Die Zeit um 1935 war keine gute Zeit für jüdische Jungen, in Feld und Wald frei herumzulaufen. Doch dort begann Julius Adlers Weg als Forscher.
Edelfingen. Heute kann Prof. Julius Adler in Madison (Wisconsin/USA) auf ein 90-jähriges Leben zurückblicken, das am 30. April 1930 in Edelfingen begann. Sein Vater Adolf führte eine jüdische Metzgerei in der fünften Generation. Von 1933 an ging das Geschäft stark zurück – es wurde boykottiert. Julius Adler aber meint, dass er als Kind nichts vom Antisemitismus der Zeit gespürt habe. Seine Eltern schützten ihn davor. Henny, die Schwester, und er gingen zunächst noch in Edelfingen zur Schule. Doch später fuhren die jüdischen Schüler nach Mergentheim, wo in der Holzapfelgasse wegen des zunehmenden Antisemitismus eine jüdische Schule eingerichtet wurde.
Düstere Zeit für jüdische Bürger
Die Zeit um 1935 war nicht unbedingt eine gute Zeit für jüdische Jungen, in Feld und Wald frei herumzustreifen. Doch dort begann Julius’ Weg als Forscher. „Alles wegen eines Schmetterlings“, so überschrieb er einmal einen Lebensrückblick. Dieser Schmetterling war ein Schwalbenschwanz und flog durch die Wälder oberhalb Edelfingens. „Mich hat die Schönheit der Tiere fasziniert“, sagte Julius Adler, „und ich bin Tieren und Kleinstwesen bis heute auf der Spur.“
Mussten Deutschland verlassen
Die Verschlimmerung der Lage jüdischer Bürger ließ bei den Eltern und Verwandten den Entschluss reifen, Deutschland zu verlassen. Zwei Tanten seiner Mutter Irma waren um 1880 aus Hohebach nach Grand Forks (North Dakota) ausgewandert. Deren Affidavits (Bürgschaft) ermöglichte den Adlers 1938 die Einreise in die USA.
1947 wurde Adler eingebürgert; er studierte ab 1948, und zwar Biochemie in Harvard. Er war erfolgreich, so dass er schon mit 30 Jahren eine Professur in Madison (Wisconsin) bekam. Dort lebt und forscht er bis heute. Das Thema, das ihn sein Leben lang beschäftigt hat, ist die Frage, aufgrund welcher Tatsachen und Stoffe sich Lebewesen „entscheiden“, die sogenannte Chemotaxis. Nachdem Julius Adler bewiesen hatte, wie sich Bakterien erfolgreich verhalten, versuchte er seit Jahren dasselbe bei Fruchtfliegen nachzuweisen. Er sieht seine Forschungen als Vorarbeiten zum Verständnis der menschlichen Hirnfunktion.
Aus der langen Liste seiner Ehrungen kann man ablesen, wie angesehen der Wissenschaftler Julius Adler ist, auch in Deutschland. Er erhielt dort unter anderem 1986 die Otto-Warburg-Medaille und wurde in die Gesellschaft für Biologische Chemie gewählt. Die Universität Tübingen verlieh ihm 1987 den Ehrendoktortitel. 1989 hatte er in Marburg die Behring-Dozentur inne. Nach Deutschland kam er vor allem aus beruflichen Gründen. Julius Adler ging aber auch mit seiner Frau in Deutschland auf die Suche nach ihren Wurzeln. Seine Ehefrau Hildegard, geborene Wohl, stammt aus Nürnberg. Das Ehepaar hat zwei Kinder, Jeanne und David. Julius Adler hat denselben hebräischen Namen (Yontov ben Osher) wie Janduff aus Aub, der als erster seiner Vorfahren in Edelfingen lebte. Dieser wurde 1778 dort vom Deutschen Orden als Schutzjude aufgenommen. Er heiratete Rachele, mit der er sieben Kinder hatte, und wurde der Stammvater von acht Familien mit dem Namen Adler, die es 1930 in Edelfingen gab. Damals war ein Onkel, Mehl-Adler genannt, Gemeinderat.
Als die Familie Adler Edelfingen verließ, nahm sie auch ein Bild von Hermann Fechenbach mit. Es hängt noch heute in der Wohnung von Julius Adler. Sein Onkel Moses schenkte ihm einen Sederbecher und seine Tante Zilli, die eine Behinderung hatte, eine Sederplatte (an den Sederabenden feiern die Juden den Auszug aus Ägypten). Den Onkel sah Julius Adler ein Jahr später in Amerika wieder, seine Tante aber konnte nicht auswandern. Sie wurde 1941 deportiert. Insgesamt hat Julius Adler 45 Verwandte im Holocaust verloren. Diese Erkenntnis macht sicherlich bitter, aber in Julius Adler steigen, wenn man ihn fragt, auch schöne Erinnerungen an das Taubertal auf.
Ihm stehen manchmal eine Wanderung mit dem Vater zur Königshofer Messe vor Augen und dabei die goldenen Früchte der Quittenbäume an der Tauber, manchmal die Himbeeren, die er mit seiner Mutter oberhalb von Edelfingen pflückte, vor allem aber der erste Schwalbenschwanz.
Kürzlich hat Julius Adler zusammengefasst, was er über das Leben von Juden in deutschen Dörfern und das Leben seiner Verwandten wusste und in Erfahrung bringen konnte: „It was my Germany. Life in the German Villages“.
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