Karl Hartberg saß in seinem neuen Büro und lächelte vor sich hin. Er genoss es nach dem anstrengendem Wahlkampf, sich auf den Schreibtischstuhl zu lümmeln und mit seinen Gedanken spazieren zu gehen. In diesem neuen, schicken Büro, mit einem phänomenalen Ausblick über der Stadt. Er hatte das Refugium der Macht erobert.
Das Klopfen seiner langjährige Assistentin beendete seinen Tagtraum: „Herr Präsident, ein Herr Iwanow von der Firma IFC ist da.
Hartberg dachte: Iwanow, was will er? Dieser Termin ist ihm über die Partei aufoktroyiert worden. Er hatte kein gutes Gefühl und sagte etwas mürrisch: „Ich lasse bitten.“
Ein Mann, vielleicht 1,65m groß, um die 60 Jahre alt, Glatze, verlebtes Gesicht und auffallend blaue, stechende Augen trat ein. Er verneigte sich etwas und sagte mit sonorer Stimme: „Herr Präsident, danke, dass Sie mich empfangen.“ Dann schritt er vor bis zum Schreibtisch und streckte seine Hand aus. Dies zwang Hartberg ebenfalls aufzustehen und ihm die Hand zu reichen. Iwanow deutete ein lächeln an und sagte, als sich ihre Hände fanden: „Ich gratuliere Ihnen zur erfolgreichen Wahl und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit.“
Hartberg versuchte seine Verblüffung zu verbergen und erwiderte: „Zusammenarbeit. Dazu müssen wir wohl erst mal die Fronten klären. Was verkaufen Sie?“
„Macht. Das Beratungsunternehmen IFC, „Integrated Force Consultancy“, ist der erfolgreichste Spezialist zum Thema Macht. Wir haben Referenzen von Personen, die Sie täglich in den Nachrichten sehen können. Aber wir sind natürlich diskret, was sicherlich auch für Sie wichtig ist.“
P.M.L. Müller
- P. M. L. Müller wurde im Oktober 1957 in Görlitz geboren und ist in Augsburg aufgewachsen. Dort studierte er Betriebswirtschaft studiert.
- Danach hat er in München, Köln, Mannheim und Frankfurt in verschiedenen Positionen im Verkauf und Marketing gearbeitet. Seit über 30 Jahren lebt Müller in Hemsbach .
- Seine Motivation als Autor: „ Das Schreiben hat mich immer fasziniert, habe es aber erst entwickelt, nachdem ich in den Ruhestand gegangen bin. Mich reizt es, meine Gedanken in geschriebener Form mit anderen zu teilen.“
„Wer schickt Sie und warum?“
Herr Iwanow setzte sich ungefragt auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und sagte: „Durch Ihr herausragendes Charisma, der empfundenen Glaubwürdigkeit und Ihrer Argumentationsfähigkeiten sind Sie sehr erfolgreich. Aber die Umfragen zeigen, dass die Attribute Durchsetzungsfähigkeit, Härte und Entschlossenheit etwas unterentwickelt sind. Man hat Angst, dass gerade jetzt am Anfang ungünstige Weichen gestellt werden. Persönliche Präferenzen versus wirtschaftlicher Erfordernissen. Ein großes Thema ist die Personalauswahl für Ihr engstes Team.“
„Nun, ich bin der Präsident. Die Wähler haben mir ihr Vertrauen geschenkt. Ich werde die Entscheidungen alleine treffen. Ich brauche Sie nicht.“
Iwanow schüttelte den Kopf und lächelte etwas verschmitzt: „Seit alters her stellt man sich die Frage: „Wer hat denn wirklich die Macht? Für Ihren Erfolg haben einflussreiche Leute viel Geld ausgegeben. Ich bin hier, um Sie zu unterstützen, deren Interessen zu respektieren und die Weichen in der kritischen Anfangsphase richtigzustellen. Vielleicht kann ja Ihre Assistentin einen Kaffee bringen.“
Hartberg stand auf, die Hände in den Hüften und einem hochrotem Kopf: „Was fällt Ihnen ein? Ich habe die Wahl gewonnen und damit die alleinige Macht zu entscheiden. Ich breche das Gespräch jetzt ab.“
Iwanow lächelte: „Das war ein guter, glaubwürdiger Auftritt, mit einem Schuss Aggressivität. Bravo.“ Er spendete einen kleinen Applaus. „Bitte setzen Sie sich doch wieder. Regel Nummer eins: ,Um Macht anzuwenden, muss man diese auch wirklich haben.‘ Sorry, die Entscheidung, mit mir zu arbeiten, ist bereits getroffen?“
Das selbstsichere Auftreten von Iwanow verwirrte Hartberg und er setzte sich tatsächlich wieder hin.
