"Die Leiden des jungen Osman" - Stück von Sema Meray an den Kammerspielen des Theaters Heilbronn uraufgeführt

Die Familie, die Ehre, die Freiheit

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Mut zur Freiheit: Serkan Durmus (Osman)und Banafshe Hourmazdi (Hülya).

© Thomas Braun

Nicht Berlin, nicht Oberhausen: Offenbach, Pforzheim und Heilbronn sind die deutschen Städte mit dem höchsten Anteil an Einwohnern mit Migrationsgeschichte. In Heilbronn liegt er bei 46 Prozent, bei den Jugendlichen unter 18 Jahren sind es über 60 Prozent.

Da steht es einem Theater, das nicht museale Anstalt sein will, gut an, die Lebenswelt von "Zuwanderern" zum Thema zu machen - wobei "Zuwanderer" das falsche Wort ist, denn die meisten Einwohner mit Wurzeln in anderen Ländern wurden in Deutschland geboren. Das Theater Heilbronn hat das nun - nicht zum ersten Mal - getan mit der Uraufführung des Stückes "Die Leiden des jungen Osman", das die Schauspielerin und Autorin Sema Meray für Heilbronn geschrieben hat und dessen Realisierung vom Stuttgarter Kunstministerium mit einem hohen Betrag gefördert wurde. Am Freitag war in den Kammerspielen Premiere.

Der Titel des Stücks assoziiert nicht umsonst Goethes Werther: Denn wie dieser ist der junge Osman ein Zerrissener. Zerrissen zwischen der patriarchalischen Welt der Eltern und der Umgebung, der Liebe zu seiner Schwester und dem Wunsch, an der Universität Literatur zu studieren.

Sema Meray, die bei der Uraufführung selbst Regie führte, hat um die Probleme der zweiten (und der ersten) Generation der Zuwanderer aus der Türkei ein Stück Literatur geschrieben, das die Themen Ehre (und Ehrenmord), Respekt in der Familie, die Rolle des Mannes und den Wunsch junger Frauen, eine neue Rolle zu finden, ihr Ausbrechen aus der Tradition authentisch und gleichzeitig reflektierend anspricht.

Der 19-jährige Osman steht zwischen seinen Eltern und seiner Schwester Hülya. Er arbeitet im Exportgeschäft des Vaters mit, obwohl er lieber studieren würde. Seine große Schwester Hülya hat sich mit ihrem Wunsch zu studieren durchgesetzt. Ihre Ansichten - sie will nicht heiraten, sie will an der Uni frei sein - entfremden sie ihren Eltern, die zusätzlich durch die Tugendwächter der türkischen Gemeinde unter Druck gesetzt werden.

Hülyas Lebensweise wird zur Frage der Ehre für die Familie. Osman soll eingreifen, fordert sein Freund Oliver, der zum Islam konvertiert ist und der sich mit der ganzen Unduldsamkeit des Proselyten im Besitz der absoluten Wahrheit glaubt: "Es gibt entweder die Wahrheit oder es gibt keine Wahrheit."

Solche schwarz-weiße Gewissheit hat kein Mitglied der Familie Osmans. Osman zweifelt, ob er ins Geschäft seines Vaters eintreten soll. An der Mutter nagt die Erkenntnis, dass ihr Mann sie nicht liebt. Der kranke Vater träumt sich in seinen Heimatort an der türkischen Küste zurück.

Mit einem Ensemble fast ausschließlich aus Gästen - Serkan Durmus spielt den Osman, Banafshe Hourmazdi die Schwester Hülya, Serpil Simsek-Bierschwale die Mutter und Nizam Namidar den Vater, Oliver Firit aus dem Heilbronner Ensemble den Oliver - und einer Sprache, in der Deutsch mit Türkisch durchsetzt ist und damit auch die Zerrissenheit der Akteure spiegelt, gelingt es der Autorin/Regisseurin, in wenigen Szenen die Problematik aufzuzeigen. Das zurückhaltende Spiel der Protagonisten sorgt dafür, dass man als Zuschauer nie das Gefühl hat, hier würden Klischees bedient.

Strukturiert werden diese "realistischen" Teile durch Erinnerungen Osmans an seine Kinderzeit, als ihm seine Schwester Mut zur Freiheit beibringen wollte. Ins Bild gesetzt ist das durch eine antike Ruine, von der Osman ins Meer springen soll - und sich nicht traut.

Die Situation in Osmans Familie eskaliert, als Hülya auszieht, der Vater Osmans Zulassungsbescheid zur Universität zerreißt und die Mutter die vermeintliche Ehre des Hauses blutig wieder herstellt. Osman trifft eine Entscheidung, er klettert auf die Ruine und - springt.

Sema Meray hat - man muss es so sagen - ein berührendes Stück geschrieben und umgesetzt. Ein Stück, das dem Theater Heilbronn - nicht als moralische Anstalt, sondern als Begleiter gesellschaftlicher Fragen und Entwicklungen - gut zu Gesicht steht. Viel Beifall. Jürgen Strein

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