Creglingen. Der Kölner Künstler erinnert mit seiner Aktion an die Opfer des nationalsozialistischen Terror-Regimes. Vor dem letzten noch selbst gewählten Wohnort beziehungsweise der letzten Arbeitsstätte der Betroffenen lässt Demnig Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir ein. Mittlerweile finden sich über 55 000 dieser Gedenksteine in 20 europäischen Ländern. In Creglingen wurden am Freitag insgesamt zwölf Steine an fünf verschiedenen Standorten verlegt, unter anderem vor dem jüdischen Museum in der Badgasse. Bürgermeister Uwe Hehn erinnerte vor dem Museum an die lange jüdische Geschichte in Archshofen und in Creglingen. Das Pogrom vom 25. März 1933 erwähnte er dabei ebenso wie die Deportationen, mit denen die jüdische Geschichte ihr schreckliches Ende gefunden habe. "Das darf man nicht vergessen," sagte der Bürgermeister, der sich besonders über die Mitwirkung von Creglinger Schülern an der feierlichen Verlegung der Stolpersteine freute. Die Schüler streiften in kurzen Beiträgen das Leben jener Juden, derer auf den zwölf Stolpersteinen gedacht wird.
Uwe Hehn würdigte die Bereitschaft der heutigen Eigentümer, die Stolpersteine vor ihren Gebäuden verlegen zu lassen. Auch freute den Bürgermeister der einstimmige Beschluss des Gemeinderates für die Aktion. Zudem würdigte Uwe Hehn den Einsatz von Ulrich Schönberger, der im Vorfeld "vorbildliche Arbeit" geleistet habe. Hehn lobte außerdem das finanzielle Engagement der Spender, denn jeder Stein kostet 120 Euro und wird rein über Spenden finanziert. "Die Steine fallen auf, sie sind eine sehr sinnvolle Sache, die zu Herzen geht", betonte Bürgermeister Uwe Hehn. Zugleich würdigte der Redner den Einsatz aller, die sich im jüdischen Museum engagieren. "Hier wird die Geschichte des Judentums erlebbar, und so bleibt sie uns in Erinnerung". Uwe Hehn nutzte die Gelegenheit außerdem, um an das aktuelle Flüchtlingsdrama zu erinnern. "Auch Flüchtlinge sind Menschen, denen man ihre Würde nicht nehmen darf," unterstrich der Bürgermeister. Eigentlich sei der Anlass "kein Grund zur Freude", so der Künstler Gunter Demnig. Doch "ich freue mich über jeden neuen verlegten Stein, denn jeder Stein steht für ein neues Schicksal", das nicht vergessen werde. Gedacht sei die Aktion für alle Opfergruppen der Nationalsozialisten, betonte der in Köln lebende Künstler. Besonders freue ihn das Interesse der jungen Menschen, "sie sind offen für das Thema". Seit er sich Anfang der 90-er Jahre erstmals mit dem Thema befasst hatte, ist Gunter Demnig mittlerweile in ganz Europa unterwegs, zuletzt war er in Griechenland. Bei den Verlegungen erlebt der Künstler so manchen bewegenden Augenblick. Einmal hätten sich Verwandte aus fünf Ländern getroffen, die zuvor nichts voneinander gewusst hätten, berichtet Gunter Demnig. Auch so manche Reaktion von jungen Menschen ist ihm im Gedächtnis geblieben. Ein Schüler etwa habe einmal auf die Frage eines Journalisten, ob durch die Steine nicht Stolpergefahr bestehe, geantwortet: "Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen". Für den Initiator der Aktion ist der Blick auf den Boden zudem von symbolischer Bedeutung: "Wenn Du den Text lesen willst, musst Du eine Verbeugung vor dem Opfer machen".
Unter den Gästen war am Freitag auch das geistliche Oberhaupt der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, Landesrabbiner Netanel Wurmser. Weitere Gäste waren unter anderen auch Stadtarchivarin Claudia Heuwinkel und der Historiker Hartwig Behr, die beide viel für die Erforschung der jüdischen Geschichte Creglingens geleistet haben.
Zwölf Steine, fünf Orte
- Der Künstler Gunter Demnig erinnert mit den Stolpersteinen an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt.
- Die Stolpersteine sind Betonwürfel in der Größe 10 cm x 10 cm x 10 cm, mit einer darauf verankerten Messingplatte. Auf dieser wird der Name eines NS-Opfers eingehämmert. Die Steine werden dann vor den Häusern verlegt, in denen jene Menschen gelebt oder gearbeitet haben.
- In Creglingen wurden die Stolpersteine an folgenden Stellen verlegt: Badgasse 3 (zwei Steine), Lindleinstraße 16 (zwei Steine), Hauptstraße 23 (zwei Steine), Kreuzstraße 5 (vier Steine), Lindleinstraße 4 (zwei Steine).
- Erinnert wird an: Hermann Stern (gestorben am 25. März 1933 nach schweren Misshandlungen durch SA-Schläger); Emil Stern (Flucht 1939 in die USA); Arnold Rosenfeld (gestorben am 2. April 1933 nach schweren Misshandlungen am 25. März); Ida Rosenfeld, geborene Ney (deportiert 1941, ermordet in Litzmannstadt; Rudolf Sinsheimer (Flucht 1941 in USA); Peppi Sinsheimer, geborene Elkan (Tod 25. März 1933 nach Herzinfarkt); Karl Gutmann (Flucht 1939 in die USA); Nanette Gutmann, geborene Reinstein (Flucht 1939 in die USA); Salomon Landauer (Flucht 1939 in die USA); Friederike Landauer, geborene Gutmann (Flucht 1939 in die USA); Max Gutmann (deportiert 1942, ermordet in Izbica); Frida Gutmann, geborene Gundelfinger, deportiert 1942, ermordet in Izbica).
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