Alles, was in einem Unternehmen passiert, ist ein Prozess. Materialbestellung, Termine machen, Zeiterfassung, Rechnung schreiben, Dokumentation. Manche Handwerksbetriebe sind bei der Digitalisierung dieser Prozesse schon sehr weit, andere fangen gerade erst an. Sicher ist: Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Detlev Michalke, Stabstelle Kommunikation, Medien, Marketing der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, erklärt, welche Rolle die Digitalisierung für Betriebe bereits spielt und noch spielen wird.
Herr Michalke, braucht es überhaupt Digitalisierung im Handwerk?
Detlev Michalke: Das Thema Digitalisierung ist heute im Beruf wie auch im Privatleben überall präsent. Damit ergibt sich die Antwort von selbst, dass die Digitalisierung auch im Handwerk weiter Einzug halten wird. Es gibt bereits heute Arbeitserleichterungen, die so normal sind, dass man sie nicht mehr unter dem Stichwort Digitalisierung auflistet. Bestes Beispiel ist die Kommunikation über Smartphone, bei der am Telefon die versendete E-Mail besprochen wird, oder man sich mittels Bildern über den Stand auf der Baustelle abstimmt und offene Punkte klärt, ohne vor Ort sein zu müssen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung aktuell in den Handwerksbetrieben im Einzugsgebiet der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald?
Michalke: Grundsätzlich bietet die Digitalisierung den Betrieben neue Werkzeuge, um bekannte Problemstellungen nach Möglichkeit besser oder schneller lösen zu können. Zudem gibt es nicht die allgemeine Digitalisierung, sondern es handelt sich jeweils um eine betriebliche Einzelfallbetrachtung. Der Betrieb muss für sich entweder neue Chancen sehen, mögliche Problemlösungen erkennen, oder von Kunden und Lieferanten auf neue Standards festgelegt werden, um dann mittels Technik entsprechend eine angepasste Digitalisierung anzugehen. Aber gerade die Vielfalt an Angeboten macht es für Betriebe auch schwierig, eine Strategie zu finden, die in den betrieblichen Alltag passt. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aus dem Herbst 2020 zeigt, dass das Handwerk im Vergleich zur Gesamtwirtschaft beim Thema Digitalisierung annähernd gleichauf ist.
Wie schneiden dabei die Betriebe im Neckar-Odenwald-Kreis ab?
Michalke: Eine deutliche Unterscheidung nach Kreisen lässt sich nicht feststellen. Das Thema Digitalisierung ist unabhängig vom Landkreis bei den Betrieben präsent. Einer der wenigen Unterschiede bei der Digitalisierung stellt lediglich die verfügbare Infrastruktur dar. Während in den Kommunen des Rhein-Neckar-Kreises ein schnelles Internet mittels Breitbandanschluss bereits weit verbreitet ist, zieht der Neckar-Odenwald-Kreis gerade kräftig nach, um die Gemeinden und damit auch die ansässigen Handwerksbetriebe entsprechend anzubinden.
In welchen Gewerken ist die Digitalisierung bereits fortgeschritten? Wie und wo wird das für die Kunden sichtbar?
Michalke: Eine deutliche Differenzierung nach Gewerken ist weniger stark auszumachen. Es ist eher die Wahrnehmung für den Kunden, die eine vermeintliche Unterscheidung des Digitalisierungsgrades ergibt. Am Beispiel der Gewerke Elektro- und Informationstechnik, und Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik erkennt der Kunde schnell, wie vernetzt in diesen Gewerken gearbeitet wird. Sei es durch die Programmierung von individuellen Smart-Home-Lösungen oder die Fernabfrage bei Heizkesselstörungen ohne Präsenztermin beim Kunden. Dagegen werden das digitale Aufmaß auf dem Rohbau oder der virtuelle Rundgang durch den Ausstellungsraum nur im Einzelfall wahrgenommen.
Gibt es im Neckar-Odenwald-Kreis Handwerksbetriebe, die im Bereich der Digitalisierung eine Art Vorreiterrolle einnehmen?
Michalke: Es gibt die oft zitierten „Hidden Champions“, die mehr als nur auf der Höhe der Zeit sind und die ohne groß Aufhebens zu machen eine hervorragende Arbeit leisten, und die digitalen Werkzeuge selbstverständlich im beruflichen Arbeitsalltag integrieren. Hier aber einen einzelnen Betrieb als Leuchtturm hervorzuheben, wäre unfair gegenüber den übrigen Betrieben, die für sich ebenfalls topaktuell sind, nur eben auf einem betrieblich anderen Level. Gehen Sie zu Ihrem Handwerksbetrieb im Ort und lassen Sie sich überraschen wie digital es dort bereits zugeht.
Welche Gewerke hinken der Entwicklung hinterher?
Michalke: Die Beratungspraxis zeigt, es gibt kein Hinterherhinken einzelner Gewerke, sondern eher eine verzögerte Umsetzung der technischen Möglichkeiten aufgrund einzelbetrieblicher Entscheidungen. Diese Feststellung zieht sich aber quer durch alle Gewerke und hat verschiedene Gründe. Ein Hauptgrund ist die Erwartungshaltung an die Entwicklung und Weiterführung des Betriebs. Ein Handwerker, der seinen Ruhestand plant und ohne Nachfolge dasteht, wird eher auf eine technische Vereinfachung verzichten. Ebenso wird ein Handwerksbetrieb in schwieriger Lage die Kosten zur Einführung digitaler Lösungen eher etwas schieben.
Gibt es Gewerke, in denen die Digitalisierung auch zukünftig eine untergeordnete Rolle spielen wird?
Michalke: Ein generelles Abkoppeln von der Digitalisierung wird es auch im Handwerk nicht geben. Es wird aber immer Gewerke geben, bei denen der Einzug der Digitalisierung nicht so offensichtlich sein wird, jedoch dennoch stattfindet. Am Beispiel der körpernahen Dienstleistungen lässt sich das gut zeigen. Der Kunde freut sich darüber, wenn beispielsweise die Terminvereinbarung online über ein digitales Portal erfolgen kann und man den Termin bei der gewohnten Person selbst vereinbaren kann, ohne auf die Ladenöffnungszeiten festgelegt zu sein.
Was bedeutet Digitalisierung für Beschäftigte im Handwerk? Stichwort Ausbildung und Qualifizierung. Oder provokant gefragt: Braucht ein Azubi künftig Abitur?
Michalke: Provokant zurückgefragt: Was bringt im Handwerk ein Abitur mit der Note Einsplus, wenn von dem hellen Kopf zwei linke Hände gesteuert werden? Das Wichtigste für einen Auszubildenden ist und bleibt das Interesse für seinen zukünftigen Beruf und die damit verbundenen Werkzeuge. Im Rahmen der Ausbildung muss das Rüstzeug vermittelt werden, um die Werkzeuge anwenden zu können. Dabei muss bewährte wie auch neue Technik beigebracht werden, um auf der Höhe der Zeit zu sein und Spaß an der eigenen Arbeit zu haben. Ein guter Schulabschluss ist sicherlich für einen erfolgreichen Berufsabschluss im Handwerk förderlich, aber nicht alleine entscheidend. Aber die Wissensvermittlung endet nicht mit der erfolgreichen Gesellenprüfung. Auch im laufenden Betrieb muss das Wissen auf Stand gehalten werden, und müssen neue Entwicklungen verfolgt und bei Bedarf im Arbeitsleben aufgenommen werden.
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