Iwanow schüttelte den Kopf: „Regel Nummer 2: ,Wenn man denn dann die Macht hat, muss man diese auch durchsetzen.‘ Halbherziges Herumstochern führt zu nichts. Wenn Sie tatsächlich nicht mit mir reden wollen, dann rufen Sie doch den Sicherheitsdienst oder verlassen einfach das Büro. Das würde Konsequenz zeigen und hätte mich vielleicht beeindruckt. Aber Sie sitzen mir wieder gegenüber.“ Iwanow lächelte und kostete seinen Triumph kurz aus. „Nun zum eigentlichen Problem. Können wir jetzt wie zwei Männer reden? Bitte, vergessen Sie meinen Kaffee nicht.“
An Hartberg nagten jetzt Zweifel. Er dachte: Iwanow hatte recht. Er hatte sich inkonsequent verhalten und war jetzt in der Defensive. Der Hintergrund zu diesem Meeting war komplexer, als er ursprünglich gedacht hatte. Das Beste ist, die Flucht nach vorn und zu versuchen, die Initiative zurückzugewinnen.
„Ok, fangen Sie an. Kaffee gibt es nicht. Was wollen Sie von mir? Klartext bitte.“
„Es gibt ein wichtiges, kurzfristiges Problem, dass Sie unbedingt angehen müssen. Ihr jetziges Team war bis zur Wahl nützlich, die Wahlversprechen glaubhaft zu vertreten. Aber, diese Wahlversprechen müssen jetzt an die Realität angepasst werden. Das würde zu einem fatalen internen Gegenwind und kritische Aussagen in den eigenen Reihen führen. Speziell Kai Wiese würde sich schnell als Klotz erweisen. Er würde auf die Nachhaltigkeitsversprechen im Bausektor bestehen, welche so nicht finanzierbar sind.“
„Aber Kai ist mein Freund und ich habe ihm auch versprochen, dass er sich federführend um die Bauvorhaben kümmern wird. Außerdem möchte ich natürlich meine Wahlversprechen halten. Da komme ich nicht mehr raus.“
Iwanow schüttelte vehement den Kopf: „Es ist alternativlos, sich mit Mitarbeitern zu umgeben, die bereit sind, widerspruchslos mitzuziehen. Kai Wiese ist einfach zu ideologisch geprägt. Wir kennen bessere Leute, die seinen Platz einnehmen können.“
Hartberg stand auf: „Niemals. Ich werde meinen Freund schützen.“
Iwanow stand jetzt auch auf: „Ihre Entscheidung. Aber Sie müssen auch mit den Konsequenzen leben. Denken Sie daran: ,Macht bedeutet Verantwortung.‘ Werden Sie der Verantwortung wirklich gerecht, wenn Sie persönliche Animositäten vor das Allgemeinwohl stellen. Denken Sie an die Zukunft. Stärken Sie gleich jetzt ihre Macht, indem Sie sich Respekt verdienen. Vergessen Sie nicht, irgendwer bezahlt für meine Arbeit eine Menge Geld. Wenn ich scheitere, möchte ich gar nicht darüber nachdenken, wer sich mit Ihnen dann beschäftigt.“
„Drohen Sie mir?“ Hartberg war sichtlich erstaunt.
„Nein, das kann ich gar nicht. Es war ein gutgemeinter Rat. Wenn Sie mehr über Macht lernen wollen, dann lesen Sie Machiavelli. Er hatte interessante Ansichten, wie man Macht bekommt und behält. Ich wünsche noch einen schönen Tag.“
Iwanow verließ das Büro.
