Das Interview - Jelena Kordic singt die neue Nationaltheater-Carmen – aber die ist eine ganz normale junge Frau

„Carmen ist auch schüchtern“

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
Lesedauer: 
Die Mezzosopranistin Jelena Kordic, Ensemblemitglied des Nationaltheaters Mannheim, im Gespräch mit Hans-Günter Fischer, Mitarbeiter dieser Zeitung. © Rinderspacher

Mannheim. Sie ist anschließend ein bisschen müde. „Zu viel Deutsch“ sei es gewesen: in einem Gespräch, in dem sie manchmal auch ins Englische hinüberwechselt. Und davor war es schon ziemlich viel Französisch: in der Oper, die gerade in der heißen Probenphase angekommen ist. Aber wer Carmen sein will, muss eben auch leiden. Nicht nur auf der Bühne und im letzten Akt. Jelena Kordic steht das alles dennoch fast euphorisch durch, die junge Mezzosopranistin aus Kroatien hat den notwendigen Drang zur Leidenschaftlichkeit.

Frau Kordic, „Carmen“ ist für viele Klassikfreunde so etwas wie die populärste Oper des Planeten. Alle Welt möchte sie hören. Ist die Carmen aber auch für eine junge Sängerin wie Sie noch immer eine Traumrolle?

Jelena Kordic: Das ist schwer zu sagen. Stimmlich ist die Rolle gar nicht so herausfordernd. Doch dafür ist das Spielen eine große Schwierigkeit, das Suchen nach dem richtigen Charakter-Ausdruck. Und die erste Nummer ist gleich die berühmte „Habanera“, ich muss auf die Bühne kommen und sofort eine enorme Energie ausstrahlen, Sexualität und offensives Balzverhalten (Kordic wählt für Letzteres den englischen Begriff „Flirtation“). Jeder Akt danach verlangt zudem nach etwas anderem. Der erste ist noch eher lyrisch und entspannt, im zweiten gibt es schon mit Don José Probleme, später kommt die traurig dunkle Schicksalskarten-Arie, und im vierten Akt ist Carmen nur noch kalt.

Sie haben sich die Rolle schon in Ihrer frühen Zeit in Zagreb vorgenommen?

Kordic: Ja, aber das war noch auf der Hochschule, zum Master-Studienabschluss. Später sang ich eine ganze Weile eher kleinere und mittlere Partien, ich bin derzeit ja auch erst im zehnten Jahr meiner Karriere. Als ich dann 2017 an das Staatstheater Braunschweig kam, war ich auch Carmen. Mit einer Premiere und etwa zehn Vorstellungen. Insgesamt, in meiner ganzen Laufbahn, waren es wohl um die 13.

Was hält eine junge Frau von heute von dem Bühnenwesen Carmen?

Kordic: In meinem Privatleben bin ich des Öfteren mal so wie sie. Ich bin gewissermaßen Carmen, aber das ist ganz normal: Auch sie ist eine ganz normale Frau – und keine Super-Heroine. Sie ist stark, aber auch schüchtern, manchmal ist sie sogar wie ein Kind. Doch was sie trotzdem immer braucht, ist echte Freiheit, und das kenne ich von mir sehr gut.

Das heißt ja dann, dass Carmen ungeahnt modern ist.

Kordic: Und das wird sie zweifellos für alle Zeiten bleiben. Jede Frau kann sich in Carmen wiederfinden, denn wir alle haben diese Seite auch in uns. Ich schätze, Carmen hatte eine harte Kindheit, war gezwungen, für sich selbst zu sorgen. Später merkt sie schnell, dass Don José nicht zu ihr passt. Sie ist auch egoistisch, Selbstliebe ist ja das Typische in der modernen Zeit. Die Ehe ist nicht mehr so wichtig. Dass Bizet schon damals so etwas beschrieben hat, als es im Grunde noch tabu war, ist unglaublich.

Bei der neuen Nationaltheater-„Carmen“ heißt die Regisseurin Yona Kim. Spielt es in irgendeiner Weise eine Rolle, dass die Deutungshoheit über das nach Männermeinung unergründlich Weibliche in diesem Fall zwei Frauen haben?

Kordic: Yona weiß natürlich noch ein bisschen besser, wie wir Frauen sind. Sie selbst ist eine ausgesprochen starke, fast so etwas wie ein „Role Model“ für Jüngere. Sie sagt: „Du weißt doch, wie die Männer sind. Hast Du je einen idealen Mann gefunden? Ich noch nicht.“ Und in der Oper ist es auch so: Carmen will für Don José ein bisschen tanzen, hat sich extra für ihn hübsch gemacht, doch der muss gleich wieder in die Kaserne. Klar, dass sie verärgert ist. Und schreit. Das kann ich gut verstehen.

Kommen wir zu Ihrer künstlerischen Sozialisation, die in Kroatien stattfand.

Kordic: Wir sind nur ein kleines Land, doch eine große Mischung: Es gibt Deutsches, Italienisches und Slawisches in unserer Kultur. Selbst Türkisches. Als erste Oper sah ich „Tristan und Isolde“, ich war damals 16 Jahre alt – und hörte die Musik „in einem Atem“, wie wir in Kroatien sagen. Wir bevorzugen die „Große Oper“, meistens Wagner oder Verdi. Mozart weniger. „Don Carlos“ und „Aida“ stehen dafür immer auf dem Spielplan.

Hier in Mannheim hörte ich Sie schon als Adalgisa in Bellinis „Norma“, es klang ziemlich expressiv. Sind Sie der Typus Stimm-Tragödin?

Kordic: Jedenfalls vermute ich, dass meine Stimme leider (lacht) in diese Richtung gehen wird. Wagner und Verdi eben: Fricka und Brangäne, in zehn Jahren vielleicht Ortrud oder Kundry. Und auch Eboli oder Amneris in „Aida“. Das ist wohl mein Weg, das fühle ich. Aber es sind ja wunderbare, starke, abgründige Rollen, da ist Adalgisa fast ein bisschen langweilig. Und viel zu brav.

Jelena Kordic und „Carmen“

  • Kordic stammt aus Zagreb, wo sie auch studierte und bis heute immer wieder auftritt. In Kroatien gibt es eine reiche Opernlandschaft und – noch aus der österreichischen Epoche vor dem Ersten Weltkrieg – prachtvoll alte Nationaltheater. Etwa in Rijeka, wo die Mezzosopranistin schon als Lola in „Cavalleria rusticana“ von Mascagni reüssierte. Zu den Dirigenten, unter denen sie bereits gesungen hat, gehört Dmitri Kitajenko.
  • An der Semperoper Dresden war sie seit 2015/16 Mitglied im Jungen Ensemble, später sang sie eine Spielzeit lang am Staatstheater Braunschweig. Danach wechselte sie an das Nationaltheater Mannheim – wo man ihr im Januar auch in der Wiederaufnahme des „Rosenkavaliers“ begegnen kann. Sie singt Octavian, die berühmte „Hosenrolle“.
  • Nächste „Carmen“-Aufführungen: 7., 13., 20., 25., 28. Dezember.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen