Das Interview

ESC-Favorit JJ: „Ich bin ein multikultureller Mensch“

Kontertenor JJ tritt für Österreich mit „Wasted Love“ beim ESC an. Der 24-Jährige verbindet Pop und Klassik – und singt über eine ganz persönliche Erfahrung.

Von 
Steffen Rüth
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Vertritt Österreich beim Eurovision Song Contest in Basel: Sänger JJ (Johannes Pietsch). © picture alliance/dpa/APA

Er ist ausgebildeter Opernsänger, hat schon an der Wiener Staatsoper in Mozarts „Zauberflöte“ mitgesungen, war aber auch 2021 Casting-Kandidat bei „Starmania“. Das Schaffen von Johannes Pietsch (24) alias JJ als facettenreich zu beschreiben, wäre also wohl noch eine Untertreibung. Und sein Song „Wasted Love“, mit dem JJ beim ESC in Basel zu den Favoriten gehört, ist genauso bunt und unvorhersehbar wie sein Interpret – zwischen Klassik und hartem Electro ist in drei Minuten alles dabei. Wir unterhielten uns mit JJ in Wien, wo er zur Welt kam und nach Jahren in Dubai heute auch wieder lebt und sogar noch studiert. Er verriet, wie er sich auf seinen Auftritt vorbereitet, welche Erfahrungen er in Dubai gemacht hat und mit welchem Trick er so ausgeschlafen wirkt.

Johannes, bei den ESC-Wettquoten hältst du dich mit „Wasted Love“ beständig auf Platz zwei, nur knapp hinter dem Topfavoriten Schweden.

JJ: Das ist total der Wahnsinn. Ich fühle mich extrem geehrt.

Ich finde es sehr süß, wie sich die Menschen quasi schon darauf vorbereiten, dass ich für Österreich den Sieg holen könnte.

Was machst du denn, wenn du das Ding in Basel gewinnst?

JJ: Das wäre natürlich ultrakrass, elf Jahre nach Conchita Wurst wieder den Sieg für Österreich zu holen. Jetzt kommen natürlich von überall her die Leute auf mich zu und sagen „Du gewinnst, du gewinnst“. So viel Druck auf einmal (lacht). Ich finde es sehr süß, wie sich die Menschen quasi schon darauf vorbereiten, dass ich für Österreich den Sieg holen könnte.

Als Conchita 2014 mit „Rise Like A Phoenix“ triumphierte, warst du 13.

JJ: Ja, ich erinnere mich gut. Das war das erste Mal, dass ich den Eurovision Song Contest geschaut habe, gemeinsam mit meiner Familie. Wir haben damals in Dubai gelebt und erst sehr spät mitbekommen, dass eine Frau mit Bart zum Songcontest geht. Und dann wurde sogar in Dubai über Conchita berichtet, was nicht sehr häufig vorkommt, denn die queere Community ist ja gewissermaßen dort verbannt. Das hat meine ganze Familie so fasziniert, dass wir die Show auch erstmals geschaut haben. Und seitdem gucken wir den ESC jedes Jahr.

Holst du dir Tipps bei Conchita?

JJ: Ja, total. Ich bin in ständigem Kontakt mit Conchita. Sie unterstützt mich voll, hat mir Mut zugesprochen und mir versprochen, dass sie für alle Fragen, die ich habe, ein offenes Ohr hat.

Johannes Pietsch alias JJ

Johannes Pietsch ist ein Sänger und Kontertenor. Er wurde am 29. April 2001 in Wien geboren und wuchs in Dubai auf. 2016 kehrte die Familie nach Österreich zurück.

Er besuchte die Opernschule der Wiener Staatsoper. 2023 begann er ein Studium an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK), wo er bei Linda Watson studiert.

Pietsch hat an zahlreichen Produktionen an der Wiener Staatsoper mitgewirkt.

2020 nahm er an The Voice UK teil und schaffte es bis in die Knock-outs. Ein Jahr später nahm er an der Castingshow Starmania teil, wobei er es bis in die erste Finalshow schaffte.

ESC-Sendetermine: zweites Halbfinale in Basel am 15. Mai, 21 Uhr, ARD Mediathek; Finale am 17. Mai, 21 Uhr, Das Erste.

Du bist 2016, also mit fünfzehn, von Dubai nach Wien zurückgekehrt, wo du auch geboren bist. Wie hast du Dubai erlebt?

