800 Jahre Deutscher Orden - Zweiter Teil über die Mergentheimer Stadtmauer / Straßennamen und noch wenige Reste erinnern an die mittelalterliche Befestigungsanlage

Mächtiges Bauwerk nutzlos geworden

Von 
Joachim W. Ilg
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In unserem zweiten Teil über die Stadtbefestigung Mergentheims schildern wir heute ihren Niedergang und suchen nach Überresten.

Bad Mergentheim. Ein ganz kleines bisschen und mit viel Fantasie kann man erahnen, wie die Stadtbefestigung, die Mergentheim vor feindlichen Heeren schützen sollte, ausgesehen haben mag, wenn man am Kindergarten in der Münzgasse Halt macht. Dort steht ein kleiner Turm mit einem Dach. Wirft man einen Blick auf das rot umrandete und mit dem schwarzen Deutschordenskreuz auf weißem Hintergrund markierte Hinweisschild, so erfährt man, dass es sich um ein Überbleibsel der früheren Zwingermauer handelt.

Zwei Mauern

Die Stadtmauer, die im 14. Jahrhundert vom Deutschen Orden um die Gemeinde hochgezogen worden war, wurde in der Zeit zwischen 1540 und 1544 durch eine zusätzliche, so genannte äußere Zwingermauer mit zwölf Halbrundtürmen verstärkt. Demnach bildete der heutige Turm im historischen Original eine aus dem Mauerwerk hervortretende Halbschale, durch deren Schießscharten hindurch auf den angreifenden Feind geschossen werden konnte.

Reste der Stadtbefestigung findet man vor allem hinter den Gebäuden 12, 14 und 16 der Türkengasse. Was sich hinter diesen Häusern befindet, kann man gut von der Würzburger Straße aus sehen. Von dort aus blickt man hinunter in den ehemaligen Stadtgraben, der von einem Teil der Zwingermauer mit Strebepfeiler begrenzt wird.

Altes Grabensystem

Wenn man weiter Richtung Theurer-Kreuzung geht, ist von der Befestigungsanlage vor allem das ehemalige Grabensystem zu erkennen. Straßennamen erinnern daran: Oberer Graben, Mittlerer Graben, Unterer Graben. Und in der Tat: Die Gräben, die früher 20 Meter breit, vier Meter tief und mit zwei Meter hohem Wasser gefüllt waren, sind teilweise noch vorhanden und natürlich durch Aufschüttungen und Baumaßnahmen stark beeinträchtigt worden. Sie erstrecken sich deutlich sichtbar von der Kapuzinerstraße bis zur Mühlwehrstraße und befinden sich, wenn man weiter geht, auch im Außenbereich der Oberen Mauergasse. Wer dann den weiteren früheren Stadtmauerverlauf sucht, geht einfach in der Unteren Mauergasse weiter und bleibt damit auf der Spur der früheren Stadtmauer.

Mauerreste im Bali?

Weitere Reste der Stadtmauer können möglicherweise noch in Gebäuden der Unteren und Oberen Mauergasse, Türkengasse und Schulgasse enthalten sein. Zwar wird das im Besitz der Stadt befindliche ehemalige Bali-Kino nicht in der Liste des Landesamts für Denkmalpflege, in der die Stadtmauer-Reste aufgeführt sind, erwähnt. Und dennoch: Aufgrund eines vom Bauamt durchgeführten Abgleichs zwischen dem aktuellen Liegenschaftskataster und der Karte des Stadtgrundrisses von 1748 seien Überreste der Stadtmauer in diesem Gebäude durchaus möglich, teilt Pressesprecher Carsten Müller mit. Bei einer Besichtigung habe das Bauamt hinter einem Vorhang einen weiteren, roten Vorhang als Teil der ehemaligen Leinwanddekoration entdeckt. Dahinter sei allerdings eine Verkleidung angebracht worden, die den Blick auf die Gebäudewand verhindere. Im Sockelbereich würden aber Bruchsteine sichtbar sein, deren Herkunft erst noch ermittelt werden müsste. Im Falle von Arbeiten auf dem Grundstück oder am Gebäude würde die Stadt diesen Spuren in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt weiter nachgehen, informiert Müller.

Am Ende der Mühlwehrstraße steht das ehemalige, 1740 erbaute Torwärterhäuschen, wo ebenfalls noch Reste der Stadtmauer und des Stadttores zu finden sind.

Als Beethoven 1791 in Mergentheim anlässlich eines Generalkapitels des Deutschen Ordens als Bratschist in der Hofkapelle des Hochmeisters Erzherzog Maximilian Franz mitwirkte, zählte die Stadt 2800 Einwohner und war noch von der mittelalterlichen Stadtbefestigung umgeben.

Angesichts moderner Feuerwaffen war das System aus Wall, Wassergraben, Mauern und Türmen, die zudem noch baufällig geworden waren, veraltet und nicht mehr geeignet, der Stadt und ihren Bewohnern Schutz zu bieten, wie der städtische Rat schon 1677 festgestellt hat: „Hiesige Stadt ist bei Feindes Gefahr kein haltbarer Orth mehr“. Türme und Mauern seien durch das „laidige Kriegswesen“ in „großen ruin geraten“.

Nach 1795 abgebrochen

1784 wurde damit begonnen, die hölzernen Aufzugsbrücken an den vier Stadttoren, die über den Stadtgraben führten, durch gewölbte Steinbrücken zu ersetzen. Die innere Stadtmauer wurde ab 1788 zum Teil von oben nach unten abgetragen, und der Wall, der vom Kapuzinertor zum Wachbacher Tor führte, 1793 ebenfalls in der Höhe reduziert und mit einer Pappelallee bepflanzt. Die Wassergräben wurden teilweise mit dem abgetragenen Wall-Erdreich aufgefüllt. Auch für die Mauertürme gab es keine Zukunft mehr. Sie wurden ab 1795 nach und nach abgebrochen.

Ab 1806 wurden bis 1832 die vier mächtigen Tortürme dem Erdboden gleich gemacht. Die Stadtmauer verfiel zusehends oder wurde von Eigentümern angrenzender Grundstücke abgetragen, bis so gut wie nichts mehr von ihr übrig blieb.

Rothenburg ist froh, dass es mit der Stadtmauer unzählige Touristen anlocken kann. An diese Möglichkeit hat man in Mergentheim damals nicht gedacht. Die Bürger waren sicherlich erleichtert, dass das „alte Klump“ endlich weg kam, um den Blick ins Freie zu öffnen und neuen Häusern Platz zu machen. So haben selbst stärkste Mauern keine Zukunft.

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