Getreideanbau

Regionalität, Qualität und Genuss mit jedem Bissen

Seit 1990 agieren Landwirte aus dem Kraichgau ohne Pflanzenschutzmittel. Auch acht Erzeuger aus dem Main-Tauber-Kreis sind mit von der Partie

Von 
Renate Henneberger
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„Aurelius ist enttäuschend – sehr anfällig für Krankheiten“, erklärt Gerhard Risser und meint damit nicht den römischen Kaiser. Aufmerksam lauschen etwa 30 Bauern den Ausführungen des landwirtschaftlichen Sachverständigen. Auch der „Optimist“ mache seinem Namen wenig Ehre und habe sich nicht bewährt, fährt er fort. Lobende Worte hingegen für „Exsal“: „Ertragreich, standfest und von guter Gesundheit.“

Zehn neue Weizensorten wachsen derzeit auf den Versuchsfeldern von Harald Seubert in Wenkheim. Bei einer Feldbegehung wurden jetzt Informationen gesammelt, Erfahrungen ausgetauscht und festgelegt, welche Sorten es wert sind, künftig zu Mehl für Brot von „Kraichgau Korn“ verarbeitet zu werden.

Vollständiger Verzicht

Am Anfang stand die Idee, qualitativ hochwertiges Getreide umweltschonend anzubauen. Bereits damals legten sich die 15 Pioniere auf Premiumqualität fest und begannen mit dem Anbau von E-Weizen. Nachdem eine Getreidemühle als Partner gewonnen war, ging man an den Start. Das war die Geburtsstunde von „Kraichgau Korn“.

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Begonnen mit 50 Hektar Weizen und zehn Hektar Roggen, erzeugt die Marktgemeinschaft heute rund 1000 Hektar Winterweizen, 250 Hektar Roggen, 270 Hektar Dinkel, 30 Hektar Einkorn und 20 Hektar Emmer. Rund 50 landwirtschaftliche Familienbetriebe mit unterschiedlichen Betriebsschwerpunkten gehören inzwischen der Erzeugergemeinschaft an. Zwei Mühlen verarbeiten das Getreide, 40 Bäcker und einige Hofläden gehören zu den Abnehmern des Mehls.

Roland Waldi, Vorsitzender des „wirtschaftlichen Vereins“ „Kraichgau Korn“, erinnert sich schmunzelnd an die Reaktion seines Vaters, als er vor nahezu 30 Jahren mit der Idee ankam, komplett auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten: „Ich hatte Glück, dass er mich nicht vom Hof jagte. Schließlich warf er seine Vorbehalte über Bord und unterstützte mich – dafür bin ich ihm bis heute dankbar.“

Rückkehr der schönen Wilden

Seit Jahrtausenden begleiten Wildkräuter den ackerbauenden Menschen – oft als Unkraut verteufelt. In den 1950er Jahren begann man die Landwirtschaft zu optimieren und auf Ertrag auszurichten. Auf überdüngten Feldern überlebten nur nährstoffliebende, häufig auftretende Kräuter.

Viele seltene Ackerwildkräuter wurden verdrängt oder starben den Gifttod. Damit endete ein vieltausendjähriges Miteinander.

Der Weg von „Kraichgau Korn“ ist ein anderer. „Unser Weg führt zurück zur naturnahen Landwirtschaft“, erläutert Landwirtschaftsmeister Roland Waldi das Konzept. „Wir nehmen die Natur in die Pflicht und lassen sie mitarbeiten“. Die Rückkehr der „schönen Wilden“ locke Insekten, Kleinlebewesen und Feldtiere an, eine gewaltige Armee von Helfern, die sich auf das Vertilgen von Schädlingen spezialisiert habe.

„Regulieren statt bekämpfen“

„Regulieren statt bekämpfen“ ist unsere Devise“, erklärt Jürgen Schell, Landwirtschaftsmeister aus Reilingen. „Ein wichtiges Arbeitsgerät für uns ist der sogenannte ,Striegel’, mit dem Wildkräuter in Schach gehalten, aber nicht verdrängt werden.“ Ganz ohne Dünger ginge es auch bei „Kraichgau Korn“ nicht. „So viel wie nötig, sowenig wie nur irgendwie möglich – das ist unser Anspruch.“

Was die vorausschauenden Gründerväter der Marktgemeinschaft damals vielleicht ahnten, wird heute immer offensichtlicher: Allmählich setzt ein Umdenken ein. Die EU-Agrarpolitik fordert von Landwirten immer größeres Engagement zum Schutz der Umwelt.

Vor 30 Jahren noch als „Exoten“ belächelt, sind die Landwirte von „Kraichgau Korn“ heute voll im Trend. „Wir sind etwas Besonderes, haben unseren Platz zwischen konventioneller Landwirtschaft und Bio-Landwirtschaft“, meint Roland Waldi und fügt nicht ohne Stolz hinzu: „Wir haben kein Bio-Siegel – unser Gütesiegel ist Qualität und unser guter Name.“ Sprücheklopfer sind sie jedenfalls nicht, die „Kraichgaukörner“, wie sie sich selbst nennen.

Regelmäßig nimmt Gerhard Risser, öffentlich bestellter Sachverständiger für Landwirtschaft und von Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz anerkannter Prüfer, Inspektionen vor. „Die Kontrollen sind streng“, versichert er. Eine Beanstandung habe es in all den Jahren nie gegeben. „Neben der Feldkontrolle besuche ich die weiterverarbeitenden Mühlen. Ich komme stets unangemeldet. Auch die Bäcker, die das Mehl zu Brot, Brötchen und den begehrten ,süßen Stückle’ verarbeiten, nehme ich mehrmals jährlich unter die Lupe.“ Müller und Bäcker hätten strikt darauf zu achten, dass „Kraichgau Korn“-Mehl nicht mit anderen Erzeugnissen vermischt werde.

Noch am Anfang

Bauer sucht Bäcker – nein, kein Schreibfehler! Eine Lösung im Fall „Bauer sucht Frau“ wäre vielleicht schneller gefunden. Während im Kraichgau eine gutfunktionierende Infrastruktur aufgebaut wurde, stehen die acht Landwirte aus der Region mit der Vermarktung ihrer Produkte noch ziemlich am Anfang.

Matthias Leimbach, Landwirtschaftsmeister aus Gissigheim, ist seit acht Jahren Mitglied von „Kraichgau Korn“. „Momentan wird unser Getreide noch per Lkw in den Kraichgau geführt und dort weiterverarbeitet“, erklärt er. „Wir suchen nun hier in der Region eine Mühle, vor allem aber Bäcker, die Lust haben, mit uns zusammenzuarbeiten – flexible Unternehmer, die experimentierfreudig sind und den Mut haben, mit uns neue Wege zu gehen.“ Auf das Zusammenspiel komme es an – beste Qualität des Mehls sowie sorgfältige Weiterverarbeitung durch Mühlen und Bäckereien.

Die Grundzutaten

Das macht den Geschmack des Brotes aus, das nur drei Grundzutaten braucht: Mehl, Wasser und Salz. Dazu nehme man ein wenig Heimatliebe, eine Spur Leidenschaft für Natur und Landschaft und eine Prise Nostalgie, die heimliche unerfüllbare Sehnsucht nach einer intakten Welt. Das alles mag der Verbraucher herausschmecken, wenn er mit allen Sinnen genießt – Scheibe für Scheibe, Bissen für Bissen.

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