JJ: Ich hatte in Dubai eine wirklich schöne Kindheit. Das Leben dort war spannend und supermodern, es gab die tollsten Sachen. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich ein so privilegiertes Leben führen durfte. Meine Mutter, die von den Philippinen und aus einem nicht so wohlhabenden Elternhaus kommt, hat meiner Schwester und mir auch die nicht so glitzernden Seiten von Dubai gezeigt, das war ihr wichtig. Sie hat uns dahin gebracht, wo die billigen Arbeitskräfte leben und uns klargemacht, dass es nicht alle Menschen so gut haben wie wir.

Dein Vater ist Österreicher. Auf was für eine Schule bist du in Dubai gegangen?

JJ: Auf die German International School. Wir waren Kinder aus vielen verschiedenen Nationen, bunt gemischt. Diese Vielfalt hat mich schon früh sehr weltoffen werden lassen. Ich bin ein multikultureller Mensch. Dass meine Eltern aus zwei verschiedenen Kulturen kommen, hat es mir leicht gemacht, Verständnis und Interesse für unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu entwickeln.

Die Musik, die ich mache, gibt es nicht so oft, aber sie entspricht exakt meinem künstlerischen Ich.

Du kommst aus der klassischen Musik, warst in deiner Jugend auf der Wiener Opernschule und bist ausgebildeter Countertenor. Aber du hast auch 2020 an „The Voice UK“ und 2021 an der Castingshow „Starmania“ teilgenommen. Wo siehst du dich musikalisch?

JJ: In der perfekten Nische (lacht). Die Musik, die ich mache, gibt es nicht so oft, aber sie entspricht exakt meinem künstlerischen Ich. Für mich ist es kein Problem, Pop und Klassik gleichzeitig zu lieben und zu singen.

In „Wasted Love“ kombinierst du denn auch Operngesang und eine Art Gewitter aus elektronischem Pop. Wirst du dich irgendwann zwischen den Stilen entscheiden wollen?

JJ: Das ist natürlich eine Frage, die ich mir selbst jeden Tag stelle. Solange beides funktioniert und mir beides Spaß macht, werde ich auch beides gerne fortführen.

Wie ist „Wasted Love“ überhaupt entstanden?

JJ: Es geht in dem Song um meine persönliche Erfahrung mit einer unerwiderten Liebe. Das war eine schwere Zeit für mich letztes Jahr, als ich das alles durchmachen musste. Den Song schrieben wir im vergangenen Sommer zu dritt in Berlin, eine Songwriterin, der Produzent und ich. Das war dann erstmal wie eine Therapiestunde für mich. Ich habe mich bei der Songschreiberin Teodora Špiric ausgeheult, und dann haben wir den Text geschrieben, während der Produzent melancholische Akkorde gespielt hat. Dann nahm ich meinen Gesang auf, und wir dachten, es muss noch irgendwas Peppiges in den Song rein, das die Leute total überrascht.

Du hast den Song dann beim ORF, dem Österreichischen Rundfunk, eingereicht. Wie ging es weiter?

JJ: Ich wurde eingeladen, habe zweimal vorgesungen und kam in die Schlussrunde mit fünf Acts. Dann haben sie sich für mich entschieden. Den Anruf bekam ich mitten auf der Kärntner Straße, der Wiener Fußgängerzone, ich war eigentlich gerade auf dem Weg zur Uni. Ich fing direkt an zu weinen, und alle haben mich angestarrt (lacht).

Du studierst an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, hast aber längst regelmäßig Engagements an der Staatsoper und der Volksoper. Jetzt auch noch der ESC. Bekommst du noch genug Schlaf?

JJ: Nein, ganz sicher nicht. Auch meine Freundinnen und Freunde, die ich manchmal quasi mitten in der Nacht treffe, weil vorher keine Zeit ist, sind schon ein bisschen besorgt, dass ich so wenig schlafe. Ich versichere ihnen immer, dass ich ein Mittagschläfchen einplane. Ich versuche mich jeden Tag für zwei Stunden hinzulegen, dann ist es egal, wie wenig ich nichts schlafe.

Wie bereitest du dich auf deinen Auftritt in Basel vor?

JJ: Auf Hochtouren (lacht). Gerade mache ich sehr viel Sport, um den Klangkörper zu stabilisieren und die Kondition zu verbessern. Ich mache Krafttraining, laufe und konzentriere mich vor allem auf Übungen für den Bauch.

Für Deutschland treten Abor & Tynna an, zwei Geschwister, die ebenfalls aus Wien kommen. Kennt ihr euch?

JJ: Wir haben uns vor kurzem das erste Mal getroffen. Ich kenne ihren Papa ganz gut, weil er an der Staatsoper bei den Philharmonikern spielt, wo ich vor kurzem in der „Zauberflöte“ mitgewirkt habe. Es ist wirklich verrückt, wie klein die Welt ist.

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