Ludwigshafen. Als Joachim Gauck im Februar 2012 - just zum Bundespräsidenten nominiert - vor der Fernsehnation zum Besten gab, er nehme die Bitte seiner Kandidatur „überwältigt, verwirrt“ und „noch nicht einmal gewaschen“ zur Kenntnis, lernte eine Fernsehnation das Staunen, wie unverkrampft authentisch die kommende Führungskraft einer Nation über sich selbst zu reden vermag. Als Axel Milberg just im Kinozelt auf der Ludwigshafener Parkinsel zum Besten gibt, er sei dem Bügelservice seines Hotels zu tiefem Dank verpflichtet - er hätte sonst nicht auftreten können -, ist das einer der wenigen weiteren Augenblicke dieser selten zu erlebenden Glaubwürdigkeit, an der es heute ebenso oft mangelt, wie es sie eigentlich benötigt.
Axel Milbergs Durchbruch
- Axel Theodor Klaus Milberg wurde als Sohn eines Rechtsanwalts und einer Ärztin 1956 in Kiel geboren.
- Nach Abitur und Theaterwissenschaftsstudium erlernte er das Schaupielern an der renommierten Münchener Otto-Falckenberg-Schule.
- 1981 holte der damalige Kammerspiel-Intendant Dieter Dorn Milberg für fast 20 Jahre als festes Ensemblemitglied in die bayerische Hauptstadt.
- Gleichzeitig erhält Milberg seine ersten Fernseh- und Kinoengagements, die 1997 auch in der Rolle des Kindermörders Schrott münden - eine Dürrenmatt-Neuverfilmung des heutigen UFA-Chefs und gebürtigen Mannheimer Produzenten Nico Hofmann.
- Damals zunächst nur für eine Neuauflage des Formats „Stahlnetz“ vorgesehen, verkörpert Milberg 2002 erstmalig die Rolle des Ermittlers Borowski.
In Ludwigshafen präsentiert sich der 67-Jährige am Freitagabend genau so: nonchalant, aber im Vollbesitz seiner Überzeugungskräfte. Eine regionale Anekdote bleibt er seinem Publikum dementsprechend auch keineswegs schuldig. 1986, es seien die Schillertage am Mannheimer Nationaltheater gewesen, habe er im „Don Carlos“ - mit metallener Rüstung und für die Rolle eigentlich viel zu jung - den Herzog Alba gegeben. Trotz entsprechender Absprache mit dem Inspizienten, wann er wie, doch bitte leise, mit voller Montur in Richtung Bühne marschieren solle, landete Milberg jedoch nicht, wie eigentlich geplant, auf der Schauspiel-Bühne, sondern hörte plötzlich Gesang erklingen. „Mein Stück gab es zwar auch damals schon als Oper, aber doch nicht mit mir!“ - mehr als den Galgenhumor eines Mimen, der trotz, oder vielleicht gerade wegen seiner Weißheit im Haar über derartige Malheurs zu lächeln vermag, braucht es gar nicht, und er hat das Publikum längst in den Händen.
Womit wir auch schon beim eigentlichen Thema wären. Denn Milberg ist nicht allein deswegen nach Ludwigshafen gekommen, um mit „Borowski und der Wiedergänger“ seinen neuesten „Tatort“ als Ermittler auf das Festival des deutschen Films mitzubringen. Ihm zu Ehren wird der Preis für Schauspielkunst verliehen - und das vor allem für Rollen wie diese, die die Anmutung machen, sie seien ihm gewissermaßen „aus Versehen“ über den Weg gelaufen. Wer das sagt, kann einen ebenso wenig verwundern wie der nassforsche Milberg selbst. Denn Festival-Intendant Michael Kötz findet für Milberg in seiner Laudatio keineswegs nur spröde Superlative.
Darsteller als Forscher
Er preist einen jungen Mann, der trotz der Sozialisation in einem Barockhaus, dessen Inneres als etwas unverrückbar Unantastbares galt, den Mut entwickelt habe, zum „Forschungsreisenden in andere Existenzen“ zu werden - entsprechende Überwältigung mit eingeschlossen. Der jüngste „Tatort“ dieses schauspielerischen Forschers scheint da ein Musterbeispiel zu sein. Als Premiere auf der Parkinsel präsentiert, schälen die 90 Minuten ganz vorsichtig, fast schon behutsam die Frustration aus der Biografie einer erfolgreichen Unternehmerin, die von der Eifersucht gegenüber ihrem deutlich jüngeren und attraktiveren Ehemann aufgefressen wird.
Als Beau mit bestimmten Bedürfnissen vernascht der nämlich nicht nur bei jeder Gelegenheit die Schönen und Jungen - er macht daraus gegenüber seiner Ehefrau noch nicht einmal ein Geheimnis. Eine Melange, die ebenso toxisch wie zum Scheitern verurteilt ist. Spätestens, als sich Unternehmerin Greta Exner selbst auf einem Flirtportal anmeldet, sich in ihrer eigenen Wertlosigkeit bestätigt und schließlich einen Weg findet, sich ihres abtrünnigen Ehemanns zu entledigen, tritt Milberg als Borowski auf die Bühne. Aber mitnichten penetrant oder gar wichtigtuerisch.
Preis als Motivation
Mit fast zurückhaltender Finesse führt der Ermittler spielerisch die Gespräche, gräbt in die Tiefe, ohne je verbissen zu wirken - und schenkt gerade dem scheinbar Beiläufigen eine Aufmerksamkeit, die schlussendlich die Lösung des Falls bedeutet. Charakteristika von rarer Güte, deren Wert für sich spricht. Ein Schauspieler, der sich wie Milberg nicht nur zugesteht, seine eigene Kunst frank und individuell zu prägen, sondern sie auch einzuordnen und zu deuten vermag, hat die Bedeutung von Kultur verstanden und prägt sie mit. Er wolle, so sagt es Axel Milberg am Ende selbst, diesen Preis als Motivation begreifen, es besser zu machen. Bei allem verständlichen Willen zur Bodenständigkeit: Man fragt sich, um wie viel besser das noch gehen mag. Und mag künftige Zeugnisse dafür kaum erwarten.
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