Zwei Sichtweisen

Bushido in Mannheim: Unreif oder kompromisslos gegen politische Korrektheit?

7000 Fans feiern Rapper Bushido in der SAP Arena – Jungkritiker Moritz Serif und Altrezensent Jörg-Peter Klotz haben die Show sehr unterschiedlich gesehen

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Moritz Serif
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„König für Immer!“ heißt die Abschiedstour, auf der Bushido am Montag in der Mannheimer SAP Arena rappte. © Rudolf Uhrig

Mannheim. Bushido war lange Jahre der erfolgreichste deutsche Gangsta-Rapper. Wir präsentieren hier zwei Sichtweisen auf seine Abschiedstour, bei der 7000 Fans den 45-jährigen Ex-Aggro-Berliner auf seinem mit Abstand größten Mannheimer Konzert in der SAP Arena ausgiebig feiern – für ein kompromissloses Programm mit dem Heidelberger Animus als Dauergast. Hier lesen Sie die Konzertbesprechung.

Jung-Kritiker Moritz Serif (31)

2018 begegnete ich Bushido zufällig in einem Aufzug bei Axel Springer. Er war mit seinen Bodyguards zu Besuch im Berliner Springer-Hochhaus, vermutlich um die Absage seiner Konzerte und den Arafat-Fall zu besprechen. Zu jener Zeit hatte niemand erwartet, dass Anis Ferchichi, so der bürgerliche Name des Berliner Rappers, jahrelang nicht mehr live auftreten würde. Der Streit mit Arafat Abou-Chaker zwang ihn letztlich dazu, seine geplante Tour abzusagen und markierte DEN Wendepunkt in seiner Karriere. Heute steht Bushido unter Polizeischutz. Zwischenzeitlich litt der einst harte Mann unter Depressionen.

Nichts verlernt in acht Jahren nicht ganz freiwilliger Pause

Von mangelnder Routine war am Montagabend in der SAP Arena trotzdem nichts zu spüren. Bushido hat mit seinem Comeback unter Beweis gestellt, dass er in seiner Abwesenheit nichts verlernt hat. Gekonnt und sicher rappte er zu den Beats, die DJ Marvin California einspielte. Zwischen den Songs schlüpfte er in die Rolle des Moderators und führte unterhaltsam durch den Abend. Verzichten musste er jedoch auf seine Familie, die bei den vorherigen Konzerten dabei war. „Die mussten wieder in die Schule“, erklärte er schmunzelnd.

Das ist nicht mehr derselbe Gangsta-Rapper wie 2018

Vor allem seine Fans dürften seine Live-Auftritte schmerzlich vermisst haben. Es scheint, als habe sich der „alt gewordene“ Bushido mit seiner Rückkehr einen Traum erfüllt. Ob es tatsächlich seine letzte Tour bleiben wird, wie vorab angekündigt, bleibt abzuwarten. Zumindest erscheint es – Stand heute – undenkbar, dass der „King“ wirklich abtreten wird. Hinzu kommt, dass das Leben in Dubai bekanntlich recht kostspielig ist.
Doch ist das noch der Bushido von 2018? Natürlich nicht. In den vergangenen Jahren hat sich vieles verändert. Die Welt, wie wir sie kennen, ist nicht mehr dieselbe. Ein zunehmend spürbarer Wandel macht sich in unserer Gesellschaft breit, geprägt durch einen verstärkten Fokus auf Woke-Kultur und politische Korrektheit. Vieles, was früher sagbar war, wird heute entschärft oder darf gar nicht gesagt werden. Gewisse Twitter-Strömungen scheinen, die Deutungshoheit zu beanspruchen. Dabei gibt es mit zahlreichen Kriegen auf der Welt und der Klimakrise drängendere Probleme in der Welt, die gelöst werden müssen. Es ist schade und zugleich bedauerlich, dass dieser gesellschaftliche Trend dazu führt, dass sich Rap und Hip-Hop für immer verändern werden.

