Pflegenotstand - Wertheimer Unternehmen Altera in Schieflage geraten / Sanierungsgeschäftsführer eingesetzt / Investoren haben Interesse gezeigt

Senioren-Domizil meldet Insolvenz an

Von 
Heike Barowski
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Das Senioren-Domizil Altera auf dem Reinhardshof feierte erst vor kurzem sein zehnjähriges Bestehen. Doch nun hat das Unternehmen beim Amtsgericht Würzburg Insolvenz angemeldet.

Reinhardshof. Aus den Gerüchten ist nun Wirklichkeit geworden. Am vergangenen Freitag hat das Senioren-Domizil Altera einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, das am Montag vom Amtsgericht Würzburg genehmigt wurde. Allerdings liegt die Betonung auf der Eigenverwaltung des Verfahrens. Das bedeutet, dass die bisherige Geschäftsführung gemeinsam mit einem Sanierungsgeschäftsführer das Unternehmen selbst wieder auf Kurs bringen will. Als solcher wurde Dr. Sebastian Braun, Fachanwalt für Insolvenzrecht, aus der Kanzlei Reinhart, Kober, Großkinsky, Braun in Wertheim beauftragt.

Verbürgt ist aus dem Mitarbeiterkreis, dass teilweise die Gehälter deutlich verspätet gezahlt wurden, und einige Mitarbeiter entsprechende Konsequenzen gezogen haben. Laut eigener Aussage wurde am Donnerstag, 8. August, der Heimaufsicht von der Leitung des Domizils mitgeteilt, dass ein plötzlicher Abzug von mehreren Leiharbeitskräften erfolgte. Hintergrund sollen ausstehende Zahlungen an den Dienstleister gewesen sein. Daraufhin wurde im Rahmen eines Vorort-Termins am Freitag, 9. August, von Seiten der Heimaufsicht ein sofortiger Aufnahmestopp ausgesprochen.

Lohn wird nachgezahlt

„Es gibt im Senioren-Domizil 91 Mitarbeiter. Über eine Insolvenzgeldvorfinanzierung bekommen diese regulär ihren Lohn“, so Braun auf Nachfrage. Die Gehälter des vergangenen Monats seien laut Braun noch nicht gezahlt, das werde aber in Kürze nachgeholt. Braun betonte, dass man einen finanziellen Schaden von den Mitarbeitern unbedingt abwenden wolle. Aus den seit 9. August von der Heimaufsicht geforderten täglichen Meldungen sowie den Heimbegehungen am 9. und 14. August wurde bei der im Landratsamt angesiedelten Behörde der Schluss gezogen, dass Personal zur noch ausreichenden pflegerischen Versorgung zur Verfügung stand.

Weil die Situation durchaus als kritisch eingestuft wurde, war die Heimaufsicht auch am Samstag, 17. August, vor Ort. „Bei diesem Termin konnte eine noch ausreichende Besetzung im pflegerischen Dienst festgestellt werden“, heißt es aus dem Landratsamt.

Angebote sind ausgefallen

„Meine Schwiegermutter ist in dieser Pflegeeinrichtung untergebracht. Sie hat von diesem ganzen Drumherum nichts mitbekommen.“, erzählt Gerhard Klinger aus Höhefeld. Auch ihm waren vor Tagen schon diverse Gerüchte zu Ohren gekommen. „Meine Frau und ich können bis jetzt noch nichts Nachteiliges sowohl über die Wohnqualität als auch die Verpflegung oder die Betreuung sagen“, fügt er an.

Allerdings sei den beiden Höhefeldern aufgefallen, dass in letzter Zeit viele der Betreuungsangebote, wie das gemeinsame Singen und Spielen, ausgefallen seien, weil das entsprechende Personal in der direkten Pflege eingesetzt gewesen sei und deshalb diesen Aufgaben nicht hätte nachkommen können.

Auskunft aus dem Rathaus

Klinger weiter: „Ich warte jetzt mal auf die Stellungnahme unseres neuen Oberbürgermeisters. Denn die Stadt Wertheim brüstet sich immer damit, familienfreundlich zu sein. Dazu gehören eben auch die Alten und Pflegebedürftigen und nicht nur junge Familien mit kleinen Kindern.“

Weil Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez derzeit in Ungarn weilt, kam in seinem Auftrag die Antwort aus dem Rathaus von Pressesprecherin Angela Steffan. „Die Stadt Wertheim bedauert es, wenn die Einrichtung in wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Zum Insolvenzantrag und den Hintergründen liegen uns bisher keine verlässlichen Informationen vor. Als Stadtverwaltung haben wir hier auch keinerlei Einwirkungsmöglichkeit. Selbstverständlich sind wir bereit, die Bemühungen um Fortbestand der Einrichtung in vermittelnder Funktion zu unterstützen. “

