Ein marktgängiges Theaterstück über die Wende soll ein junger Autor zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit schreiben. Mit diesem bedeutsamen geschichtlichen Ereignis kann der namenlos bleibende Protagonist wenig anfangen, denn 1989 war er noch ein Junge und lebte weit weg von den politischen Ereignissen auf der Nordseeinsel Föhr.
Zum 30. Jahrestag inszenierte Kevin Barz in der Kammer am Mainfranken Theater Würzburg das Drei-Personenstück „Kein Schiff wird kommen“ von Nils-Momme Stockmann, einem vielfach ausgezeichneten 38-jährigen Schriftsteller, der Theaterstücke, Hörspiele, Lyrik und Prosa schreibt und auf Föhr aufwuchs.
Schwelender Konflikt
Den Nachwuchsautor lässt er auf die – gemeinsame – Heimatinsel zurückkehren, um beim Vater eher lustlos Material für das ihm „abgenötigte“ Stück zu sammeln. Kevin Barz stellt mit Martin Liema als Sohn und Georg Zeies als Vater eine nicht aufgearbeitete Familientragödie in den Mittelpunkt; die von Christina Theresa Motsch verkörperte Mutter ist hinter einem überdimensionalen Bilderrahmen in der Bühnenmitte nur schemenhaft zumeist auf einer Couch liegend zu sehen und später mit schauerlichen Ausbrüchen auch zu hören.
Bühnenbildnerin Catharina Bornemann füllt die Wände im engen Wohnzimmer mit unzähligen leeren Bilderrahmen und deutet bereits den schwelenden familiären Konflikt an. Das spießig mit Handkantenschlag drapierte Kissen auf dem Ikea-Sofa ist nichts anderes als das Tatwerkzeug eines verzweifelten Vaters, der damit das Leben seiner in den Wahnsinn abgleitenden Ehefrau beendet.
Doch gesprochen wird darüber bei dem Besuch des Sohnes zunächst mit keiner Silbe. Nur banale Dinge kann der biedere und altväterlich auftretende Vater über seine Erinnerungen an den Mauerfall erzählen, die den lustlos zuhörenden Sohn nur langweilen.
Gelangweilter Sohn
Der sich auf der Höhe der Zeit wähnende Sohn fühlt sich dem Alten haushoch überlegen und muss dann doch erkennen, dass er ihm gegenüber nichts anderes versucht, als seinen Überdruss und seine Unzufriedenheit über die eigene berufliche Situation in einer von ökonomischen Zwängen geprägten Theaterwelt auszuspielen. Wenn Nils-Momme Stockmann die mit Mikrofon aufgenommenen Erinnerungen des Vaters vom gelangweilten Sohn in dem geplanten Stück über die Wende einflechten lässt, ahnt es der Zuschauer schon: Das Vorhaben kann nur scheitern. Doch der vom Sohn vorgetragene Bericht hinterlässt nachhaltige Fragestellungen.
Fiktion und Realität
Was ist Fiktion, was ist Realität und welche autobiografischen Bezüge gibt es? Schon bei der Begrüßung ist dem Sohn die Umarmung des Vaters unangenehm und man schweigt sich an. Penetrant streut der Vater in seine kargen Bemerkungen ein, wie sehr er sich jedes Mal über die seltenen Besuche des Filius freue.
Den nerven die unvermeidlich folgenden Rituale des Vaters. Provoziert von der Larmoyanz des Sohnes, bricht es unvermittelt aus dem Vater heraus. Nicht die Erlebnisse zur Wendezeit haben ihn berührt, sondern das Dahinschwinden seiner geisteskranken Frau, an deren langsames Erlöschen sich jetzt auch der Sohn mit Schrecken erinnert. Das an Monologen reiche, mit unterschwelliger Ironie geschriebene Stück verrät seine Hauptfiguren in keiner Szene; es hat sich auch als von Radio Bremen produziertes Hörspiel bewährt. Die Dialoge zwischen Vater und Sohn leben von dem Ungesagten zwischen den Worten. Diese Kunst beherrscht Stockmann meisterlich.
Dem Schauspieler-Duo gelingt es, das von der Regie als Zwei-Personenstück interpretierte Stück mit schütteren Dialogen so auf die Bühne zu bringen, dass trotz der gegensätzlichen Charaktere von Vater und Sohn eine fast verschüttete Empathie wie ein zartes Pflänzchen aufblüht.
Ein warmherziges, betroffen machendes Stück, das von den Zuhörern stark beklatscht wurde. ferö
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