Bushido setzt sich über politische Korrektheit hinweg

Doch „Dark Knight“ Bushido hat bei seinem Konzert in Mannheim den kulturellen Veränderungen getrotzt, indem er sich über politische Korrektheit hinwegsetzt und in alter Manier provoziert. Sehr gut! Viele seiner Fans dürften sich das gewünscht haben. Songs wie „Stress ohne Grund“ und „Sonnenbank Flavour“ haben eingeschlagen. „Stress ohne Grund“ brachte Bushido damals Anzeigen oder Kritik von der Grünen-Politikerin Claudia Roth, dem SPD-Politiker Klaus Wowereit und FDP-Mann Serkan Tören ein. Ob Bushido damit weitermachen kann? Fraglich ...

Spielt nicht nur verbal gern mit dem Feuer: Bushido in der SAP Arena. © Rudolf Uhrig

Der Woke-Wandel betrifft nämlich nicht nur den Berliner Rapper, sondern ist ein Besorgnis erregender Trend, der sich in der gesamten Musikszene abzeichnet. Viele Künstler stehen vor der Herausforderung, ihre künstlerische Integrität zu bewahren, während sie gleichzeitig unter dem Druck stehen, sich an das verändernde gesellschaftliche Klima anzupassen. Die Herausforderung liegt darin, das Gleichgewicht zwischen Authentizität und Anpassung zu finden, ohne die künstlerische Identität zu verlieren.

Dabei sollte Kunst ein Spiegel der Gesellschaft sein – mit all ihren Unvollkommenheiten. Ironischerweise war Rap und Hip-Hop einst ein Genre, das dafür bekannt war, Tabus zu brechen, zu provozieren und zu beleidigen. So wie es im echten Leben ebenfalls Tag für Tag geschieht. Für viele Fans bedeutet das leider, langfristig Abschied von einer Ära zu nehmen, die durch ihre Direktheit, Explizitheit und Aussprache von Tabus definiert wurde.

Altkritiker Jörg-Peter Klotz (57)

Respekt ist im Deutsch-Rap eine harte Währung – sie kommt im härteren Teil des Genres direkt nach dem Kontostand. Nach gut 26 Jahren im Musikgeschäft hat sich der einstige Aggro-Berliner Bushido das Etikett „König für immer!“ für seine Abschiedstournee und die Ovationen von 7000 Fans in der sehr gut gefüllten Mannheimer SAP Arena durchaus verdient. Es passt in den Trend, dass Altmeister aus vielen Genres derzeit so viel Publikum anziehen wie noch nie – und Bushido hatte in Mannheim in der Alten Feuerwache, im Capitol, im Rosengarten oder Maimarktclub selten mehr als halb so viele Karten verkauft. Dazu kommt: Stehvermögen ist im besonders schnelllebigen Hip-Hop-Metier eine rare Qualität, die in der Arena hörbar auf Bushidos Respekt-Konto einzahlt. Wenn die Show nicht so laut wäre, klänge der Jubel wohl ohrenbetäubend.

Stehvermögen hat der Deutsch-Tunesier mehrfach nachgewiesen. Denn der Weg von Anis Mohamed Youssef Ferchichi führte nicht nur „Vom Bordstein zur Skyline“ sondern auch zurück. Inklusive hartem Aufschlag auf dem Betonboden der Realität, spätestens 2018, nachdem der zeitweise erfolgreichste Rapper der Republik seine Verstrickungen mit Arafat Abou-Chaker und dessen Clan lösen musste. Da war die Lage wohl todernst – und Bushido schrieb über seinen Feind und Helfer sein stärkstes Lied: „Mephisto“.

Sein reifstes Lied „Mephisto“ fehlt im Programm – bezeichnenderweise

Die zehnminütige Abrechnung, ein virtuos und offenherzig geschriebenes Epos auf Augenhöhe mit den reifsten, reflektiertesten Arbeiten der Weggefährten Kool Savas („Aura“) oder Sido („Paul“), fehlt im Programm. Das mag daran liegen, dass „Mephisto“ die Dämonen aus der Vergangenheit provozieren könnte. Aber in einer auch mit filmischen Intermezzi sehr autobiografisch angelegten Tournee, die in mehr als zwei Stunden Material aus fast allen Karrierephasen vorführt, fehlt es.

