100 Jahre Disney

Alan Menken: „Meine Musik ist ein sicherer Ort für die ganze Welt“

Das Hollywood Sound Orchestra präsentiert die größten Disney-Hits im April in Mannheim. Komponist Alan Menken spricht im Interview über die zeitlose Magie dieser Musik

Von 
Steffen Rüth
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Von „Encanto“ bis „Mary Poppins“: Starsolistinnen und -solisten präsentieren gemeinsam mit dem Hollywood Sound Orchestra die schönsten Disney-Songs live auf der Bühne. © Frank Embacher/Klaus Titzer/dpa

Mannheim. Über die zeitlose Magie der großen Disney-Songs unterhielten wir uns in Wien mit dem Mann, der viele von ihnen geschrieben hat: Alan Menken. Der 73-jährige New Yorker hat in seiner Karriere bislang acht Oscars, einen Tony, einen Emmy und elf Grammys gewonnen.

Mr. Menken, Disneyfilme sind kleine Fluchten aus der Realität. Brauchen wir Disney in harten und dunklen Zeiten besonders?

Alan Menken: Oh, ja. Wir brauchen Disney gerade sehr, sehr, sehr dringend. Diese Filme und diese Songs lassen uns zurückkehren zu dem Kind, das wir einst waren und das in allen von uns verborgen ist. Egal, wie alt wir sind, egal, woher wir kommen, egal, an wen wir glauben - die Emotionen, die ein Film oder eine Filmmusik von Disney in uns auslösen, sind einmalig und gerade mehr denn je äußerst wertvoll für unser seelisches Gleichgewicht.

Disney 100

  • 2023 feiert der Walt-Disney-Konzern sein 100-jähriges Bestehen - mit einer Ausstellung in München („Disney 100“, ab 18. April in der Kleinen Olympiahalle), aber auch mit reichlich neuen Filmen.
  • Musikalischer Höhepunkt ist die Tournee „Disney 100: The Concert“, die am 20. April in der Mannheimer SAP Arena Station macht.
  • Das Hollywood Sound Orchestra spielt die großen Hits aus Filmen wie „Die Schöne und das Biest“ oder „Encanto“. Zu hören sind auch Höhepunkte aus den Studios Pixar, Marvel und Star Wars.

Sie haben Ihre Karriere als Komponist für Broadway-Musicals begonnen, bevor Sie 1989 Ihre Disney-Karriere mit „Arielle, die Meerjungfrau“ begannen. Was ist Ihnen besonders wichtig bei der Arbeit?

Menken: Ich will die Geschichte mithilfe der Musik nicht nur unterstützen, sondern auch erzählen. Gerade bei Animationsfilmen dienen die Stücke nicht nur der Untermalung. Sie strukturieren und verstärkten die Szene vielmehr. Von „Micky Maus“ angefangen, ist die Musik ein integraler Bestandteil der Geschichten. Und sie hat sich beständig gewandelt - von einem Zischen, wenn Micky rennt, zu einer gefühlvollen Kunstform, die das menschliche Drama der Story unterstreicht.

Wie gehen Sie beim Komponieren zu Werke?

Menken: Ich gucke mir die Schlüsselelemente der Story an und überlege, wie ich ihnen mit meiner musikalischen Erzählung einen Zusatzwert bieten kann. Dieser Zusatzwert besteht meist aus einer großen Portion an Gefühlen, die universell sind und global funktionieren. Disneyfilme sind globale Ereignisse, und wenn ich meine Arbeit gut mache, verzaubern sie Menschen auf der ganzen Welt. Meine Musik kennt keine Grenzen und keine kulturellen Barrieren.

Wo liegen Ihre Einflüsse?

Menken: Natürlich zunächst mal bei der romantischen, klassischen Musik, bei Beethoven, Mahler, Prokofjew, Mozart oder Tschaikowsky. Später entdeckte ich dann meine Liebe zur Operette und zu französischen Chansons etwa eines Maurice Chevalier. Ich versuche, mein musikalisches Vokabular stetig zu erweitern, um in jedem Film in einer Sprache zu sprechen, die das Publikum versteht.

Besonders legendär ist Ihr 1991 entstandener Soundtrack zum Film „Die Schöne und das Biest“. Wie erinnern Sie sich an die Entstehung?