Maßnahmen ergriffen

Am Wochenende seien bereits wesentliche Maßnahmen ergriffen worden, um die Versorgung und den Betrieb des Seniorendomizils in Wertheim sicherzustellen, berichtet Dr. Sebastian Braun. Man wolle Engpässe vermeiden. „Das läuft aktuell und funktioniert gut.“

Als Gründe für die Insolvenz nennt Braun zum einen die zunehmende Einzelzimmerbelegung, die zu Einnahmenverlusten führe, zum anderen fehlendes Personal. „Es ist bundesweit bekannt, dass Pflegepersonal schwierig zu bekommen ist, Stichwort Pflegenotstand“, führt Braun weiter aus. In Wertheim musste auf eine Leiharbeitsfirma ausgewichen werden, was deutlich teurer sei als Festangestellte zu beschäftigen. Am Montag, 19. August, wurde der Heimaufsicht auf einer weiteren Personalversammlung mitgeteilt, dass ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eingeleitet wurde. „Hierdurch wird es Altera nun wieder ermöglicht, Leiharbeitnehmer zu beschäftigen. Die ausreichende Personaldecke wird dadurch sichergestellt“, so die Heimaufsicht.

Es kursieren in der Stadt allerdings Gerüchte, dass die Unternehmenskrise nicht ausschließlich auf Personalmangel und fehlende Einnahmen zurückzuführen sei, sondern auf der Diskrepanz zwischen hoher Auslastung und finanziellem Notstand beruhe. Dass Gelder in andere Einrichtungen geflossen seien, ist Braun ebenfalls zu Ohren gekommen, räumt der Sanierungsgeschäftsführer ein. „Wir werden dem nachgehen“, kündigt der Rechtsanwalt an. Wenige Tage nach Beginn des Verfahrens könne er dazu allerdings noch nichts sagen. Standardmäßig würden aber sämtliche Einnahmen wie Ausgaben genau überprüft. Das sei ein Teil des Verfahrens, den Braun als „Vergangenheitsbewältigung“ umschreibt.

Bilanz und Verknüpfungen

Auffällig ist, dass die Bilanzen des Altera Senioren-Domizils bis 2018 kontinuierlich anstiegen. So konnte im Jahr 2011 eine Gesamtbilanz von rund 219 000 Euro verbucht werden, im Jahr 2017 waren dies 831 000 Euro, wie aus den Handelsregisterbekanntmachungen deutscher Kapitalgesellschaften hervorgeht.

Versucht man dem Geld hinterherzuspüren, landet man recht schnell bei der Weideweg GmbH, einer Tagespflegeeinrichtung, und einem Feriendomizil im katholischen Pfarrhaus in Schollbrunn, das seit zwei Jahren von Altera angemietet ist. Und nicht zuletzt führen die Verbindungen zum verstorbenen Ehemann der Geschäftsführerin, zu Gerhard Leibfried. Er war in zahlreichen Firmen, unter anderem in der Altera Bauträgergesellschaft, der Altera KGaA, der Haus Edelberg Dienstleistungsgesellschaft sowie der Enteccogroup GmbH Geschäftsführer und hatte diese Position im Jahr 2012 auch im Altera Senioren-Domizil Frankenthal für ein Jahr inne.

Letzteres geriet Anfang 2018 in die Schlagzeilen. Wegen untragbarer Zustände wurde ein Wohnbereich geschlossen und die rheinland-pfälzische Ministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler drohte sogar mit kompletter Schließung. Inzwischen hat sich die Lage in Frankenthal entspannt.

Frühes Stadium des Verfahrens

Momentan befinde man sich in Wertheim in einem sehr frühen Stadium des Verfahrens, so Dr. Sebastian Braun. Im weiteren Verlauf werde man sämtliche Kostenpunkte genau unter die Lupe nehmen, auch unter dem Gesichtspunkt, wo Einsparungen möglich sind. Momentan stehen allerdings noch die Notmaßnahmen im Vordergrund, welche die Versorgung sichern sollen.

Ziel sei, das Unternehmen zu retten, um sowohl das Angebot als auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Aktuell läuft ein vorläufiges Verfahren, das Insolvenzverfahren werde voraussichtlich am 1. November eröffnet. Dann werde man sehen, ob es das Unternehmen aus eigener Kraft aus der Krise schaffe, oder ob dabei finanzielle Hilfe von Nöten sein wird. Diese Unterstützung könnte von einem externen Investor kommen. Hier hätten verschiedene Seiten bereits ihr Interesse kundgetan, wie Braun durchblicken lässt.

Keine Stellungnahme

Ein offizielles Statement war am Mittwoch von der Heimverwaltung zu den Vorgängen nicht zu bekommen.

Allerdings betonte die Mitarbeiterin Birgit Schreck im Auftrag der Geschäftsführung, dass Ulrike Leibfried-Holzwarth ihr privates Vermögen sowohl in das Senioren-Domizil Altera hat fließen lassen und die Tagespflege „Weideweg“ in Hasloch ebenfalls komplett aus eigener Tasche gesponsert habe.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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