Der Heidelberger Rapper Animus (rechts) begleitet Bushido durch das komplette Konzert in Mannheim. So wie die Lieder des neun Jahre älteren Berliners seine Jugend begleitet haben. © Rudolf Uhrig

Der Heidelberger Rapper Animus flankiert Bushido glänzend

Das Konzert ist aber um Klassen besser als die Shows zu Bushidos kommerziellen Hochzeiten. Hier zahlt sich der Verzicht auf von den Beats dauerunterforderte Live-Musiker aus. Mit einem DJ und der durchgängigen Assistenz des exzellenten Heidelberger Rappers Animus ist die wohl perfekte Präsentationsform gefunden. Dazu kommt eine vor allem in der zweiten Hälfte effektvolle Arena-Bühnenshow, die Licht und Feuer spuckt. Auch als Entertainer und Moderator hat der 45-Jährige dazugelernt. Er interagiert teilweise charmant und witzig mit dem Publikum.

Der Rapper hat in der SAP Arena das bessere Händchen für Stimmen als seine Schwägerin Sarah Connor

Und Bushido hat bei der Wahl seiner stimmstarken Frankfurter Gastsängerin Clarrissa aus dem Fan-Lager ein wesentlich besseres Händchen als seine Schwägerin Sarah Connor bei ihrer Weihnachtsshow an gleicher Stelle.

Aber der Reifeprozess reicht nicht so weit, um bestimmte Inhalte zu überdenken. Die Song-Auswahl ist jedenfalls kompromissloser als zu Bushidos Popstar-Zeiten.
Dass die Sprache hart sein muss – geschenkt. Es ist Gangsta-Rap, da gehört der raue, unflätige Ton dazu. Und Bushido heißt, „der Weg des Kriegers“ nicht des Sozialpädagogen. Empfindsame Safe-Space-Nutzer kaufen ohnehin keine Bushido-Karten. Aber Manches wirkt einfach aus der Zeit gefallen. Ein zitierfähiges Beispiel: Verweise auf „Juice“, MTV und Viva werden den jüngeren Teil des Publikums überfordern, weil gedruckte Rap-Fachmagazine und ein relevanter deutscher Musikfernsehsender nach ferner Vergangenheit klingen. Das tut auch manche stumpfe Nummer.

Die viel kritisierten Gewaltfantasien gegen Claudia Roth und Co. "Stress ohne Grund" schüren die Polarisierung

Allen voran „Stress ohne Grund“. Vor diesem 2013 für ein paar Monate indizierten Lied voller Gewaltfantasien gegen Politiker und Prominente geriert sich Bushido als Kreuzritter der Kunstfreiheit – dabei war das Lied nicht verboten, sondern unterlag nur dem Jugendschutz. Dass die – bei Stars eher verkaufsfördernde – Indizierung auf dem Rechtsweg recht schnell wegfiel, mag man begrüßen. Aber muss man Zeilen mit Schüssen etwacauf die heutige KulturstaatsministerinClaudia Roth rappen, bloß weil man es darf? Was bringt das unserer polarisierten Gesellschaft – außer nostalgischem Gejohle und eine dabei besonders intensiv geschwenkte Palästina-Flagge auf den billigen Plätzen?
Wenn er einen missliebigen Kollegen wie Capital Bra in der Zugabe „Dark Knight“ verbal schreddert – alles okay. Der Kollege ist kein Zivilist im Dauerkrieg des Rap-Kindergartens – andere Prominente und heutzutage ohnehin gefährlich lebende Politikerinnen aber schon. Damit konterkariert Bushido die durchaus inspirierenden Teile seiner Show, die glaubwürdig Selbstermächtigung, Familien- und Gemeinschaftssinn transportieren.

Im Oktober geht es in Frankfurt weiter mit einem Live-Podcast an der Seite von Ehefrau Anna-Maria

Aber das passiert nicht, weil Bushido ein hohlköpfiger Provokateur ist. Er ist Geschäftsmann. Ein Kind des Raubtier-Kapitalismus, der immer noch denkt, Tabubrüche zahlen sich aus. Deshalb dürfte „König für immer!“ wohl kaum sein letztes Wort auf der Bühne gewesen sein. Dafür lief diese Tournee viel zu gut. Und am 29. Oktober geht es schon weiter mit „Der Bushido Podcast – Im Bett mit Anna-Maria und Anis Ferchichi“ in der Frankfurter Jahrhunderthalle. Das klingt zumindest nicht nach Stress ohne Grund.

 

Freier Autor

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