Kultur - Thilo Pohle reichte Gottlob-Haag-Ring weiter an das Russlanddeutsche Theater Niederstetten / „Engagement braucht mehr Aufmerksamkeit“

Heimatsuche bleibt das große Thema

Von 
Dieter Balb
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Warkentin Pohle. Maria und Peter vom Russlanddeutschen Theater sind die neuen Träger des Gottlob-Haag-Rings, der am Sonntag in einer Feierstunde im „Kult” von Thilo weitergereicht wurde.

Niederstetten. Es ist das siebte Mal seit 1994, dass der Gottlob-Haag-Ring den Besitzer wechselt. Mit einer Spielszene über das Schicksal einer Wolgadeutschen aus einem literarisch-szenischen Schauspiel gaben die beiden neuen Ring-Träger Maria und Peter Warkentin auch gleich eine Kostprobe ihres Könnens. Sie haben die Kultur der Russlanddeutschen in bundesweiten Gastspielen erlebbar gemacht.

Nach einem Sekt-Empfang für die geladenen Gäste in der Mediothek ging es in den Saal. „Heute erinnern wir mit der Weitergabe an unseren großen Mundartdichter Gottlob Haag”, sagte Bürgermeisterin Heike Naber in ihrem Grußwort. Der Ehrenring solle „die Kulturschaffenden ermutigen, der jeweils eigenen Schöpferkraft zu vertrauen”. Leider sei der Stifter des Ehrenpreises, Goldschmied Helmut Frauenberger aus Bad Mergentheim, schon 2017 verstorben.

„Naturtalent“

Den Dichter Gottlob Haag bezeichnete die Bürgermeisterin als „ein Naturtalent“ im Umgang mit Sprache und Dialekt. Bei ihm sei „jedes Wort sorgfältig gesetzt und nichts oberflächlich”.

Er habe die Natur und das Leben auf dem Land beschrieben, über die Religion reflektiert, nach der Wahrheit gesucht und sei für den Frieden und gegen Gewalt eingetreten. Heike Naber: „Ohne seine Stimme und Literatur wäre Hohenlohe-Franken um einiges ärmer!”

Im Moment müsse die Gesellschaft mit vielen Einschränkungen zurechtkommen, und die im Sommer verspürte wiedergewonnene Freiheit sei schon wieder fraglich. Die Kulturstätten würden besonders unter den Schließungen leiden. Kunst und Kultur seien wichtig für die demokratische Gesellschaft, und die Kunst schaffe gerade mit der Literatur Möglichkeiten für die Verständigung.

Die Bürgermeisterin: „Weil Kunst und Kultur Menschen in Fühlung miteinander bringen über Grenzen hinweg, ist diese Branche von den nötigen Infektionsschutzmaßnahmen besonders hart betroffen”.

Von „Grenzgängern“ sprach der letzte Ringträger Thilo Pohle aus Rothenburg in seiner Laudatio. Wilhelm Staudacher aus Rothenburg und Gottlob Haag aus Wildentierbach hätten schon immer über die Grenzen hinausgeschaut. In Sternstunden der deutschen Geschichte habe man Mauern eingerissen, aber überall auf der Welt errichte man wieder neue.

Maria und Peter Warkentin, die seit 25 Jahren in Niederstetten leben und dort das Russland-Deutsche Theater mitgegründet haben, seien Mitbegründer des Deutschen Schauspieltheaters in Alma-Ata gewesen und jetzt die einzigen unter ihren russischen Kollegen, die ein eigenes Theater betreiben. Sie seien ihr ganzes Leben Grenzgänger gewesen.

„Der Mensch ist gut“

Thilo Pohle: „Das Schicksal dieser Wolgadeutschen war, dass sie immer auf der Suche nach einer neuen Heimat waren”. In der Bundesrepublik habe man solchen Menschen viel zu wenig das Gefühl vermittelt, „zu uns zu gehören“. Es sei zu hoffen, das die deutsche Willkommenskultur keine Zufallserscheinung gewesen sei, sondern ein Ereignis, auf das man so stolz sein könne wie auf die gewaltlose Revolution in der DDR. Thilo Pohle erinnerte an seinen Besuch des Theaterstückes „Der weite Weg zurück”, danach war für ihm klar, „dass dieses Engagement mehr Aufmerksamkeit braucht“. Auf der Bühne würden die Schauspieler Gefühle ansprechen, ohne kitschig oder belehrend zu wirken. Maria und Peter Warkentin hätten ein Lehrstück für den Geschichtsunterricht geboten. Mit Erich Kästners Gedicht „Der Mensch ist gut” schloss Thilo Pohle seine Rede, ehe er den Ring weitergab.

Bei den Preisträgern war die Freude groß. Man sei stolz, den Ring tragen zu dürfen. Peter Warkentin meinte, das sei „eine riesengroße Ehre und dankte allen, die das Theater mit unterstützt und getragen haben.

Aus dem kalten Sibirien sei man nach Hohenlohe gekommen und habe in Niederstetten eine neue Heimat mit vielen aufgeschlossenen Menschen und neuen Freunden gefunden. Der ehemalige Bürgermeister Kurt Finkenberger habe unkompliziert die Möglichkeit geschaffen, das Theater aufzubauen, das im Amtshaus Oberstetten seine Übungsstätte bekam. Von den ursprünglich einmal sieben russlanddeutschen Schauspielern sind dann später die meisten in andere Städte weitergezogen. Das Thema Heimatsuche hat die kleine Bühne immer begleitet, und es ist mehr denn je aktuell. Auch künftig, so Maria und Peter Warkentin, wolle man Stücke auf die Bühne bringen, wenn Corona vorbei sei: „Wir stehen in den Startlöchern”. Der Dank galt allen Mitwirkenden, besonders der musikalischen Begleitung durch Hermann Josef Beyer (Klavier), Inge Franzreb (Akkordeon) und Anne Beyer (Gesang).

Den Ring hatte der Goldschmied Helmut Frauenberger 1994 gestiftet. Gottlob Haag, nach dem der Ring benannt wurde, war auch der erste Träger. Haag gab ihn 1999 an den Reinsbronner Theatermacher Arno Boas weiter und dieser 2002 an den Niederstettener Kulturbeauftragten Norbert Bach. Von dort ging er an den Fotografen Roland Bauer und danach an die Langenburgerin Heide Ruopp, um 2013 ins Bayerische zu dem Lyriker Manfred Kern aus Insingen zu wechseln, der ihn 2016 an Thilo Pohle als Leiter der Dokumentarfilmgrupe der Rothenburger Realschule weitergab.

Mit dem Gedicht zum Herbst von Gottlob Haag (er wäre am Sonntag 94 geworden) ließ Peter Warkentin am Ende den viel geehrten Mundartdichter, der auch viele hochsprachliche Werke hinterlassen hat, noch einmal zu Wort kommen.

Autor Redakteur, Wort- und Bildjournalist, Video

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