Hartberg war verunsichert. Er wusste, dass viel Wahres in den Worten von Iwanow war. Wie viel Macht hatte er wirklich?
Sein privates Handy klingelte mit einer unbekannten Nummer. Er meldete sich nur mit Hallo. Es antworte eine sympathisch klingende Frauenstimme: „Hallo Herr Hartberg. Mein Name ist Dora von Richmond. Ich sitze einer Interessensgemeinschaft für die Bau- und Immobilienwirtschaft vor. Ich glaube nicht, dass Sie schon einmal von uns gehört haben, da wir eher nicht in der Öffentlichkeit auftreten. Herr Iwanow war gerade bei Ihnen. Ich kenne ihn schon sehr lange. Er hat mir sehr geholfen. Ich hoffe, das Meeting war gut?“
Hartberg war sichtlich erschrocken. Nun hatte er eine erste Idee, was die Selbstsicherheit von Iwanow fütterte. Er entschied sich vorsichtig zu sein: „Hallo Frau von Richmond. Danke der Nachfrage. Ich bin gerade dabei, das Gespräch zu überdenken.“
„Das ist gut. Mein Rat ist, hören Sie auf Iwanow. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg.“ Das Telefonat wurde unterbrochen.
Er hatte gerade aufgelegt, als das Bürotelefon klingelte. Es zeigte an, dass der Parteivorsitzende Kurt Hochmuth anrief.
„Hallo Kurt, ich habe gerade wenig Zeit.“
„Hallo Karl, nur ganz kurz. Iwanow war doch heute bei Dir. Ein toller Kerl, von dem man viel lernen kann. Wie war das Gespräch? Gab es Ergebnisse?“
Hartberg war geschockt, dass dieses Gespräch soviel Aufmerksamkeit erregte. „Danke, es war ein exzellentes Gespräch. Sehr interessant, aber ich muss jetzt nachdenken. Ich rufe Dich morgen an.“
„Ok, alles klar. Mach´s gut und treffe die richtigen Entscheidungen.“
Erzähl mir was, 6. Auflage
- Die Schlussrunde : Unter den rund 50 Geschichten, die Leserinnen und Leser zum Thema „Macht und Mensch“ eingereicht hatten, hat die Jury dieser Redaktion nun die ihrer Meinung nach zwölf besten für das Finale bestimmt. Sie finden sich in unserem Themenschwerpunkt "Erzähl mir was".
- Die Onlineabstimmung: Unsere Leserinnen und Leser können dann vom 27. August bis 5. September 2025 online abstimmen , wer die ersten sechs Plätze des Wettbewerbs belegt.
- Abstimmung unter: mannheimermorgen.de/erzaehlmirwas
Vier Wochen später
„Meine Damen und Herren, ich begrüße heute unser neues Kabinett. Ich möchte mich nochmals bei den scheidenden Mitarbeitern für die langjährige Treue bedanken. Besonders möchte ich die wichtige Arbeit von Kai Wiese würdigen. Ich wünsche ihm und allen anderen viel Erfolg für ihre Zukunft. Die Einschnitte und Änderungen waren alternativlos und besonders für mich nicht leicht. Aber mit dieser Position erlangt man Macht, die man einsetzen muss, um der großen Verantwortung gerecht zu werden. Der Wähler steht natürlich bei allen Entscheidungen im Mittelpunkt ...“
Nach der Sitzung rief Iwanow an: „Und wie ist es gelaufen?“
Hartberg nickte selbstgefällig: „Ich möchte mit einem Zitat antworten. Unser Freund Machiavelli hat recht: ,Grausamkeiten müssen alle auf einmal begangen werden, denn so werden sie weniger hart empfunden.‘ Das habe ich berücksichtigt und gleich richtig aufgeräumt. Ich spüre, dass man mich vielleicht weniger mag, aber ich habe den vollen Respekt. Der Zweck heiligt die Mittel.“
Iwanow lächelte: „Ich höre und staune.“
„Auf alle Fälle wird meine neue Assistentin bei Ihrem nächsten Besuch selbstverständlich einen Kaffee servieren. Das ist alternativlos.“
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