"Siegfried" ist heute, Donnerstag ist "Martha" - diese klare Aussage in einem ansonsten immer verwirrenderen Gespräch, in dem unter anderem ein Drache und ein Riesenschnauzer eine Rolle spielen, ist das Leitmotiv in Loriots Sketch "An der Opernkasse". Dem Meister der Ironie hätte es sicher gefallen, dass seine eigene, Kult gewordene Inszenierung von "Martha", der Oper von Friedrich von Flotow, ausgerechnet am Donnerstag als Gastspiel des Münchner Gärtnerplatztheaters in Heilbronn Premiere hatte.
Loriot hatte die "romantisch-komische Oper" 1986 für die Stuttgarter Staatsoper inszeniert. Von dort wechselte sie 1997 an den Gärtnerplatz und für deren 108. (!) Vorstellung war nun Heilbronn Schauplatz.
Loriot ist kein Stückezertrümmerer (er verwahrte sich aber auch dagegen, dass seine Inszenierung als harmlose Opernparodie gedeutet wurde). Nein, er wollte lediglich einer ernst gemeinten Oper mit subtiler Ironie und hintergründigem Humor die biedermeierlich-bürgerliche Behaglichkeit austreiben.
Loriot lässt in "Martha" der Handlung, dem Liebesgeschehen zwischen Lady Harriet und Lyonel, zwischen Nancy und Plumkett, ihr Recht; er erzählt die Geschichte um die beiden gelangweilten englischen Damen, die sich als Mägde verdingen, bei ihren "Herren", zwei alleinlebenden Landmännern, Gefühle auslösen und nach Irrungen und Wirrungen geradewegs in den Ehehafen segeln, da sich Lyonel glücklicherweise auch noch als Grafenspross herausstellt - diese ganz und gar konventionelle Geschichte erzählt er ganz konventionell.
Aber er flicht eine Menge von Nebengeschichten, von kleinen, nicht aufdringlichen Gags ein; und immer, wenn es auf der Bühne sentimental zu werden droht, setzt Loriots Inszenierung einen szenischen Kontrapunkt: Lyonel singt "Ach so fromm, ach so traut" - und aus dem Bühnenwald kracht ein Ast auf die Bühne. Oder: Die Lady schmachtet "Der Lenz ist gekommen, die Rosen erblüh'n" - und sucht verzweifelt nach Lyonels Ring in ihrer mit allerlei für Frauen Notwendigem vollgestopften Handtasche.
Die Ironisierung des bürgerlichen Heldenlebens, seiner Mütter und Möpse - keiner verstand sich darauf so gut wie Loriot. Bei "Martha" fängt das schon vor dem geschlossenen Vorhang an: Ein Hornist setzt sich an den Bühnenrand, bläst in der Ouverture mit seligem Lächeln eine wunderschöne Melodie - und wird gleich darauf von einem Bobby von der Bühne geschickt, dem nichts schlimmer zu sein scheint, als dass sich Musikanten hier niederlassen.
Wir sind also in England - nicht in dem der Königin Anne, in die Flotows Librettist Wilhelm Friedrich die Szene verlegte, sondern bei Queen Victoria. Loriot selbst sorgte für die viktorianische Ausstattung und die Kulissen im Stil eines Papiertheaters für Kinder. Da schubst dann schon mal eine riesige Hand aus den Kulissen den in Gedanken versunkenen Hauptdarsteller an, damit die Geschichte weitergehen kann.
Die netten Einfälle sind Legion. Es erklingt zum Beispiel beim Auftritt von Lord Tristan bei den beiden Damen, deren Verhältnis entschieden über das von Lady und Gesellschaftsdame hinausgeht: der Tristanakkord. Kann doch gar nicht sein, denn Wagners "Handlung" hatte ja erst 15 Jahre nach der "Martha" Premiere. Macht aber nichts: Denn auch Flotow war mit Anleihen - zum Beispiel bei Jacques Offenbach oder Carl Maria von Weber - nicht zimperlich. Schließlich tritt dann auch noch, in der Waldszene, der Meister (Richard Wagner) selbst auf als biertrinkender und bedeutend guckender Besucher des Ausflugslokals auf. Und verlässt empört die Szene, als das Orchester nach einem Tannhäuser-Zitat auch noch seinen "Fliegenden Holländer" in Flotows Musik schmuggelt.
Überhaupt die Biergartenszene: Wer außer Loriot könnte so treffend die Gesellschaft von Trinkern, Turnern und einem völlig lustlosen Kellner zeichnen, der einzelne Biere auf dem Gnadenweg zuteilt ?
Im Haus von Plumkett sind die Zuschauer mittendrin in der Welt von Loriot: Ein Männerhaushalt, in der das Bild einer spärlich, nein gar nicht bekleideten Frau nur umgedreht wird (Rückseite: die Queen), wenn Besuch kommt. In dem es eine Mops-Gedächtnisecke gibt, eins der Bilder schief über dem Kamin hängt und zum Finale das Sofa in die Mitte gerückt wird.
Überhaupt das Finale: Übergroß und griesgrämig ("We are not amused") blickt Queen Victoria auf die Bühne, um dann in einer Apotheose gen Himmel zu entschwinden und als Statthalter eine übergroße Teekanne zurück zu lassen.
Jetzt hat der Rezensent sich von der Begeisterung für Loriots Inszenierung so weit forttragen lassen, dass kaum noch Platz für die aktuellen Protagonisten bleibt. Das ist unverzeihlich, denn gesungen wurde auf hohem Niveau: von Johannes Chum mit strahlendem Tenor, Holger Ohlmann mit noblem Bariton, Sandra Moon als munter zwitschernder Lady Harriet und Ann-Katrin Naidu als warmen Mezzo verströmender (und als einzige absolut textverständlicher) Nancy. Der große Chor meisterte seinen Part mit Exaktheit und Spielfreude, und Michael Brandstätter war mit dem Orchester den Sängern ein einfühlsamer Begleiter. Das Premierenpublikum war aus dem Häuschen: Ein Muss für Opernliebhaber.
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