Mainfranken Theater Würzburg - „Das Buch von allen Dingen“ als herzerfrischende Inszenierung für Jugendliche ab zwölf Jahren

Stück mit zeitloser Aktualität

Von 
Felix Röttger
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Ein Szenenbild mit Bastian Beyer, Julia Baukus, Hannes Berg und Maria Brendel. © Gabriela Knoch

Ganz und gar nicht gute Voraussetzungen zum Glücklichwerden hat der neunjährige Thomas, der zwar auf seine liebevolle Mutter und taffe Schwester Margot zählen kann, doch beide sind scheinbar unentrinnbar den Launen des streng religiösen Vaters ausgeliefert. Herr Klopper – nomen est omen – züchtigt seine Frau und seinen Sohn bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

So flüchtet der sein Glück suchende Thomas sich in eine Fantasiewelt, die vor allem seine geheimnisvolle Nachbarin Frau Van Amersfoort mit Büchern und klassischer Musik vom Grammofon befördert. In seiner Realität können Gegenstände plötzlich in der Luft schweben und Tiere können sich zigfach vervielfältigen.

Hanna Müller, die schon bei „Superhero“ am Mainfranken Theater Würzburg Regie führte, hat mit „Das Buch von allen Dingen“ eine herzerfrischend-optimistische Inszenierung für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren auf die Bühne der Kammerspiele gebracht, die sich eng an den gleichnamigen Roman des niederländischen Autors Guus Kuijer anlehnt.

Die Theateradaption greift behutsam, aber entschlossen die Probleme auf, die mit häuslicher Gewalt in einer Familie verbunden sind und eine Kindheit zerstören können. Verortet wird die Nachkriegsgeschichte von Susanne Hoffmann im Hier und Jetzt. Alltagskleidung und eine schwarze, scherenschnittartige Hausfassade nebst einem – nur für die ersten Zuschauerreihen sichtbaren – Aquarium am Bühnenrand unterstreichen die zeitlose Aktualität des Stücks.

Die Regisseurin lässt die 70-minütige Aufführung mit einem Vorlese-Klub enden, der die entscheidende Botschaft auf die Bühne bringt. Selbst die bisher gedemütigte, jetzt aber wie befreit auftretende Familie kann sogar den schuldbewussten Vater gnädig wieder in ihren Reihen aufnehmen. Es darf eben nicht der Mantel des Schweigens über Gewalt in der Familie ausgebreitet werden, weil die heile Welt nach außen gewahrt bleiben soll und Nachbarn und Freunde nichts mitbekommen sollen. Auf diese Weise wird unfreiwillig der Täter noch besonders geschützt.

Zivilcourage ist gefragt, und in dem Stück ist es Frau Amersfoort, die feinfühlig, aber mit unerschütterlicher Entschlossenheit der Mutter, dem Sohn Thomas und seiner Schwester Julia mit Beethoven, Ringelnatz und Kästner den Weg aufzeichnet, um den Teufelskreis des Schweigens und Erduldens zu durchbrechen. Bastian Beyer erzählt und spielt mit einem erstaunlichen Einfühlungsvermögen den neunjährigen Thomas. Humorvoll und herzerwärmend geraten die Plaudereien zwischen ihm und Jesus, den Hannes Berg mit größtmöglichem Abstand zum rigorosen Charakter des gleichfalls von ihm verkörperten Vaters auf die Bühne bringt. Von einer Sekunde auf die andere schlüpft Hannes Berg vom bigotten Vater in die Rolle des imaginären Freundes von Thomas, indem er den korrekt sitzenden Schlips über die Schulter wirft und sich die nassen Korallen aus dem Aquarium als Dornenkrone aufsetzt. Dass es für Thomas keinen gütigen Gott mehr geben kann, weil der Vater diesen aus ihm herausgeprügelt hat, kann Jesus gut nachempfinden.

Er selbst vermisst den lieben Gott auch schon lange. Ganz in seiner Phantasiewelt versunken, findet Thomas den idealen Zufluchtsort vor den familiären Krisensituationen, wo ihm Jesus in den kritischen Situationen wie ein Schutzengel beisteht. Ganz anders dagegen ist der Charakter seiner älteren Schwester Margot gezeichnet, die Julia Baukus mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus spielt. Für Thomas ist dieses Verhalten unverständlich, doch nur so lässt sich für Margot das Zusammenleben mit dem autoritären und gewalttätigen Vater ertragen. Außergewöhnlich ist dann später ihr Mut, sich offen gegen den Vater zu stellen. Ebenfalls verkörpert sie das Mädchen Elisa, das trotz ihrer Beinprothese und verstümmelten Hand viel Lebensfreude ausstrahlt. Thomas empfindet eine tiefe Zuneigung zu dem Mädchen, dem er nach langem Zaudern per Brief ein großes Kompliment für ihre Schönheit macht. Nur Elisa kann wie er die tropischen Fische in den Grachten schwimmen sehen.

Wie Hannes Berg und Julia Baukus tritt auch Maria Brendel in einer Doppelrolle mit völlig gegensätzlichen Figuren auf. Einerseits ist sie eine gefügige, völlig eingeschüchterte Ehefrau und Mutter, die ihre Kinder nicht zu beschützen vermag. Andererseits findet sie als Frau von Amersfoort gegenüber den Kindern die richtige Ansprache, um ihnen die Angst zu nehmen und sie zu ermutigen, sich nicht klaglos mit der vom Vater verhängten Isolation abzufinden. So ist es Margot, die dem Vater mit einem in dessen Bibel versteckten Brief der als Hexe verschrienen Nachbarin vor Augen führt, dass sein Versteckspiel ein Ende hat.

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