Tomatillo, Lulita, Tulo, Kiwano – der Laie blickt ratlos über’s üppige Grün. Maracuja – endlich ein Wiedererkennungseffekt. Wir sitzen auf der Terrasse im Garten von Anja und Tobias Aßhoff, umringt von einer wahren Blütenpracht. Dass es zwitschert, schwirrt und summt, ist fast überflüssig zu erwähnen angesichts des Angebots an Pollen, Nektar und Nistmöglichkeiten.
In die Blumenbeete haben sich Mangold, Bohnen, Kartoffeln und Mais charmant „verirrt.“ „Da wir für einen reinen Gemüsegarten keinen Platz haben, muss es dazwischen“, schmunzelt Anja Aßhoff. Wer nun die gängigen Mais- oder Bohnensorten vermutet, liegt daneben, denn ihr Herz schlage für die „Südamerikaner.“ So sei etwa die solitäre Maisstaude, die bereits jetzt majestätisch in den Himmel ragt und stattliche 4,5 Meter erreiche, eine alte Sorte mit schwarzen Kolben, „die schon die Inkas angebaut haben.“ Und auch die anfangs erwähnten fremden Namen seien, in dieser Region beheimatete, exotische Früchte.
Zurück in den Harz
Wie kommt man auf die Idee, in „Badisch Sibirien“ wärme- und luftfeuchtigkeitsverwöhntes Obst und Gemüse zu kultivieren? Da müsse man zurück in den Harz, in ihre Jugendzeit. Ihre Mutter hegte als Ausgleich zum Bürojob unzählige Fuchsien – übrigens auch in Südamerika beheimatet –, welche die junge Anja nicht so prickelnd gefunden habe. Den sprichwörtlichen grünen Daumen indessen, habe sie, da der Apfel bekanntlich nicht weit vom Stamm fällt, von ihrer Mutter geerbt. Daher habe sie nach dem Abitur zu deren Leidwesen eine Gärtnerlehre absolviert, denn „im Büro wäre ich versauert.“
Weg von zuhause, avancierten die Fuchsien plötzlich zu einem „Stückchen Heimat“ – und so fing mit einem Mitbringsel vom Besuch bei den Eltern alles an. Stück für Stück wanderte ein Töpfchen nach dem anderen auf den Balkon der Mietwohnung. Als die junge Familie 2015 das Haus mit großem Garten im Ahorner Ortsteil erwarb, sei es eskaliert.
Doch zunächst musste „rangeklotzt“ werden, der Garten sei sehr verwildert gewesen. Unvorstellbar bei diesem Paradies, in dem wir gerade sitzen, beobachtet von Manfred und Uwe, den Meerschweinchen, die ungerührt an Blättern mümmeln.
Von Jahr zu Jahr sei mehr dazugekommen – und als sie eine Tamarillo geschenkt bekam, habe die Exotenzucht Fahrt aufgenommen. „Einfach so interessehalber“ habe sie deren Samen ausgesät, blickt sie zurück. Denn in den Obst- und Gemüseabteilungen sei das Angebot mit Bananen, Orangen, Kiwis, Ananas, oftmals unreif geerntet, sehr überschaubar. Von den Anbaubedingungen sowie der Ökobilanz aufgrund des langen Transportweges ganz zu schweigen. Darüber hinaus sei die enorme unbekannte Vielfalt gesund, lecker und bereichere den Speiseplan.
Naschen ohne Reue gehe übrigens auch, wie bei den „Tischtomaten“ auf dem Terrassentisch, die mit ihren orange-rot gesprenkelten oder dunkelrot-schwarzen kleinen Früchten verführerisch locken.
Es ist unschwer zu erraten, das Experiment mit der Tamarillo, der Baumtomate, ist gelungen – und motivierte zu mehr. Man müsse ausprobieren, was zum hiesigen Klima passe. Klappt’s, sei es gut und werde weiterverfolgt, klappt’s nicht, komme es auf den Kompost, gibt sie sich pragmatisch. Weiterverfolgt bedeute in ihrem Falle nicht nur der eigene Anbau, vielmehr auch der fachkundige Austausch auf Raritätenbörsen und -gärtnereien, den sie zwischenzeitlich intensiv pflege – sei es im Netz oder auf Veranstaltungen.
Lila blühend
Und so bestaunt der unbedarfte Besucher lila blühende Känguruäpfel, Eierbäume, die Urform der Aubergine, Brasilianischen Samtpfirsich, Ananaskirschen, die weder nach Ananas, noch nach Kirschen schmecken, Physalis, Mangos, Tamarillos und vieles mehr im Garten, an der Hauswand oder im Gewächshaus, von dessen Glasdach die Kalebassen baumeln. Es hat was von Urwald, fehlen nur noch ein paar rotgefiederte Aras. Eine stattliche Nicandra verströmt ihren Duft und hält Schädlinge fern. Altes Gärtnerwissen werde hier praktiziert.
