Klänge und Harmonien einer heilen Welt, fein abgestimmte Wellenbewegungen von Instrumenten und Chorstimmen. Plötzlich spitze, schrille Stimmen, Schrecken erregende Deklamationen, angstvolles Wispern. Ein mit Händen greifbarer Vulkanausbruch, als ob tönende Lavaströme durch die Portale in die Speyerer Dreifaltigkeitskirche eindringen und von den Qualen des Dreißigjährigen Krieg künden. Schließlich tänzerische Lebensfreude und versöhnend ein Choral von Johann Sebastian Bach.
Florian Helgath mit seinem Gesangsensemble Chorwerk Ruhr und den Bläsern der „Capella de la torre“ hat dieses multiple, erfüllende Erlebnis den Schwetzinger Festspielen beschert. Helgath hat sich an ein ambitioniertes Projekt herangewagt: „Bachs Erinnerungen“. Ausgangsmaterial sind etwa ein Dutzend Motetten aus dem „Florilegium Portense“, einem Fundus des Thomaskantors, vorwiegend Sätze des 16. Jahrhunderts. Die 28 Gesangsstimmen haben solistische Qualität, hervorragend aufeinander abgestimmt und mit Disziplin zu einem Klangkörper geformt. Dazu das ebenso professionelle Bläserensemble um Katharina Bäuml mit zeitgenössischen Instrumenten wie Schalmei, Pommer, Dulzian und Theorbe.
Schimmernde Diamanten sind die vier Stücke von Martin Wistingshausen, einem Ensemble-Mitglied des Chorwerks Ruhr. „Bedrängte Zeit, vergeh!“ hat der 44-Jährige sie überschrieben. In Zeiten von Krieg und Lebenszerstörung widersetzt sie sich mutig den Welten der Renaissance und des Barocks, ohne sich formal zu lösen. Lebte Bach heute, hätte er bestimmt nicht nur „wohltemporiert“ komponiert.
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