Pandemie

Zu den Corona-Beschränkungen: Pro und Kontra

Von 
Stefanie Ball
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Mannheim. Stefan M. Dettlinger

Stellen wir uns nur mal vor, niemand in der Region dürfte mehr das Haus verlassen, dürfte in Schulen, Universitäten oder Geschäfte gehen, obwohl die Inzidenz der Gemeinden längst unter 100 oder gar 50 gesunken ist. Stellen wir uns vor, wir wären in Dauerquarantäne mit 60 Minuten Freigang täglich. Und stellen wir uns vor, wir würden in einem zentralistischen Staat leben und die Begründung für die drakonischen Maßnahmen würde lauten: In Meißens Krematorium stapeln sich die Coronaleichen und warten darauf, in vier Schichten rund um die Uhr verbrannt zu werden. So ähnlich könnte es sich in einem Zentralstaat Deutschland anfühlen.
Was derzeit oft laut wird, ist ein Länderpolitik-Bashing bis zur Klage, die Corona-Politik sei eine echte Schande für den Föderalismus. Das ist deplatziert. Auch die Landespolitiker machen alles (nur nicht alles richtig), um ein Rezept gegen das Virus zu finden, das uns vor der Pandemie und gleichzeitig die Freiheit schützt. Ein Blick ins zentralistische Frankreich könnte da heilsam sein.
Natürlich verwirren die verschiedenen Umsetzungen der Bundesbeschlüsse in den Ländern. Natürlich läuft nicht alles rund. Und natürlich bleibt Unzufriedenheit etwa bei der Bildung: ein offenbar verschlafener Sommer, fehlende EDV-Geräte für Fernunterricht oder Gesamtkonzepte. Doch daran ist nicht der Föderalismus schuld.
Wir müssen die Komplexität der Lage akzeptieren. Wir dürfen in einer Welt, in der die Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen durch hierarchisch kaum differenzierbare Meinungen bröckelt, nicht die ohnehin angeschlagene Beziehung zwischen Mensch und Politik weiter traumatisieren. Kritik ist richtig. Und wichtig. Wir können aber Fehler benennen, ohne gleich das ganze System zu meinen. Der mit der Ewigkeitsklausel in der Verfassung verankerte Föderalismus ist die Säule, auf der unser Land, unsere Freiheit und unser Wohlstand stehen. Nicht, weil wir eine hyperventilierende Gesellschaft omnipräsenter Gefühlswallungen geworden sind, sollten wir das System infrage stellen, das der Politik differenzierteres Handeln erlaubt.

 

Stefanie Ball

Die Corona-Pandemie ist eine Krise globalen Ausmaßes, und in Deutschland versuchen wir seit nunmehr seit fast einem Jahr, sie auf 16 verschiedenen Wegen in den Griff zu bekommen. Ganz so, als verhalte sich das Virus anders, wirke wahlweise weniger oder mehr ansteckend, wenn es die Grenze von Baden-Württemberg nach Hessen oder Rheinland-Pfalz überschreitet.
Es gibt sicherlich nicht die eine Lösung, und wir werden erst später wissen, wo genau die Fehler passiert sind. Mehr als fraglich aber ist es, ob Bund-Länder-Schaltkonferenzen im Drei-Wochen-Rhythmus geeignet sind, schnell, effizient und für die Bürger nachvollziehbar und vertrauenswürdig Infektionsschutzmaßnahmen zu beschließen.
Vielmehr ist ein Chaos an Coronaverordnungen entstanden, denen kaum jemand mehr folgen kann und will. Die Folge sind Unsicherheit und ein steigender Verdruss vieler Menschen. Und kaum ist eine neue Verordnung verabschiedet, prescht mal der eine, mal der andere Länderchef vor (in Baden-Württemberg gerne auch die wahlkämpfende Kultusministerin Susanne Eisenmann mit Ambitionen auf das Ministerpräsidentenamt in Stuttgart), als seien wir auf einem Jahrmarkt der Ideen um die besten (strengen oder doch lockeren) Coronamaßnahmen. Der ansonsten durchaus gewollte Wettbewerb zwischen den Bundesländern führt in der jetzigen Situation zu einem ungesunden politischen Überbietungswettstreit. Den Preis zahlen am Ende andere: diejenigen, die sich womöglich unnötigerweise infizieren.
Angesichts von 1000 Corona-Toten täglich kann mitnichten von einem erfolgreichen Krisenmanagement die Rede sein; im Sommer wurde Deutschland ja noch in aller Welt für seine erfolgreiche Strategie im Umgang mit dem Virus gelobt. Das muss im Umkehrschluss aber nicht heißen, dass es mit zentralen Beschlüssen aus Berlin jetzt im Herbst und Winter wirklich besser gelaufen wäre. Aber vermutlich hatten wir in der ersten Welle einfach viel Glück.
 

Freie Autorin

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