unter der weißen Haut.

Dass es Bewegung nicht braucht, zeigen fünf nostalgische Kinderporträts im Zustand von Erinnerung und Vergessen, und ein Kinderdoppelporträt gibt es auch als Video: „Hero und Leander“: Auf zwei Bildschirmen stehen ein Junge und ein Mädchen im Profil einander zugewandt… und können doch wie einst Hero und Leander aus der griechischen Mythologie nicht zueinander kommen.

Der in Mannheim geborene Künstler Fritz Stier mit drei Arbeiten aus der Serie "My Future in the Past". © Manfred Rinderspacher

Auf dem Boden davor sechs Videomonitore, auf denen von Zeit zu Zeit aus einer milchigen weißen Flüssigkeit das eine oder andere nasse Gesicht auf- und nach Sekunden wieder abtaucht.

An der Wand im Hintergrund die Video-Installation „Arkanum“ (2018), ein Begriff aus der Alchemie und Esoterik. Da stehen einzelne nackte Figuren, in durchsichtige Plastikfolie eingewickelt und blind unter einer braunen Papptüte auf dem Kopf.

Mit Folterszenen konfrontiert

Unter verzweifelten Verrenkungen versuchen sie, sich aus der zähen Plastikhaut zu befreien. Indessen sieht man sich im Dunkelraum letztlich mit Folterszenen konfrontiert: Menschen werden über Kopf hängend in ein Wasserbecken heruntergelassen, andere hängen mit erhobenen Armen und hängen und hängen, bis sie herunterfallen. Ganz tödlich scheint aber nichts zu enden, auch nicht das Video „Bodhi“ (2006), bei dem ein Pistolenschuss zwei schlafende Gesichter weckt - sie lächeln. Was bedeutet das alles? „Windstill im Niemandsland“ - Es gehe ihm, sagt Stier, um das „In Between“, den Zwischenzustand, in dem man in der Schwebe ist. Um den Augenblick, wenn der Sprung maximale Höhe erreicht hat. In dem man sichtbar wird und verschwindet. In dem Menschen sich an jemanden erinnern und wieder vergessen. Um die Augenblicke, in denen wir uns aus einer Zwangslage befreien wollen. Um die Sekunde des Fallens, wenn die Arme nicht mehr halten.

Nichts ist wiederholbar

Was Stier hier bewusst macht, ist die Realität unserer Existenz. Vielleicht merkt man es erst, wenn man die Schau verlässt. Was tun Sie draußen, indem Sie Schritte voreinander setzen? Dasselbe wie in den Videos. Kein Schritt ist wiederholbar, jeder verschwindet, indem Sie ihn tun. Keiner Ihrer Atemzüge ist wiederholbar. Während Sie gehen, verändern sich Ihre Körperzellen unwiederholbar, ein bisschen nur, aber mit den Jahren ziemlich viel. Das „In Between“, der Schwebezustand, ist unser Leben - die sichere Dauer, die wir als Grundlage brauchen, ist eine Illusion.

Dies - und den überwältigenden Anblick des „Seestück“-Videos (2008) nehmen Sie mit, wenn Sie gehen. Die schwarzgrünen Wellen, die sich vor Ihnen auftürmen, brechen und sich neu formieren.

Wasser aus einer Perspektive, als wären Sie schiffbrüchig und müssten um ihr Leben kämpfen. Sie sind schiffbrüchig. Und müssen kämpfen. Dauernd.

Freie Autorin MM Kulturredaktion 1974-2001, Fachgebiet Bildende Kunst

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke