Mannheim. Die Premiere des Deutschen Jazzpreises ist am Donnerstagabend als gelungener, musikalisch beeindruckend vielfältiger Live-Stream über vier Bühnen gegangen. Dass die Bühne des Mannheimer Ella & Louis darunter war, kann man als große Wertschätzung für Thomas Sifflings Jazzclub werten.
Ansonsten spielte sich die von Pinar Atalay (NDR), Nicole Köster (SWR), Ulrich Habersetzer (BR) und Ulf Drechsel (RBB) moderierte Award-Show in Millionenmetropolen ab: in einem Hamburger Studio sowie in den Clubs Unterfahrt München und A-Trane Berlin kam dank vieler musikalischer Einlagen tatsächlich so etwas wie Live-Gefühl auf. Ins Ella & Louis führte auch die erste Live-Schalte. Atalay pries den Club „als einen d e r deutschen Jazzläden überhaupt, in einem wunderbaren Mannheimer Rosengarten“.
Rhein-Neckar-Szene geht leer aus
Ansonsten ging die starke Jazz-Szene des Rhein-Neckar-Deltas leer aus: Nominiert war ohnehin nur Bassist Robert Landfermann. Der Professor an der Mannheimer Musikhochschule ist als Musiker in der Region allerdings nicht sehr präsent. Die wie alle Preise mit 10 000 Euro dotierte Bass-Kategorie gewann die große Eva Kruse, aus Schweden ins Ella & Louis zugeschaltet. Immerhin neun Jahre in der Quadratestadt gelebt hat Vibraphonist und Städtebau-Theoretiker Christopher Dell. Der 55-jährige gebürtige Darmstädter wurde in der Kategorie „Besondere Instrumente“ geehrt.
Dafür waren die Live-Auftritte im Ella & Louis hochkarätig: Die deutsch-libanesische Band Masaa entführte in die arabische Region des Weltjazz – ohne Klischees zu bemühen. Für „Irade“ wurden sie mit dem Jazzpreis für das Vokalalbum des Jahres ausgezeichnet. Saxofonist Olaf Schönborn spielte dabei zum ersten Mal an diesem Abend die „Preisfee“, wie Moderatorin Köster treffend anmerkte. Pianist Florian Ross, ausgezeichnet für die Komposition „Streamwalk“, beeindruckte im Trio und zeigte sich erstaunt, „wie viel unterschiedliche Musik und Leute es gibt. Das ist schon Wahnsinn.“ In der Tat waren relativ viele der präsentierten Stile modern und unkonventionell. Die Nominierungsliste bietet dementsprechend eine Vielzahl spannender Höranregungen, nicht nur für Jazz-Puristen.
In Mannheim waren auch die unterhaltsamsten Laudationen zu hören: Soul-Sänger und Juror Max Mutzke verblüffte Gitarrist Ronny Graupe nach „Der Gewinner …“ mit einem Schlag auf die Schulter und „das bist du, mein Freund!“ Die Weinheimer Pianistin Anke Helfrich gab einen tiefen Einblick in die Geschichte des Rhein-Neckar-Jazz, der sich um US-Clubs und den Pionier Wolfgang Lauth drehte, und hielt auf Trompeter Markus Stockhausen die wohl launigste Laudatio der ganzen Show. Aufgezogen an einem Ausflug ihres Musik-Leistungskurses zu den Donaueschinger Musiktagen, wo ihr eben dieser Stockhausen eine neue Klangwelt eröffnet hatte.
Raum für Selbstkritik
Abräumer der Gala war Christian Lillinger. Der Top-Drummer ging zwar in drei Kategorien leer aus, war aber vier Mal nominiert – zweimal in der Kategorie Band des Jahres mit Dell Lillinger Westergaard und KUU! sowie für die Komposition „Thür“. Fast zwingend, dass es nur den Wahl-Berliner, der schon mit 15 in Dresden studieren durfte, als Sieger in der Schlagzeug-Sparte geben konnte. Aus dem Aufgebot der Ausgezeichneten wurde er noch für den Zusatzpreis Künstler des Jahres ausgewählt und von Laudatorin Beate Sampson als „Kreativ-Berserker mit selbstgewisser Haltung“ gewürdigt.
Künstler des Jahres international wurde Tigran Hamasyan aus Armenien, der sich auch die Kategorie Piano/Keybords international gesichert hatte. Wohltuend war, dass sich der Award-Abend anders als viele seiner oft von sich selbst berauschten Vorgänger unter dem Echo-Etikett gegen Ende auch Raum für Selbstkritik verordnete: Pianist Elias Stemeseder von der ausgezeichneten Band Philipp Gropper’s PHILM relativierte die oft gelobte musikalische Vielfalt des Jazzpreises und forderte einen Diskurs um die Unterrepräsentation von schwarzen Menschen und People of Colour in Beirat, Jurys und bei den national Nominierten: „Das ist insofern problematisch, weil Jazz schwarze Musik ist und der Preis vorgibt, Diversität zu fördern.“
Dass nur neun Frauen Preise gewannen, war angesichts der Qualität vieler nominierter Musikerinnen etwas erstaunlich. Ob zum Beispiel ein Mega-Star wie Brian Blade seine Auszeichnung als internationaler Drummer des Jahres überhaupt groß registriert? Die großartige Schlagzeugerin Savannah Harris hätte die Aufmerksamkeit wohl besser gebrauchen können und wäre auch eine würdige Preisträgerin gewesen. Dasselbe gilt für die polnische Bassistin Kinga Glyk.
Hancock würdigt Jahnke
Versöhnlich und etwas glamourös war der Schlusspunkt nach mehr als drei Stunden (etwa zwei waren geplant): Niemand Geringeres als US-Jazzikone Herbie Hancock würdigte mit authentisch warmen Worten den Hamburger Konzertveranstalter Karsten Jahnke: „Danke, mein Freund, dass Du den Weg für mich und all die anderen Artists geebnet hast. Du hast uns die Türen geöffnet. Deshalb gebührt Dir nicht nur ein Dankeschön, sondern auch der Deutsche Jazzpreis für dein Lebenswerk.“ Jahnke reagierte erfreut, aber mit hanseatischer Gelassenheit: „Da ich schon zum zweiten Mal für mein Lebenswerk ausgezeichnet werde, muss ich mit meiner Liebe zum Jazz etwas richtig gemacht haben.“
Preisträger des ersten Deutschen Jazzpreises
- Vokal: Lucia Cadotsch
- Holzblasinstrumente: Daniel Erdmann (Saxofon)
- Blechblasinstrumente: Markus Stockhausen (Trompete)
- Piano/Keyboards: Aki Takase
- Gitarre: Ronny Graupe
- Bass: Eva Kruse
- Schlagzeug/Percussion: Christian Lillinger
- Besondere Instrumente: Christopher Dell
- Künstlerin/Künstler des Jahres: Christian Lillinger
- Band: Philipp Gropper’s PHILM
- Großes Ensemble: Andromeda Mega Express Orchestra
- Blasinstrumente international: Jaimie Branch (Trompete)
- Piano/Keyboards international: Tigran Hamasyan
- Saiteninstrumente international: Wolfgang Muthspiel
- Schlagzeug/Percussion international: Brian Blade
- Künstlerin/Künstler international: Tigran Hamasyan
- Band international: Shake Stew
- Album Instrumental: Julia Hülsmann Quartet - „Not Far From Here“
- Album Vokal: Masaa - „Irade“
- Debütalbum: Mirna Bogdanovic - „Confrontation“
- Rundfunkproduktion: Bill Laurance & WDR Big Band Cologne - „Live at the Philharmonie Cologne“ (WDR)
- Album Instrumental international: Carla Bley - „Life Goes On“
- Album Vokal international: Kandace Springs - „The Women Who Raised Me“
- Debütalbum international: Joel Ross - "KingMaker"
- Komposition: Florian Ross - „Streamwalk“
- Arrangement: Fabia Mantwill - „Ophelia“
- Club: Loft (Köln)
- Festival: 44. Leipziger Jazztage
- Journalistische Leistung: Günther Huesmann - „Bird Lives. Zum 100. Geburtstag von Charlie Parker“
- Lebenswerk: Konzert und Festivalveranstalter Karsten Jahnke
- Sonderpreis der Jury: Jazzclub Unterfahrt (München)
So funktioniert der Deutsche Jazzpreis
- Der von Kulturstaatsministerin Monika Grütters initiierte Deutsche Jazzpreis ist pro Kategorie mit jeweils 10 000 Euro verbunden. Er löst damit den in Mannheims Alter Feuerwache verorteten Neuen Deutschen Jazzpreis als höchstdotierte Jazz-Auszeichnung der Republik ab.
- In elf Kategorien konnten Bewerbungen von Künstlerinnen, Komponisten, Labels und Verlagen eingereicht werden.
- Vorschläge für die weiteren 20 Kategorien erfolgten durch eine Fachjury mit jeweils fünf Personen der Bereiche Kreative, Labels/Verlage, Clubs/Festivals, Management/Agenturen sowie Medien.
- Die Hauptjury bestand aus 16 Mitgliedern, die virtuell tagten. Darunter Prominente wie Ute Lemper, Max Mutzke, Thomas Quasthoff und Lyambiko oder Experten wie Journalistin Beate Sampson und Wolfram Knauer vom Jazzinstitut Darmstadt.
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