Menken: Wie schon an „Arielle“, so arbeitete ich auch an „Die Schöne und das Biest“ gemeinsam mit meinem Kompositionspartner Howard Ashman. Zu jener Zeit grassierte die Aids-Pandemie, und nachdem wir den Oscar für „Arielle“ gewonnen hatten, vertraute Howard mir an, dass er ebenfalls an Aids leide. Wir blockten die Tatsache ab, dass er sehr krank war und stürzten uns, im Wissen, dass ihm nicht mehr lange bleiben würde, in die Arbeit, vollendeten „Biest“ und begannen noch mit „Aladin“, dann starb er. Die Filme und die Musik von Disney wurden in dieser Trauerzeit mein sicherer Ort, mein „Safe Space“. Ich konnte keine Komödien und auch sonst nichts ertragen, aber wieder und wieder schaute ich mir alte und neue Disney-Filme an. Sie boten mir einen Hauch von Trost. Seither bin ich überzeugt, dass diese, dass meine, Musik, ein sicherer Ort für die ganze Welt ist. Ich wertschätze meine Arbeit für Disney extrem und möchte sie absolut nicht missen.

Welche Gefühle wollen Sie mit Ihrer Musik auslösen?

Menken: Die kraftvollste Emotion von allen ist die Liebe. Ich sage das nicht, weil ich so ein Schmalzbruder bin, sondern weil das wirklich meine Überzeugung ist. Ich nähere mich den Geschichten also immer aus der Blickrichtung der Liebe, um von dort zu den tiefen Motivationsschichten der Charaktere vorzudringen. Ein, zwei, drei Liebeslieder sind also in jedem Filmscore ein Muss, und es braucht einen Ausgleich zum Herzschmerz, also ein bisschen Humor, was Trauriges, was Absurdes. Wenn wir die dunklen Orte besuchen, wissen wir bei Disney, dass wir von dort auch wieder weggekommen. Ohne ein Happy End geht es also nicht. Innerhalb dieser Strukturen mache ich mich musikalisch auf die Reise. Das ist manchmal analytisch, manchmal sehr kleinteilig und langwierig, am Ende aber folgen die Menschen der Reise, weil sie neugierig sind, wo es hingeht.

Wie hat sich die Filmmusik verändert, seit Sie aktiv sind?

Menken: Heute haben Melodien einen schwereren Stand, sie müssen oftmals hinter Sounds zurückstecken. Ich versuche, mich dem Trend entgegenzustellen. Melodien sind für mich von elementarer Bedeutung.

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Walt Disney hat sein Unternehmen, das zum Imperium der Unterhaltungsindustrie wurde, 1923 gegründet. Disney steht bis heute für familienfreundliche Werte, Kontroversen und Provokationen werden nach Möglichkeit vermieden. Würden Sie gerne manchmal künstlerisch etwas mehr riskieren?

Menken: Es ist richtig, dass Disney für Tradition und für Wertvorstellungen steht, es ist einerseits konservativ, andererseits aber auch nicht.

Der Konzern tritt etwa öffentlich für die gleichgeschlechtliche Ehe und für Vielfalt in allen Lebenslagen ein, und in der im Mai 2023 ins Kino kommenden Realfilm-Version von „Arielle, die Meerjungfrau“, für dessen Musik Sie ebenfalls zuständig waren, wird Arielle von der schwarzen Schauspielerin Halle Bailey gespielt.

Menken: Sehen Sie, so ist es. Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Haltungen haben sich in hundert Jahren grundlegend geändert, aber das zugrundeliegende Fundament ist gleichgeblieben: Es geht um die großen Gefühle.

Wird Disney - und damit Ihre Lieder - auch die nächsten hundert Jahre überdauern?

Menken: Warum nicht? Ich sehe mich als einen Architekten. Ich baue ein Haus aus Musik, in das andere Menschen einziehen und in dem sie heimisch werden. Ich schätze mich glücklich, bin dankbar und demütig, dass die meisten meiner Häuser auch heute noch so gut in Schuss sind, dass die Menschen gerne in ihnen leben. Und ich selbst tue es auch. Mir geht das Herz auf, wenn ich miterlebe, wie die Menschen eins werden mit meinen Songs.

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