Im Mai 1816 berichtete der im schottischen Aberdeen geborene Dichter Lord Byron, er sei auf seiner Reise in die Schweiz, von Mainz kommend, auf einer Schiffsbrücke vom linken Rheinufer auf die rechte Seite nach Mannheim übergesetzt. Er hatte keine französische Durchreisegenehmigung und mied deshalb auf der Weiterreise das Territorium Frankreichs. In der Quadratestadt schlief er in einem Haus, in dem es in der Nacht merkwürdige Geräusche gab: Man erzählte ihm, eine Mutter habe dort, um die Heirat des Sohnes mit einem armen Mädchen zu hintertreiben, diesen zur See geschickt. Das Schiff sei wohl gesunken. Aus Gram habe die alte Frau den Verstand verloren, nur noch in Zeitungen nach Nachrichten über den Sohn gesucht und die Geräusche des Zeitungsblätterns seien selbst nach ihrem Tod des Nachts im Haus zu hören.
Mannheim kommt auch in Byrons Werk „Don Juan“ vor, den wir als Frauenhelden „Don Giovanni“ aus Mozarts Oper kennen. Bei Byron ist Don Juan Kurier der russischen Zarin – und den führt eine Dienstreise „durch Mannheim“. Damit ist der lokale Aspekt des Themas keineswegs erschöpft.
Handicap machte Byron körperlich und gesellschaftlich zu schaffen
Der Nachruhm des George Gordon Noel, 6. Baron Byron of Rochdale (22. Januar 1788 – 19. April 1824), ist gesichert, mag auch sein Bild unterschiedliche Facetten aufweisen: Goethe bewunderte ihn, in der britischen Heimat indes gab es noch in unserer Zeit Bestrebungen, den schottischen Dichter des Weltschmerzes aus dem Lehrplan wohl aus Gründen der Sexualmoral zu entfernen. In Aberdeen erinnert eine repräsentative Statue daran, dass Byron hier seine ersten Jahre verlebte.
Der Vater starb früh, erzogen wurde er von der adeligen Mutter Catherine Gordon of Gight und einem calvinistischen Kindermädchen. Ein Handicap machte ihm zeitlebens körperlich wie gesellschaftlich zu schaffen: Er hat einen Klumpfuß. Als Byron zehn Jahre alt ist, stirbt sein Großonkel William, von dem er den Adelstitel Baron, das Anwesen Newstead Abbey und mit Volljährigkeit einen Sitz im Oberhaus, dem House of Lords, erbt. Er wählt einen Platz auf den Oppositionsbänken der Whigs, die für Minderheiten eintraten und sich gegen den Sklavenhandel wandten.
In Byrons Grafschaft Nottinghamshire wurden 1811/12 die Weber durch Teuerung und Einführung der modernen Maschinen brotlos. Sie zerschlugen mechanische Webstühle. Auf dieses soziale Problem fanden konservative Kräfte in Parlament und Regierung eine simple Antwort: Für Maschinenstürmer die Todesstrafe. Byron wollte seine Jungfernrede im Oberhaus der Gleichberechtigung von Katholiken widmen, nun ersetzte er sie durch ein Plädoyer zugunsten der Arbeiter: „Ich habe den Zustand dieser unglücklichen Menschen gesehen, und er ist eine Schande für ein zivilisiertes Land. Ihre Ausschreitungen mag man verurteilen, wundern können sie nicht.“
Das Verhängnis für Lord Byron kam 1815 nach seiner Eheschließung mit Anne Isabella Milbanke. Ist er damals gleich zweimal Vater geworden – durch Kinder seiner Frau und seiner Halbschwester? Diese Frage ließ die Stellung des Dichters unhaltbar werden. Er verließ England endgültig. Sein eheliches Kind kennt man noch heute: Ada Lovelace schrieb in den 1840er Jahren das erste Computerprogramm der Welt. Es gilt als visionär, denn damals gab es noch gar keine Computer.
Byrons Besuch in der Stadt an Rhein und Neckar wirkt nach
Bis heute fasziniert eine weitere Episode aus dem Leben Byrons. 1816 kommt es zum Katastrophenjahr mit dem Sommer ohne Sonne. Das inspiriert eine Dichtergesellschaft um Byron am Genfer See. Daraus entsteht der Roman „Frankenstein“ von Mary Shelley.
Die Begegnung Byrons mit der Stadt an Rhein und Neckar wirkt fort: Es beginnt im 19. Jahrhundert, als der Mannheimer Verlagsbuchhändler Heinrich Hoff 1838 „The complete works of Lord Byron“ in mehreren Bänden übernimmt und als „Henry Hoff“ einen Beitrag zur Byron-Verbreitung hierzulande leistet. Das gilt ebenso für eine Autorin, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dank ihres frühen Beitrags zur Frauenbewegung wiederentdeckt wurde: K. Th. Zianitzka (Kathinka Zitz-Halein) publizierte in den 1860er Jahren “Lord Byron. Romantische Skizzen aus einem vielbewegten Leben“ in mehreren Teilen im Mannheimer Verlag Schneider.
Der nachhaltigste Mannheimer Beitrag zur Byron-Forschung verbindet sich mit dem Wirken des Anglisten, Literaturwissenschaftlers, Übersetzers und Hochschullehrers Hermann Fischer (1922-2009). Der den britischen Dichter betreffende Teil seines Wirkens ist im Buch „Byron-Symposium Mannheim 1982“ dokumentiert (erschienen in Paderborn 1983).
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