Aus Südamerika
Tomaten, einst ebenfalls Exoten aus Südamerika, die längst einen Siegeszug über den Globus angetreten haben und nicht mehr als „exotisch“ betrachtetet werden, entdeckt man in allen Farben und Formen. Eins ist ihnen hingegen gemein: Allesamt sind samenfest. „Hybride findet man bei mir nicht“, betont die leidenschaftliche Gärtnerin. Diese hätten nach der Ernte ausgedient, seien zum „Wegwerfprodukt“ degradiert worden. Infolgedessen sei es für sie nur konsequent gewesen, ihren Job in der Gartenabteilung eines großen Einkaufsmarktes aufzugeben. Diese Mentalität sei ihr „gegen den Strich gegangen“ und so habe sie sukzessive mit Unterstützung ihres Mannes ihr Pflanzenparadies nebst -handel aufgebaut.
Die reiche Blütenpracht sei über Jahre gewachsen. Ihre Fuchsien, eine sogar von 1970, würden stets schöner, größer, bekämen „Charakter.“ Wem das Einwintern zu viel ist, könne sich winterharte Sorten zulegen. Kaufen, einsetzen, im Herbst wegwerfen sei keineswegs ihr „Ding“, geschweige denn erforderlich. Schön, dass inzwischen ein Umdenken stattgefunden habe, freut sich die 42-Jährige. Seit der Pandemie bestünde ihre Kundschaft mitnichten aus „Ü 50“, auch jüngere Menschen legten Wert auf gesundes, nachhaltiges Obst und Gemüse. Es habe sich eine weltweit vernetzte Community entwickelt. Päckchen mit Samen aus Peru, Kolumbien, San Diego, Teneriffa oder Skandinavien seien keine Seltenheit.
Bei den letzteren Dreien stutzt die Berichterstatterin, ihre geografischen Kenntnisse verorten diese nicht in Südamerika. Die Aufklärung folgt prompt: Hier lebten Gleichgesinnte, die der Zucht nachgingen und sich austauschten.
Wer sich einfach ein bisschen ausprobieren möchte, könne vorgezogene Exoten- und samenfeste Tomatenpflanzen erwerben. Gefahr für die heimische Flor bestünde nicht, da sie weder aussamten, noch den Winter überstünden.
Bliebe noch zu klären, was man außer Naschen mit diesen Vitaminbomben machen könne. Aus der Tomatillo werde – ganz klassisch – eine Salsa verde, die Tamarillo schmecke vorzüglich gegrillt oder als Chutney, die Kiwano erinnere an Banane und Kiwi und man könne sie wie eine solche auslöffeln, der herb-würzige Känguruapfel bereichere als Marmelade mit Hokkaido und Zimt den Frühstückstisch, Brasilianischer Samtpfirsich und Ananaskirschen dienten als gesunde Snacks. „Es offenbaren sich alle Geschmacksrichtungen, die man sich nur vorstellen kann.“ Genau beschreiben ließen sie sich oftmals nicht. Insofern betrete man mit dem Garten eine visuell und kulinarisch andere Welt.
Gurken oder Salate könne man auch hierzulande in guter Qualität kaufen, die Exoten eher selten, „was aber nicht bedeutet, dass wir keine Gurken haben“, lacht die zweifache Mutter und zeigt stolz ihre Exemplare im Gewächshaus. Dort wachsen Netz-, Schlangenhaar- oder Dracheneigurken von beeindruckender Größe. Von Vorteil sei, dass diese robuster und weitaus weniger krankheitsanfällig seien, ergänzt ihr Mann, der seine Frau unterstützt. Zweifelsohne gelinge diese grüne Pracht nicht ohne Hilfe sowie Arbeitserleichterungen wie etwa Wasserspeichertöpfen oder Tröpfchenbewässerung. Schließlich wolle man auch den Lebensraum Garten genießen – und nicht nur drin ackern.
Insekten summen
Dieses Ambiente zaubert Urlaubsfeeling, es grünt, blüht, Insekten summen, Schmetterlinge flattern, Vögel zwitschern. Entspannt taucht man ein in tropische Vielfalt und Fülle ohne Angst vor Schlangen oder anderweitig lauerndem Getier. Manfred und Uwe wirken harmlos und sind zudem in ihrem Gehege.
Das Wort Paradiesapfel schießt in den Sinn, mancherorts eine sehr wertschätzende, das Bewusstsein für das Lebensmittel stärkende Bezeichnung für Tomaten. Achtung vor der Natur, seien es Blumen oder Nahrungsmittel, die Symbiose von Nutzgarten und Erholungsraum ist perfekt gelungen – ein idyllisches, kleines Paradies mit Vorbildcharakter.
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